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Die Verlesung des Auflagenbescheids von der Pritsche des Lautsprecherwagens ist nicht zu verstehen. Das soll auch so sein. Die junge Frau nuschelt sie ins Mikro, und das Übrige tut das Pfeifkonzert der Demonstranten und geht unter in dem Geschrei „Ganz Berlin haßt die Polizei“. Die junge Dame bedankt sich höflich für das Pfeifkonzert und sagt: „Das war genug für die Bullen.“ 1. Mai 2024. Der Tag der Arbeit. „Kein Feiertag, ein Kampftag“, brüllen die Linksextremen, die Migrantifa, die Feministen und Antirassisten – und wer auch immer sich an diesem Mittwoch zum Stelldichein an den Südstern nach Berlin berufen fühlt.

Die Stunden zuvor lassen nichts Gutes ahnen. Nachts haben Linke mindestens 16 Fahrzeuge von Amazon in Flammen aufgehen lassen. Am Mittag greifen in Stuttgart Linksextreme Polizisten auf einer Demo an. 164 Festnahmen in der Schwabenmetropole, die Demo wird aufgelöst. In Berlin ist dagegen bisher alles fast ruhig. Die Satire-Demo durch den Grunewald ist fröhlich und heiter – 4.000 Demonstranten, kaum Migranten, keine besonderen Vorkommnisse. Und jetzt die revolutionäre 1.-Mai-Demo ab 18 Uhr. Sie führt vom Südstern in Kreuzberg nach Neukölln zum Hermannplatz und über die Sonnenallee wieder zurück.

Die Spitze des Demozugs Foto: Mit halbstündiger Verspätung ging es los Foto: JF

„Dem Naziopa den Arsch abwischen“

Eine vietnamesische Migrantifa-Einpeitscherin schreit in holprigem Deutsch von der Pritsche: „Unsere Rücken, unsere Körper halten wir für den Wohlstand der Wenigen, damit sie dem Naziopa den Arsch abwischen oder die Spargel ernten.“ Immerhin Deutschenhaß eint die Demonstranten. So wird später beim Zug ein älterer Herr, der eine Deutschlandflagge vom Balkon wehen läßt, gezielt mit einem rauchenden Farbtopf beworfen.

Die Polizei rechnet mit Ausschreitungen. Knapp 6.000 Beamte sind im Einsatz. In einem internen Bericht, den zuvor die BZ öffentlich machte, geht die Einsatzleitung von 20.000 teils gewaltbereiten Demonstranten aus. Die Migrantifa warnt selbst davor, nicht mit Kindern zur Demo zu gehen. Noch am Vortag hatte Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik auf einer Pressekonferenz zum Polizeieinsatz am 1. Mai gesagt: „Bei Feststellung antisemitischer israelfeindlicher Sprechchöre während einer Versammlung wird die Polizei Berlin unverzüglich Maßnahmen ergreifen. Ein Abwarten bis zum Ende der Versammlung, was wir ja durchaus häufig auch nutzen, wird in diesem Fall nicht in Betracht kommen.“ Und es ist offensichtlich, daß die Demonstranten, wie schon zum G20-Gipfel in Hamburg 2017, vorgesorgt haben. Über X veröffentlicht die Berliner Polizei am Mittag, daß aufmerksame Anwohner Steindepots und Paliflaggen gemeldet hätten. Die alarmierten Beamten entsorgen die Wurfgeschosse.

Strandparty statt schwarzer Block

Die Sonne strahlt. Es ist heiß. Auf dem Südstern steht in praller Sonne der Schwarze Block. Ein versprengtes Häufchen eher. Das Bier fließt, so ist es üblich, in Strömen. Auffällig viele, auffallend hübsche junge Frauen und Mädchen mit Unterarmtäschchen, in Minirock und bauchfreien Tops bewegen sich unter den wartenden Demonstranten. Viele tragen Chaotentücher, als sei das Pali-Kampfsymbol zum modischen Accessoire verkommen, und natürlich dürfen schicke Sonnenbrillen nicht fehlen. Sie lachen, so als gingen sie auf eine Strandparty. So wie die jungen Frauen, die am 7. Oktober 2023 von der Hamas in Israel vergewaltigt und ermordet worden sind.

