Neubrandenburg. Der Tag vier im Prozess um den gewaltsamen Tod des kleinen Joel in Pragsdorf beginnt zäh. Mit Zeugenaussagen, die nach Angaben von Prozessbeteiligten kaum einen Erkenntnisgewinn gebracht haben. Die Kammer am Landgericht Neubrandenburg hört Mutter und Stiefvater des mittlerweile 15-jährigen Tatverdächtigen. Die machen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Das Gericht lässt sich von Bewohnern des Dorfes schildern, was sie am Tattag, den 14. September, getan und beobachtet haben. Alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit und „nichts von Bedeutung“, sagt Christine Habetha, Anwältin der Eltern des getöteten Joel, in der Prozesspause.

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Der Angeklagte, der Joel an diesem Spätsommertag in einem Gebüsch in Pragsdorf mit einem Messer so brutal attackiert haben soll, dass er an den Verletzungen starb, und der sich nun wegen Totschlags verantworten muss, schweigt weiter hartnäckig. Sein Anwalt Sebastian Fitzer lächelt die Frage weg, ob sich sein Mandant nun endlich zu den Tatvorwürfen äußern wird. „Kein Kommentar“, lautet seine Antwort. Dann verschwindet er hinter der Glastür vor dem Gerichtssaal. Dieser Bereich ist für die Presse tabu.

Panne im Gericht: Falsche Zeugenliste aufgehängt

Für die Eltern von Joel ist das alles eine mehr als unbefriedigende Situation. Sie haben keinen Zweifel daran, dass der 15-Jährige ihren Sohn getötet hat. „Die Geschwister von Joel sind weiter in Sicherheit bei Oma und Opa“, sagt Mutter Kathleen K. Noch traut sich das Elternpaar nicht, die Kinder wieder nach Pragsdorf zu holen. Der Grund: Der ältere Bruder des Tatverdächtigen, gegen den die Staatsanwaltschaft ebenfalls im Zusammenhang mit dem Verbrechen ermittelt, ist weiter auf freiem Fuß. „Wir sind beunruhigt“, sagt Kathleen K.

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Der Bruder des mutmaßlichen Täters sollte am Dienstag als Zeuge gehört werden. Zumindest stand es so auf der Terminrolle der Verhandlung am Eingang des Sitzungssaals. Am Mittag stellt sich heraus: Das Gericht hat eine falsche Zeugenliste ausgehängt. Nur eine von mehreren Pannen des Gerichtes in diesem Verfahren.

Pragsdorf-Prozess: „Am Rande der richterlichen Befangenheit“

Die Anwältin der Eltern, Christine Habetha, ist immer noch entsetzt, dass das Gericht Mitte Februar den Haftbefehl gegen den 15-Jährigen überraschend aufgehoben hatte. Das Oberlandesgericht hat die Entscheidung zwar inzwischen kassiert, aber der Vertrauensverlust in die Kammer ist groß. Die Aufhebung des Haftbefehls sei eine „klare juristische Fehlentscheidung“ gewesen, sagt sie in der Prozesspause. „Das Gericht hat nichts in Richtung der Eltern gesagt.“ Keine Einsicht, keine Entschuldigung. Für die Eltern von Joel sei das schwer zu ertragen.

Die Anwältin der Familie des getöteten Joel, Christine Habetha, vor dem Landgericht in Neubrandenburg.

Die Anwältin der Familie des getöteten Joel, Christine Habetha, vor dem Landgericht in Neubrandenburg.

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Habetha ist überzeugt, dass sich der Prozess „sehr am Rande einer richterlichen Befangenheit“ bewege. Auf einen Befangenheitsantrag gegen die Kammer will die Anwältin dennoch verzichten. „Ich möchte keinen Sand ins Getriebe werfen.“ Auch die Eltern von Joel wollen, dass das Verfahren, in dem bereits mehr als 30 Zeugen gehört wurden, zu einem sinnvollen Abschluss geführt werde. „Ich habe einen Rest Hoffnung, dass dieses Verfahren dann doch noch anständig zu Ende gebracht wird.“

Hoffnung auf Geständnis der Angeklagten erfüllt sich nicht

Am Nachmittag wurde ein Mithäftling des Tatverdächtigen gehört. Die Eltern von Joel und deren Anwältin hatten die leise Hoffnung, dass dieser von einem möglichen Geständnis des Angeklagten hinter den Gefängnismauern berichtet. Dies ist offenbar nicht geschehen.

Nun richtet sich der Fokus auf die Sachverständigengutachten. Ein kriminalforensisches Gutachten hatte ergeben, dass an der mutmaßlichen Tatwaffe, einem Messer, die DNA von Joel und des Tatverdächtigen gefunden wurde. Bis Ende des Monats sind noch drei weitere Prozesstage angesetzt.

OZ



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