Politik und Medien nennen Klimaproteste gern „Terror“. Die Bauernproteste werden dagegen milder beurteilt. Dabei sind sie der Extremismus der Mitte.

Eine Ampel am Galgen

Die Ampel am Galgen: Eindeutige Symbole bei den Demos der Bauern wie Anfang des Jahres in Bremen Foto: Sina Schuldt/dpa

Wer mit Treckern kommt, bekommt Recht. Diesen Eindruck bekommt, wer die Nachrichten der letzten Wochen verfolgt hat. Denn der Protest aus der Landwirtschaft zeigte Wirkung, die Bundesregierung lenkte ein. Es gab zwar keine radikale Kehrtwende, aber ein deutliches Entgegenkommen. Doch dass viele der Landwirte nicht allein wegen der angedachten Veränderungen bei der Begünstigung für Agrardiesel und Kraftfahrzeugsteuern auf die Straße fuhren, offenbarten Parolen und Symbole.

Eine rote Strohpuppe neben einer gelben und einer grünen vorne an einem Traktor aufgehängt war zu sehen, ein Plakat mit der Botschaft „Klag nicht, kämpf“ ergänzt durch ein Eisernes Kreuz und zwei Schwerter, ebenso wie: „Die Wahrheit siegt“, zusammen mit einem Reichsadler, der in einem Ährenkranz ein Eisernes Kreuz hält. Ein Lastenschlepper zierte ein Transparent mit der Forderung „Asyl­politik stoppen“. Flaggen der gegenwärtigen Reichs­bür­ge­r:in­nen als auch Fahnen der früheren Landvolkbewegung standen im Wind. Der zentrale Feind: Robert Habeck und die Grünen.

Die Eskalation des Protestes in Biberach vor wenigen Wochen ist ein weiteres Resultat einer Eskalation des Diskurses. Ein massives Auftreten der Protestierenden verhinderte den traditionellen Politischen Aschermittwoch der Grünen in der baden-württembergischen Kreisstadt. Ausgerechnet im „Ländle“, das doch einen grünen Landesvater hat, hieß es schnell verwundert.

Wer ist verwundert?

Verwundert konnte aber nur sein, wer die anhaltenden Anfeindungen gegen die Grünen – nicht allein von der AfD – ignoriert. „Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die ­Giftwirkung doch da“, warnte schon der Literaturwissenschaftler ­Victor Klemperer 1947.

Verwundert konnte auch nur sein, wer ebenso ignoriert, dass das „Ländle“ schon lange ein Hotspot der Reichs­bür­ge­r:in­nen und Quer­den­ke­r:in­nen ist. Doch auch andernorts treten sie bedrohlich auf.

Ein aggressives Auftreten hat Anfang des Jahres verhindert, dass eine Fähre, mit der Habeck nach einem privaten Ausflug in Schlüttsiel ankam, anlegen konnte. Protestierende wollten in dem schleswig-holsteinischen Hafenort einen spontanen „Bürgerdialog“ mit dem Bundeswirtschaftsminister. Zu diesem „Dialog“ hatte die Telegram-Gruppe „Landvolk schafft Verbindung“ mobilisiert. Eines der rechten Netzwerke, das sich an vielen Orten bei den Protesten mit einreiht. Doch wer denkt, dass all die radikalen Parolen und aggressiven Aktionen einer rechtsextremen Unterwanderung geschuldet seien, möchte eventuell nicht sehen, dass Bauern und Bäuerinnen selbst solche Positionen und Argumentationen teilen.

Der Extremismus der Mitte

Die Eskalation des Diskurses geht mal wieder mit einem Igno­rieren von Ressentiments einher. Doch den Extremismus der Mitte bei diesen Protesten thematisieren Politik und Medien kaum bis gar nicht. Die Kultur des Wegschauens, Ausblendens bis Nichtsehens hat Hochkonjunktur. Es soll mal wieder nicht sein, was nicht sein soll.

Das „Extreme“ befindet sich für viele Po­li­ti­ke­r:in­nen und Jour­na­li­st:innen immer noch am Rand der Gesellschaft. Die Warnungen vor einem „Extremismus der Mitte“ werden bislang kaum wahrgenommen. In den Studien „Deutsche Zustände“ zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit hatte Wilhelm Heitmeyer schon früh auf eine „rohe Bürgerlichkeit“ hingewiesen, die durchbrechen könnte, wenn Besitzstände und Vorrechte als gefährdet angesehen werden – Etablierten-Vorrechte. Diese „rohe Bürgerlichkeit“ stellt sich gegen die gebotene sozial-ökologische Wende.

Es geht um einen Verteilungskampf für den Bestandsanspruch. Dieser Anspruch könnte auch den Zuspruch für die Proteste erklären.

Ein No-Go

Denn trotz massiven Behinderungen und illegalen Blockaden spricht niemand von Bauern-Terrorist:innen oder gar von „Bauern-RAF“. Die gänzlich andere Reaktion auf Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen wie von der Letzten Generation und ihren Aktionen dürfte auch darauf beruhen, dass das Bestehende, die Besitzzustände neu gedacht und ein wenig neu verteilt werden sollen. Ein No-Go für viele.

Trotz des Wissens, dass wir die sozio-ökonomische Wende dringend schneller vorantreiben müssen, gibt kaum ei­ne:r gerne Substanzielles ab. Diese innere Widersprüchlichkeit führt zu einem moralischen Dilemma, das auch durch den Moralvorwurf an die Kli­ma­aktivs­t:in­nen und Grünen kompensiert wird.

Die Zurückhaltung der Polizei bei den Protesten und deren Bewertung sollte auch nicht allein einer Taktik oder Überforderung zugeschrieben werden. Eine Konsequenz hat sie aber schon: die Radikalisierung des Protests.

Vor wenigen Tagen haben Bauern eine große Menge Gülle und Mist als Blockade auf die B5 bei Wustermark gekippt. Die Folge waren drei Unfälle und fünf Verletzte. „Aktuell verhält sich die Schärfe der politischen und staatlichen Reaktionen umgekehrt proportional zur Gefährlichkeit einer Protestbewegung“ kommentiere Luisa Neubauer bei X. Die aggressivsten Bauernproteste würden am „meisten Nachsicht“ ernten, so die Aktivisten von Fridays for Future. Eine Nachsicht, die eben auch rechte Ressentiments wie die Etablierten-Vorrechte schürt.





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