„Ganz Berlin haßt die Polizei“, können sie allerdings mitgrölen. Doch ihr Repertoire an markigen Demoparolen scheint begrenzt. Na, immerhin reicht es noch für: „Viva, Viva, Palästina“. Erst um 18.32 Uhr setzt sich der Zug, mit halbstündiger Verspätung, in Bewegung, auch das ist bei den Linken normal. Pünktlichkeit wird überbewertet. Die Polizisten gehen entspannt nebenher, tragen keinen Helm, rennen nicht, halten Abstand. Freundlich antworten selbst ortsfremde bayerische Polizisten auf die Fragen der Passanten nach dem Weg oder ob sie schnell durch den Demozug auf die andere Seite gehen dürfen. Sie dürfen. Die Seitenstraßen zur Demoroute sind allerdings durch querstehende Gruppenkraftwagen blockiert. So wird der Zu- und Abgang der Demonstranten kontrolliert.

Ein Anwohner hält eine Israel-Fahne hoch

Im Schneckentempo schlendern die Demonstranten Richtung Hermannplatz. Dem Zug schließen sich immer mehr Demonstranten an. Ein paar wenige Farbtöpfe brennen. Ein paar junge Männer klettern auf das Dach eines Vans und schwenken die Palästinenserfahne. Der Grund: Gegenüber hält ein Mann vom Balkon eine Israel-Fahne hoch. Pfiffe, Stinkefinger und „Shame on you“-Rufe sind zu hören. Mehr nicht.

Eine Serbe findet das alles total spannend. „Ich verstehe nur nicht, warum die Demonstranten sich von den Polizisten etwas sagen lassen“, sagt er auf Englisch. „Die Demonstranten sind doch in der Überzahl. In Belgrad war das in den 90er Jahren anders.“ Er scheint nicht auf eine friedliche Demonstration zu hoffen.

Palästina ist Spaltpilz für die Linke

Von sozialen Themen wie explodierenden Mieten, der Schere zwischen Arm und Reich und Lohndumping ist nichts zu hören. Der Tag der Arbeit verkommt zur Palästina-Show. Allerdings sagt ein Redner mit Blick auf die festgenommene RAF-Terroristin Daniela Klette und ihre flüchtigen Kumpane: „Dieses Trio hat bewiesen, daß man auch in Deutschland Jahrzehnte in Illegalität leben kann. Das zeigt uns, worauf wir uns fokussieren müssen, wovon wir lernen können.“ Eine geplante Zwischenkundgebung fällt auf Wunsch der Anmelder aus. Der Demozug beginnt auszufransen. Zurück auf dem Hermannplatz absentieren sich Hunderte Demonstranten. Die Reihen lichten sich zusehends.

Ein Demonstrant hält eine Karikatur zum Gaza-Krieg hoch: Das Thema Palästina spaltet die Linke Foto: JF

Endlich um 20.45 Uhr erreichen die ersten Demonstranten den Ausgangspunkt, hier soll auch die Abschlußkundgebung gegeben werden. Doch so richtiger Kampfgeist kommt nicht auf. „Wir haben gezeigt, daß uns die Straße gehört“, ist eine weibliche Stimme aus dem Mikro vom Lauti zu hören. Man warte noch auf irgendeine sozialistische Truppe, die unbedingt etwas sagen wolle. Aber „La Rage“, nach Selbstauskunft eine antifaschistische Jugendgruppe aus dem Osten Berlins, scheint verschollen. Vielleicht liegt es daran: „Zunehmend nimmt der 1. Mai die Rolle einer Szeneveranstaltung ein“, beklagte das linksradikale Kollektiv „La Rage“ im Vorfeld der Demonstration in den sozialen Medien. Und nannte gleich Schuldige: „Yuppies!“ „La Rage“ forderte: „Raus aus der Demo. Genau wie Demotouris, Schaulustige und alle anderen, die für das Feeling mitlaufen. Verpißt euch von unserem Protestmarsch.“ „La Rage“ wünschte sich Menschen an ihrer Seite, „die unseren Klassenstandpunkt und unsere Zukunftsperspektive teilen“.

Es ist kurz nach 21 Uhr. Die Demo ist aus. Eher unspektakulär. Die Polizei zählte 11.600 Demonstranten, so Polizeisprecherin Anja Dierschke zur JUNGEN FREIHEIT. Die Veranstalter behaupteten, es seien 25.000 bis 30.000. Selbst die linke taz hält diese Angaben für stark übertrieben. Überhaupt ist das Medienecho ein reines Jammertal. Das Ende der Linken, der Antifa wird diagnostiziert. Die Solidarisierung mit der Hamas, der Antizionismus drohe die Linke zu spalten. 





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