Berlin. Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber erinnert im Interview zum Osterfest daran, dass Christi Geburt die entscheidende Zeitenwende, „die Zäsur schlechthin“ war.

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Christen feiern Ostern die Auferstehung von Jesus Christus als Zeichen sich erfüllender Hoffnung und des Wandels. Woran denken Sie in diesen Tagen?

Ich denke viel über das Passahfest nach, eine jüdische Feier zur Erinnerung an die göttliche Befreiung der Israeliten aus ägyptischer Sklaverei. Das christliche Osterfest wurzelt hier und ist eine Weiterentwicklung. Jesus Christus wurde zur Zeit des Passahfestes gekreuzigt und von Gott, wie wir Christen überzeugt sind, wieder zum Leben erweckt. Mir ist es in diesem Jahr besonders wichtig, diesen Zusammenhang vor dem Hintergrund des Kriegs im Nahen Osten sowie des Lebensrechts von Juden und Palästinensern in Erinnerung zu rufen. Ostern ist für mich ein lauter Ruf nach Frieden.

Viele Menschen hatten nach der Pandemie gehofft, dass es mit dem normalen Leben weiterginge wie vorher. Stattdessen kam zur permanenten Klimakrise der russische Krieg in der Ukraine mit allen seinen Folgen, die Energiekrise und der Konflikt in Gaza. Was macht Ihnen in solchen Zeiten Mut?

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Mir machen einzelne Menschen Mut, in meiner Familie zum Beispiel. Doch Mut ist im Moment, in einer Situation, in der man oft verzagt ist, nicht so leicht zu haben. Ich möchte denjenigen sehen, der in dieser Bündelung gegenwärtiger Katastrophen schnell mit Lösungen zur Hand ist. Ich glaube, wir müssen lernen auszuhalten, nicht genau zu wissen, wie es weitergehen wird.

Apropos: Wird der Kampf gegen die fortschreitende Erderwärmung politisch derzeit zu sehr von anderen Konflikten überlagert?

Ich empfinde es so, ja. Und ich verstehe es, bedaure aber gleichzeitig, dass diese elementare Menschheitsfrage in den Hintergrund rückt. Alle sollten konkreter und noch intensiver den Fragen nachgehen, was wir tun können, um unseren Nachkommen ein gutes Leben auf der Erde zu ermöglichen. Wir benötigen dringend Fortschritte und tatsächliche Veränderungen.

Altbischof Wolfgang Huber.

Altbischof Wolfgang Huber.

Wie beschreiben Sie die Zeitenwende, die Kanzler Scholz nach der Invasion Russlands in der Ukraine ausgemacht hat?

Als Christen betrachten wir das Kommen Jesu in die Welt als die entscheidende Zeitenwende. Christi Geburt ist die Zäsur schlechthin. Noch heute werden geschichtliche Ereignisse in die Zeit vor oder nach Jesu Geburt eingeordnet. Alle sind gut beraten, das Wort Zeitenwende nicht zu inflationär zu verwenden. Als der Ukraine-Krieg begann, hat Bundeskanzler Scholz mit gutem Grund und nachdrücklich darauf hingewiesen, dass damit nichts mehr so ist, wie es vorher war. Das war ein starker Appell, der dazu beigetragen hat, dass wir in Deutschland einigermaßen schnell und nachdrücklich auf diese Situation reagiert haben.

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Die Zeitenwende betraf auch die friedensethischen Positionen der evangelischen Kirche. Fiel es Ihnen schwer, Ja zu deutschen Waffen im Ukraine-Krieg zu sagen?

Es war bitter, aber alles andere wäre Realitätsverleugnung gewesen. Wir müssen uns der Einsicht stellen, dass wir in einer Welt leben, in der Angriffskriege stattfinden. Wir können uns nicht hinter unserer geschichtlichen Schuld verstecken und den verantwortlichen Umgang mit dieser Realität anderen überlassen.

Menschen, die sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen und auf Verhandlungslösungen dringen, werden häufig als Handlanger Putins dargestellt. Wie sehen Sie das?

