Deutschlands Wirtschaft wünscht sich mehr Lohnabhängige. Helfen soll dabei das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, dessen zweite Phase am vergangenen Freitag in Kraft getreten ist. Die bisher extrem hohen Hürden werden damit etwas gesenkt: Wer in seinem Beruf bereits länger gearbeitet hat, muss sich seine ausländische Qualifikation künftig nicht mehr in Deutschland anerkennen lassen. Bei anderen kann das Anerkennungsverfahren künftig auch nach der Einreise begonnen werden.
»Die Neuregelung schafft neue Möglichkeiten der Zuwanderung für Personen mit praktischer Berufserfahrung«, begrüßt das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW in Mannheim die Reform. Zudem trete der »Spurwechsel« für geduldete Asylbewerber in Kraft: Wenn sie die geforderte berufliche Qualifikation nachweisen, können sie nun eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Für den großen Wurf halten die Ökonomen des linksliberalen Thinktanks das Gesetzespaket allerdings nicht.
Am großen Wurf arbeite die Regierung, beteuerte Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich auf einer Festveranstaltung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Die Verfahren für Einreise, Visa-Vergabe und Anerkennung ausländischer Qualifikationen sollen demnach vereinfacht werden. Zugleich verwies der SPD-Politiker darauf, dass Wohlstand und Leistungskraft ohne die Einwanderung vergangener Jahrzehnte nicht existieren würden.
Bestätigt wird Scholz’ Einschätzung von Zahlen, welche das Statistische Bundesamt pünktlich zum Start des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes jetzt veröffentlichte. Danach hat ein Viertel aller Erwerbstätigen hierzulande eine Einwanderungsgeschichte. Damit entsprach der Anteil in etwa ihrem Bevölkerungsanteil von 28 Prozent. Als Person mit Einwanderungsgeschichte bezeichnen die Wiesbadener Statistiker, wer seit dem Jahr 1950 selbst nach Deutschland eingewandert ist oder wessen beide Elternteile seither eingewandert sind
Schon zuvor hatten einzelne Landwirte und Unternehmer in der Bundesrepublik wieder Arbeitskräfte aus dem Ausland, insbesondere aus Österreich und Italien, beschäftigt und dabei Kontakte der Zwischenkriegs- und Kriegszeit genutzt. Der an den Wiederaufbau anknüpfende wirtschaftliche Boom in der Bundesrepublik brachte einen wachsenden Arbeitskräftebedarf mit sich. Und der wurde, heißt es in einem Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn, in der BRD lange durch die Zuwanderung aus der DDR und von Aussiedlern befriedigt. Mitte der 50er Jahre unterzeichneten dann die Regierungen in Bonn und Rom ein erstes Anwerbeabkommen, das es Unternehmen ermöglichte, ausländische Arbeitskräfte legal zu beschäftigen. 1956 kamen erstmals rund 12 000 Arbeiter nach Westdeutschland. In den folgenden Jahren waren es zunächst jeweils 20 000. Anfangs stammten die meisten von ihnen aus Norditalien, später kamen mehr Menschen aus dem Süden hinzu. In der Folgezeit kamen Millionen Ausländer auch aus anderen Ländern zum Arbeiten in die Bundesrepublik.
Viele von ihnen machen hierzulande bis heute den, im Wortsinne, Dreck weg: Sechs von zehn Erwerbstätigen in Reinigungsberufen haben aktuell eine Einwanderungsgeschichte. In der Gastronomie trifft dies auf knapp die Hälfte der Beschäftigten zu, unter den Köchinnen und Köchen sogar auf gut die Hälfte. Auch in Verkehrs- und Logistikberufen stellen Menschen mit Einwanderungsgeschichte einen überdurchschnittlichen Anteil an allen Beschäftigten. Bei Fahrzeugführern im Straßenverkehr, darunter Berufskraftfahrer, Bus- und Straßenbahnfahrer, liegt der Anteil bei rund vier von zehn Lohnabhängigen. In Hoch- und Tiefbauberufen zeigt sich ein ähnliches Bild. Unterm Strich stellen Einwanderer die Mehrzahl aller sogenannten Hilfsarbeitskräfte.
Dagegen sind Erwerbstätige mit Einwanderungsgeschichte in anderen, meist höher qualifizierten und besser bezahlten Berufen eher selten anzutreffen. So traf das 2022 nur für eine oder einen von 16 Erwerbstätigen in Berufen bei Polizei, Gericht und im Justizvollzug zu. In Schulen war es nur eine oder einer von zehn Lehrern. In einem weiteren Merkmal unterscheidet sich die Erwerbstätigkeit von Personen mit und ohne Einwanderungsgeschichte: Auch unter den sogenannten Führungskräften waren Menschen mit Migrationshintergrund weniger stark vertreten. Immerhin besitzen zwei von zehn Führungskräfte eine solche.
Vor diesem Hintergrund fordert das ZEW jetzt die Bundesregierung auf, die Einwanderung aus Drittstaaten »viel attraktiver zu gestalten«. Deutschland stehe schließlich im internationalen Wettbewerb um gut ausgebildete Arbeitskräfte. Um das Fachkräfteproblem zu lösen, müssten administrative Hürden und hohe Verdienstschwellen abgebaut werden. Zudem müsse die Politik die Infrastruktur in Ballungsräumen stärker ausbauen, damit neue Erwerbstätige ausreichend bezahlbaren Wohnraum und eine gute Kinderbetreuung finden.
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