Von Heroen der künstlerischen Moderne wie Pablo Picasso, Henri Matisse oder Fernand Léger hat sicherlich jede*r schon einmal gehört. Viel weniger geläufig werden den meisten aber Künstler*innen wie Abdallah Benanteur, Inji Efflatoun oder Huguette Caland sein. Das Pariser Musée d’Art Moderne (MAM) hat es sich nun mit der umfangreichen Schau »Présences Arabes« (Arabische Anwesenheiten) zur Aufgabe gemacht, den Beitrag von mehr als 130 gezeigten Künstler*innen aus Nordafrika und Westasien an der Entwicklung der Moderne sichtbar zu machen.
Wie Morad Montazami, einer der drei Kurator*innen, im Gespräch mit »nd« erläutert, sei es für ihn schon lange ein Traum gewesen, die Moderne aus der arabischen Welt in die Pariser Museen zu bringen. Die kosmopolitische Generation, der er entstamme, sei zwar in der Gegenwartskunst inzwischen sehr sichtbar – im nebenan gelegenen Palais de Tokyo läuft gerade eine sehr bemerkenswerte Ausstellung des franko-algerischen Künstlers Mohamed Bourouissa – wenn es um die Kunst des 20. Jahrhunderts gehe, dominierten aber immer noch weiße Künstler das Ausstellungsgeschehen.
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Die auf umfangreicher Recherche basierende Ausstellung im MAM folgt bei der Präsentation der Werke klassischen museographischen Konventionen. Dementsprechend unterteilen die Kurator*innen ihre Revision des Kanons der Moderne in vier chronologisch geordnete Kapitel. Deutlich wird, wie unumgänglich für die arabischen Künstler*innen zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Auseinandersetzung mit dem Orientalismus war, diente die arabische Welt in der europäischen Malerei doch meist nur als scheinbar in der Zeit stehengebliebene exotische Hintergrundkulisse, die sich aus Palmen, Kamelen und Kasbahs zusammensetzte. Diese Motivwahl klingt noch in der Malerei »Fez« (vor 1921) des Algeriers Azouaou Mammeri an. Sein Bild der Medina von Fez wird geteilt von einer Stadtmauer. Rechts davon, vor den Toren der Stadt, hat sich ein traditionell gekleideter Mann mit seinen beiden Dromedaren niedergelassen. Es ist eine klassisch orientalistische Motivwahl, aber es handelt es sich hier um einen indigenen Orientalismus, der einen ersten Schritt zur Aneignung des eigenen Bildes darstellt.
Diese Aneignung beschleunigt sich in den Arbeiten der zweiten Sektion der Ausstellung, die sich der Periode der Unabhängigkeit der ersten arabischen Länder, wie etwa des Libanons 1943 oder des Irak 1958, widmet. In diese Epoche fallen auch die ersten avantgardistischen Aufbrüche, etwa der ägyptischen Surrealisten um die Gruppe »Art et liberté« (Kunst und Freiheit). Aus einer anderen Tradition stammt die Malerei »Mittagszeit« (1956) der Ägypterin Fatima Arargi, die eine Gruppe von Arbeitern beim Mittagsmahl zeigt. Zwar machte Arargi ihre Arbeiter anhand von Kleidung als Teil derselben sozialen Gruppe erkennbar, aber sie stattete sie auch mit individuellen Merkmalen wie unterschiedlichen Kopfformen, Frisuren und Bärten aus. Anders als im sozialistischen Realismus zeigt sie kein heroisch gestähltes Proletariat beim Aufbau des Landes; stattdessen machen die Arbeiter bei ihr eine Pause.
Die Kurator*innen untersuchen auch die Ausstellungsgeschichte von arabischen Künstler*innen in Paris. In farblich abgesetzten Sektionen werden dabei Werke aus wichtigen Galerieausstellungen gezeigt. Verwiesen wird etwa auf die Schau der damals erst 16-jährigen algerischen Künstlerin Baya in der Galerie Maeght von 1947. Ebenfalls verhandelt wird die Beteiligung arabischer Künstler*innen an Großausstellungen. Während an der Pariser Biennale von 1959 bereits Länder wie Tunesien mit Safia Ferhat oder der Libanon mit Shafic Abboud teilnahmen, fehlte ein eigener Beitrag Algeriens, das erst 1962 von Frankreich unabhängig werden sollte und sich seit 1954 mit der Kolonialmacht im Krieg befand. Stark vertreten sind die algerischen Künstler*innen hingegen im dritten Teil der Ausstellung, der sich der Dekolonisation widmet. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Gruppe AOUCHEM (Tätowierung): Die beteiligten Künstler*innen, wie Choukri Mesli oder Denis Martinez, machten sich nach der Unabhängigkeit auf die Suche nach einem originären algerischen Beitrag zur abstrakten Kunst. Sie ließen sich in ihren Werken dabei von dem reichen visuellen Fundus des Landes inspirieren, etwa von den prähistorischen Höhlenmalereien in Tassili oder den Mustern in den Tätowierungen der indigenen Amazigh-Bevölkerung.
Der abschließende vierte Teil führt bis hinein in die 1970er und 1980er Jahre. Auch die Kunst dieser Epoche wird oftmals von politischen Themen bestimmt, wie dem Rassismus der französischen Gesellschaft oder der palästinensischen Befreiungsbewegung, die spätestens ab 1967 in die Motivwahl vieler arabischer Künstler*innen eingeht. Mit einer augenzwinkernden Leichtigkeit bestechen dabei die an den historischen Avantgarden geschulten Collagen der anarchistischen Zeitschrift »Le Désir Libertaire« um den Exiliraker Abdul Kader El Janabi. So versah die Zeitschrift etwa ein Bild von Karl Marx mit seiner Tochter Jenny, die eine Kette mit einem Kreuz um ihren Hals trägt, mit dem Schriftzug: „Religion is the opium of the familiy.«
»Présence Arabes« bietet die Gelegenheit, bemerkenswerte künstlerische Werke und Praktiken zu entdecken und lässt dabei mehreren Generationen von bisher wenig beachteten Künstler*innen ein Stück Gerechtigkeit widerfahren. Indem die Ausstellung die Verbindung der ausgestellten Künstler*innen mit der Stadt Paris herausstellt, etwa durch Exil, Ausstellungsbeteiligungen oder den Besuch von Kunsthochschulen, wird die Stadt an der Seine zudem als Kapitale einer transnationalen Verflechtung der künstlerischen Moderne sichtbar.
»Présences arabes. Art Moderne et décolonisation«, bis zum 25. August, Musée d’Art Moderne, Paris, und »Mohamed Bourouissa: Signal«, bis zum 30. Juni, Palais de Tokyo, Paris
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