Subjektiv sehen sich die meisten Menschen, die solche Meinungen vertreten, sicher nicht als Handlanger Putins. Objektiv schwächt diese Position aber die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine und stärkt damit den Aggressor Russland.

Sind Forderungen wie der „Mut zur weißen Flagge“ durch den Papst nicht ein bisschen verlockend?

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Die Hoffnung, dahin zu kommen, finde ich legitim. Die weiße Flagge setzt aber Vertrauen gegenüber denen voraus, denen sie gezeigt werden soll. Das wäre im konkreten Fall und angesichts des russischen Agierens in der Ukraine mehr als optimistisch – und keinesfalls verlockend.

Das Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 führte in Deutschland zu spontanen Solidaritätsbekundungen mit Palästinensern und sprunghaft ansteigendem Antisemitismus. Haben Sie damit gerechnet?

Ich fand es beschämend und gleichzeitig beunruhigend. Denn dieses entsetzliche Massaker war pure Menschenverachtung, und manche propalästinensischen Demonstrationen vertauschten auf absurde Weise die Rolle von Tätern und Opfern. Leider tritt eine Zwei-Staaten-Lösung durch solche Terrorakte immer weiter in den Hintergrund – und damit auch ein möglicher Frieden.

Wir erleben leider auch einen zunehmenden Antisemitismus von Muslimen, von Linksextremen und vermeintlich Liberalen, zum Beispiel im Kulturbetrieb.

Wolfgang Huber,

Altbischof

Steckt der Antisemitismus wie ein Entzündungsherd in den Deutschen?

Ich will mit Blick auf Deutschland nichts relativieren. Der Antisemitismus ist jedoch kein ausschließlich deutsches Phänomen und auch nicht nur eines von Rechtsextremen. Wir erleben leider auch einen zunehmenden Antisemitismus von Muslimen, von Linksextremen und vermeintlich Liberalen, zum Beispiel im Kulturbetrieb. Das entschuldigt nichts und macht die Lösung der Aufgabe nur umso wichtiger. Vielen Hetzern würde die Spitze gebrochen, wenn es gelänge, dass das Existenzrecht Israels nicht infrage gestellt würde und es zu einer dauerhaften Koexistenz mit den Palästinensern käme.

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Wolfgang Huber

Wolfgang Huber, geboren am 12. August 1942 in Straßburg und aufgewachsen in Freiburg/Breisgau, ist einer der profiliertesten Theologen Deutschlands und Vordenker in ethischen Fragen. Er war von 1994 bis 2009 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Von 2003 bis 2009 fungierte Huber als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Heute widmet sich Wolfgang Huber vor allem der Wertevermittlung in Wirtschaft und Gesellschaft. Seine Schwerpunkte liegen dabei in den Bereichen Wirtschaftsethik, Bioethik, Bildung und Generationengerechtigkeit. Er arbeitet als Publizist und Theologieprofessor an der Berliner Humboldt-Universität, in Heidelberg und im südafrikanischen Stellenbosch. Zuletzt veröffentlichte Huber „Menschen, Götter und Maschinen – eine Ethik der Digitalisierung“ (C.H. Beck). Wolfgang Huber ist mit der Buchautorin Kara Huber-Kaldrack verheiratet; sie haben drei Kinder und sechs Enkel.

Gegenwärtig vertreten Gruppen wie die Bauern, die Klimaaktivisten oder Lokführer der GDL ihre Interessen gegenüber dem Rest der Gesellschaft sehr unerbittlich. Ist das auch ein Teil von Zeitenwende?

Das gehört nicht zur Zeitenwende, sondern zu einer Gesellschaft, die ganz stark auf Eigeninteresse ausgerichtet ist. Niemand sollte vergessen, dass in den letzten Jahrzehnten Menschen dazu aufgefordert worden sind, ihr eigenes Interesse, ihre Individualität als das Entscheidende anzusehen. Nun fällt es schwer, von einer solchen Haltung wieder herunterzukommen, obwohl dies nötiger denn je wäre. Die Lebenssituation anderer sollten wir genauso wichtig nehmen wie unsere eigene.

