Arbeitsökonom zu aktuellen Zahlen: Lage für Arbeitslose schwierig wie selten zuvor – aber es gibt Grund für Optimismus
Mittwoch, 03.04.2024, 09:22
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist gesunken, aber nicht so deutlich, wie im Frühjahr üblich. Arbeitsökonom Frank Unger erklärt, warum der erwartete Aufschwung ausgeblieben ist, warum es für Arbeitslose derzeit schwierig ist – und weshalb wir trotzdem optimistisch in die Zukunft blicken dürfen.
Warum ist der erwartete Frühjahrsaufschwung auf dem Arbeitsmarkt ausgeblieben?
Die Erholung der deutschen Wirtschaft schreitet nicht so schnell voran, wie man sich das wünschen würde. Zum einen ist die Binnennachfrage (Konsum und Investitionen im Inland) u.a. durch hohe Inflation und steigende Zinsen ausgebremst worden, zum anderen ist die Auslandsnachfrage auch noch eher verhalten. Dies alles sind keine günstigen Rahmenbedingungen für die derzeitige Beschäftigungssituation. Was dann dazu geführt hat, dass die Arbeitslosigkeit im März weniger als üblich abnahm.
Im Vergleich zum März 2023 ist die Arbeitslosenzahl gar um 176.000 Personen höher. Die sehr leichte Frühjahrsbelebung findet überwiegend im Bereich der Arbeitslosengeld I – Empfänger statt. Wenig Veränderung gab es hingegen im Bereich der langzeitarbeitslosen Menschen.
Deren Zahl belief sich im März 2024 auf 959.000. Damit waren 34,6 % aller Arbeitslosen länger als zwölf Monate arbeitslos. Im März 2023 waren es 34,0 Prozent. Somit bewegt sich vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit weiter auf hohem Niveau, was u.a. bedeutet, dass aktuell nur wenige langzeitarbeitslose Menschen Arbeit aufnehmen.
Über den Experten Frank Unger
Prof. Dr. Frank Unger ist Experte in Sozial-/Verwaltungsmanagement und Arbeitsökonomie an der Hochschule Fulda. Er leitet dort seit 10 Jahren einen Studiengang, spezialisiert auf die Ausbildung von Fallmanagern für Jobcenter. Mit über 15 Jahren Erfahrung bei der Bundesagentur für Arbeit und als erfahrener Trainer/Coach, fokussiert Unger auf Kommunikation, Führung und Teamarbeit. Er promovierte in Bildungswissenschaften und engagiert sich in Forschung zur Arbeitsmarktintegration. Seine Publikationen, darunter ein Buch über Personalführung in der Sozialwirtschaft, bieten wertvolle Einblicke für Führungskräfte.
Es sei für Arbeitslose derzeit so schwierig wie selten zuvor, eine neue Stelle zu finden, heißt es in einer Mitteilung. Warum ist das so?
Die schwache Konjunktur hat auch die Arbeitsmarktentwicklung gedämpft. Die gemeldete Nachfrage nach neuen Arbeitskräften ist im März 2024 weiter rückläufig. Seit Frühsommer 2022 war die Nachfrage nach Arbeitskräften (abgesehen von Dezember 2023) durchgehend schwächer geworden. Im langjährigen Vergleich ist der Bestand gemeldeter Stellen aber noch hoch.
Zusammenfassend kann man sagen: Je geringer die Qualifikation, desto schlechter sind die Arbeitsmarktchancen der Menschen und umso höher ist ihre Arbeitslosenquote.
Die Lücke zwischen dem Qualifikationsniveau der Arbeitslosen und den Anforderungen der offenen Stellen klaffen leider immer weiter auseinander. Zudem kommen vor allem bei langzeitarbeitslosen Menschen oft mehrere Hemmnisse zusammen. Neben einem fehlenden Schul- und/oder Berufsabschluss (rund 60 % haben keinen Berufsabschluss) sind das zum Beispiel gesundheitliche Probleme, Alter (55 Jahre und älter) oder Betreuungs-/Pflegeverpflichtungen.
Eine abgeschlossene Ausbildung bzw. ein Studium sowie regelmäßige Qualifizierungen sind immer noch der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit und fördern auch die individuellen Job-Chancen.
Welche Berufe werden aktuell besonders gesucht?
Auch, wenn der Arbeitsmarkt insgesamt etwas schwächelt, so gibt es dennoch viele offene Stellen.Die Zeitspanne zwischen gewünschtem Besetzungstermin und dem Stellenabgang (Vakanzzeit) ist vergleichsweise hoch und verdeutlicht die Schwierigkeiten vieler Unternehmen passende Arbeitskräfte zu finden.
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Es kann zwar nicht von einem allgemeinen Arbeitskräfte- oder Fachkräftemangel gesprochen werden – dennoch gibt es in vielen Berufsfeldern Engpässe. Hier werden aktuell vor allem Fachkräfte gesucht:
- Pflegebereich sowie in medizinischen Berufen
- im Bereich Mechatronik-, Energie- und Elektrotechnik
- Maschinen- und Fahrzeugtechnik
- IT-Bereich.
Auch Berufskraftfahrer, Tätigkeiten in Lager/Logistik sowie Erzieherinnen und Erzieher zählen ebenso zu den sog. Engpassberufen.
Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten?
Zunächst muss man feststellen, dass angesichts der unsicheren Rahmenbedingungen der Arbeitsmarkt – trotz leichter Schwächen – erstaunlich robust ist. Da insbesondere Fachkräfte knapper werden, versuchen viele Firmen, ihre Beschäftigten zu halten, auch wenn die Situation mitunter schwierig ist.
Zudem kommen wir aus einem Jahr mit sehr hoher Beschäftigung. Im Durchschnitt des Jahres 2023 hatten in Deutschland 45,9 Millionen Menschen Arbeit – so viele wie nie zuvor. Und einen großen Anteil an dieser Entwicklung haben die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
Trotz vieler Schwierigkeiten und Unsicherheiten im In- und Ausland zeichnet sich aktuell gar ein leicht verbesserter Trend ab. Die Konjunkturerwartungen und Arbeitsmarktdaten (z.B. ifo Geschäftsklimaindex, IAB-Arbeitsmarktbarometer, Exporterwartungen der Unternehmen) hellen sich etwas auf, aber die Einschätzungen der aktuellen Lage bleiben noch getrübt bzw. angespannt.
Angesichts der konjunkturellen Situation hält sich der Arbeitsmarkt dennoch gut und die Beschäftigung wird sich vermutlich positiv entwickeln. Jedoch nur darauf zu vertrauen, dass es der „Markt“ macht, wäre sehr problematisch. Es braucht entsprechende starke wirtschaftspolitische Impulse und eine Politik, die das Vertrauen der Unternehmen wie der Bevölkerung wieder stärkt.
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Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.