Ausgerechnet in dieser Situation fallen die christlichen Kirchen aus, weil sie mit sich selbst zu tun und auch erheblich an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben. Oder sehen Sie das anders?

Mich irritiert immer die Ausschließlichkeit, mit der über die Kirchen als nationale Einrichtung gesprochen wird. Die christliche Kirche ist eine weltumspannende Gemeinschaft mit unterschiedlichen Ausgestaltungen. Global betrachtet wächst das Christentum, wie auch der Islam wächst. Das verdient Respekt und sollte Berücksichtigung finden, wenn man von der Kirche redet – in Wahrheit aber nur die deutsche Sichtweise meint. Hier gibt es tatsächlich Probleme, doch dagegen hilft Gejammere kaum. Es sind größere Anstrengungen nötig, neue Wege zu gehen und moderne Strukturen zu entwickeln.

Die Missbrauchsskandale haben dem Vertrauen in die Kirche erheblich geschadet …

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… vor allem hat der Missbrauch denen geschadet, die darunter gelitten haben. Die verbreitete Gleichgültigkeit gegenüber diesen Vergehen ist und bleibt ein Skandal. Es hilft auch nichts, wenn wir als Kirche darauf hinweisen, Missbrauch gebe es auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Als Kirche sind wir aufgefordert, in besonderem Maße die Integrität und die Würde jedes Menschen zu schützen. Diese Verbrechen aufzuarbeiten und Vorkehrung dafür zu treffen, dass dergleichen sich nicht wiederholt, ist vordringlich und muss ohne jeden Zweifel noch intensiver geschehen.

Wolfgang Huber, Bischof i. R., und seine Frau Kara in der Französischen Friedrichstadtkirche im Bezirk Mitte zu Beginn der Andacht anlässlich seines 80. Geburtstags.

Wolfgang Huber, Bischof i. R., und seine Frau Kara in der Französischen Friedrichstadtkirche im Bezirk Mitte zu Beginn der Andacht anlässlich seines 80. Geburtstags.

Sie haben sich intensiv mit der Theologie von Dietrich Bonhoeffer auseinandergesetzt. Was meinen Sie, wie würde Bonhoeffer heute predigen?

Das kann und will ich nicht sagen. Meiner Meinung nach können wir uns an solchen Persönlichkeiten nur ein Beispiel nehmen, indem wir selbst die Verantwortung wahrnehmen, die heute ansteht. Dabei kann ermutigend sein, dass Menschen wie Bonhoeffer in einer Diktatur, also in weitaus schwierigerer Situation, nicht kapituliert haben.

Heute fühlen sich Menschen durch eine permanente Krisenwahrnehmung überfordert und sympathisieren mit Abschottungs- oder Abschiebungsfantasien rechtsextremer Kreise. Reichen dagegen Demokratiedemonstrationen wie zuletzt?

Sicher reichen Bekenntnisse zur Demokratie allein nicht. Sie müssen auch mit Leben erfüllt werden. Es gab in Deutschland in den letzten Jahrzehnten immer wieder Wellen, in denen Menschen auftauchten, die versuchten, die Herausforderungen durch Migration zu missbrauchen, um Menschen zu diskriminieren und die Parole auszugeben, sie müssten zurückgeschickt werden. Wichtig ist, dass Migration von der Politik in zweierlei Hinsicht als Herausforderung benannt wird: dass wir Schutzsuchenden einen sicheren Platz bieten und dass wir mit Arbeitsmigration unser demografisches Problem in den Griff bekommen. Für beides müssen akzeptable Lösungen auf den Tisch kommen, die verständlich sind und niemand überfordern. Das lässt denen, die unsere demokratische, menschenrechtsorientierte Grundhaltung kaputt machen wollen, keinen Spielraum.

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22.09.2023, AfD Kundgebung, Nürnberg: Anlässlich einer Wahlkampfkundgebung der rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland AfD kamen am Freitagabend rund 70 Personen auf den Sebalder Platz vor der Sebalduskirche. Demgegenüber protestierten rund 300 Personen gegen die Rechtsextremisten. Sebalder Platz Bayern Deutschland AfD Kundgebung Nürnberg 22092023-18 *** 22 09 2023, AfD rally, Nuremberg On the occasion of an election campaign rally of the far-right party Alternative for Germany AfD, about 70 people came to Sebalder Platz in front of the Sebaldus Church on Friday evening In contrast, about 300 people protested against the right-wing extremists Sebalder Platz Bavaria Germany AfD rally Nuremberg 22092023 18

Wie die Kirchen an einer christlichen Brandmauer bauen

Die Spitzengremien der beiden christlichen Kirchen sind im Februar in die offene Konfrontation mit der AfD gegangen. Für Katholiken und Protestanten sei die Partei wegen ihrer völkischen Positionen nicht wählbar, erklärten sie. Wie kommt das eigentlich an der Basis an?

Die Umfragewerte für die AfD sind vor den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im September sehr hoch. Manche Landespolitiker geben der in Berlin regierenden Ampel die Schuld. Und was läuft vor Ort falsch?

Jedem sollte klar sein, dass die Forderung nicht reicht, die Dinge besser erklärt zu bekommen. Wer sich beschwert, sollte auch bereit sein, sich zu beteiligen. Das beginnt in der Kommunalpolitik oder der Kirchgemeinde. Ich glaube, es ist sehr wichtig, die lokale Verfasstheit unseres Zusammenlebens, unserer politischen Identität vor Ort wieder stärker in den Blick zu nehmen. Das hilft am besten gegen Sprücheklopfer und gegen die menschenverachtenden Debatten, die wir gegenwärtig erleben. Im Übrigen ist es nicht verkehrt, darauf hinzuweisen, dass wir unsere Lebensqualität zum großen Teil Menschen verdanken, die von außerhalb zu uns gekommen sind. Auch wenn es egoistisch klingt: Die Situation in Bereichen wie der Kranken- oder Altenpflege würde sich dramatisch verschlechtern, wenn wir diesen Rattenfängern nachlaufen würden.

Sie stimmen nicht ein in den Chor der Ampelkritiker?

Die Dreierkoalition macht aus meiner Sicht insgesamt keine qualitativ schlechtere Politik als die Vorgängerregierungen. Es gibt große Herausforderungen. Meckern ist immer einfach. Der Umgang sollte indes respektvoll bleiben. Mich beunruhigt, dass es häufig hingenommen wird, wenn Menschen herabgewürdigt oder bedroht werden, die bereit sind, unter solchen Bedingungen überhaupt noch politische Verantwortung zu übernehmen.

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Die EU hat gerade ein umfangreiches Regelwerk zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz beschlossen. Als Ethiker haben Sie sich intensiv mit KI beschäftigt. Lässt sie sich beschränken?

Es lassen sich Schranken einbauen. Wir kennen das aus den Debatten darüber, was soziale Netzwerke zulassen dürfen und was nicht. Strafen wegen Verstößen gegen die Würde des Menschen sind zum Teil so hoch, dass sie wirklich wehtun. Doch wir sollten nicht angstgetrieben mit KI umgehen, sondern beides tun: kritische Aspekte beobachten, aber ebenso wahrnehmen, dass durch KI viel Gutes – etwa in der Medizin – entstehen kann.

Die Algorithmen sind menschengemacht.

Wolfgang Huber,

Altbischof

Ist der sich selbst weiterentwickelnden KI Ethik und Moral beizubringen?

Die Algorithmen sind menschengemacht. Also sind menschliche Orientierungen für die KI ausschlaggebend. Wir entscheiden selbst über die Richtung der Entwicklung.

Manche sprechen der KI schon göttliche Fähigkeiten zu.

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Gott sei Dank sind vor etwa zweieinhalbtausend Jahren Menschen darauf gekommen, zwischen Gott und Mensch zu unterscheiden. Heute leben wir in einer Zeit der großen kulturellen Entscheidung, ob die Differenz zwischen Menschlichem und Göttlichem auch in Zeiten der KI noch gelten soll oder ob wir meinen, wir könnten sie über Bord werfen.

Das wäre dann der Rückzug des Menschen.

So ist es. Dann kann man nicht mehr zwischen Mensch und Gott unterscheiden. Der Mensch verlöre das Menschliche.



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