Berlin. Auf die Frage, ob er die Koalition platzen lassen würde, könnte Christian Lindner theoretisch auch einfach Nein sagen. Der FDP-Chef antwortet im „Handelsblatt“ nun aber so: „In Berlin ist die Nervosität immer groß. Ich empfehle, sich auf die Sache zu konzentrieren.“ Die Konzentration auf die Sache ist jedoch nicht unbedingt beruhigend. Denn man ist schnell bei den Streitthemen der Ampel.
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Da ist die Schuldenbremse, deren Reform die FDP anders als SPD und Grüne ablehnt, ferner das Bürgergeld, das sozialpolitische Prestigeprojekt der SPD, das die FDP schleifen will; zudem als rotes Tuch für die FDP die Kindergrundsicherung – wiederum das sozialpolitische Prestigeprojekt der Grünen – für das Familienministerin Lisa Paus eine Behörde mit 5000 Stellen schaffen will.
Der Ton ist rau geworden
FDP-Vizefraktionschef Christoph Meyer sagt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), Paus’ Gesetzentwurf sei handwerklich schlecht. Das Parlament müsse ihn neu schreiben, und das brauche Zeit. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Parlament vor Lisa Paus’ Zeitplan oder ihren wirren Forderungen buckelt.“ Der Ton ist rau geworden. Man nimmt schon lange keine große Rücksicht mehr aufeinander.
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Lindner holt sich wiederum von SPD und Grünen einen Korb, wenn es um sein Herzensanliegen – den Ausgleich der kalten Progression – geht. Er will verhindern, dass die Inflation Gehaltserhöhungen auffrisst, die zudem für höhere Einkommenssteuersätze sorgen. Von einer Entlastung der Arbeitenden müssen seiner Ansicht nach auch Gutverdiener und ‑verdienerinnen profitieren, was SPD und Grüne kritisch sehen.
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So erscheint die Gleichung, die der Finanzminister weiter ausführt, nicht eben als Bestandsgarantie für die Koalition. Die Regierung müsse sich auf den Haushalt 2025 und ein Konzept gegen die Wachstumsschwäche verständigen, sagt er. „Wenn das gelungen ist, verschwinden die Spekulationen.“ Wenn.
In der SPD-Fraktion wird der nächste Bundeshaushalt durchaus als Sollbruchstelle gesehen. Anders als im Kanzleramt herrschen Zweifel, dass der Gesetzentwurf dazu bis Anfang Juli, vor Beginn der Sommerpause im Bundestag, steht. Dann aber beginne ein für den Koalitionszusammenhalt gefährlicher Countdown, heißt es.
FDP hat in Umfragen nicht von Ampelbeteiligung profitiert
Die FDP, die 2021 mit 11,5 Prozent in den Bundestag kam, hat in den Ländern von ihrer Beteiligung an der Ampel bislang nicht profitiert. Im Gegenteil. Bei Landtagswahlen fuhr sie hohe Verluste ein, und Umfragen im Bund sehen sie unter der 5-Prozent-Hürde. Sollte Lindner eine Chance darin sehen, seine Partei aus dieser Todeszone zu holen, indem sie die Koalition zerbrechen lässt, bliebe nicht mehr viel Zeit.
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Denn welchen Sinn machte es, nur wenige Monate vor der regulären Wahl die Regierung zu verlassen? Die FDP könnte als panisch empfunden werden. SPD und Grüne könnten es als Minderheitsregierung bis zum Ende durchziehen. Alle Gesetzesvorhaben, die nicht in den nächsten Monaten eingebracht werden, sind in dieser Wahlperiode ohnehin kaum noch umzusetzen.
Die FDP und das Tempolimit: Wissing gehen die Argumente aus
Deutschland fehlen die Schilder, im Volk die Unterstützung, der Koalitionsvertrag verbietet es – um Tempolimits auf der Autobahn zu verhindern, klammert sich FDP-Verkehrsminister Volker Wissing an Luftnummern, kommentiert RND-Hauptstadtkorrespondent Steven Geyer.
Ampel ohne FDP?
Einen Vorteil könnte die FDP wiederum darin sehen: Ohne Neuwahl hätte sie etwas Zeit, in der Opposition FDP pur zu machen. Sollte Lindner aber zu der Überzeugung kommen, dass nur ein vorzeitiges Ende dieser Koalition Schaden vom Land abwenden und die FDP von einem Bruch profitieren würde, müsste er wohl spätestens im Herbst handeln. Eben, wenn es der Regierung nicht gelingt, sich auf den Haushalt und ein Konzept gegen die Wachstumsschwäche zu verständigen.
In der Beurteilung der Wirtschaftslage steht Lindner dem Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck ausnahmsweise näher als Bundeskanzler Olaf Scholz. Während Lindner und Habeck alarmiert über die schlechten Daten sind, sieht Scholz darin noch kein größeres Problem.
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Union will Neuwahl in diesem Jahr
In Spitzenkreisen der Union gibt es längst Überlegungen, wie man mit einem vorzeitigen Ampelaus umginge. Einen Regierungswechsel – FDP und Grüne raus und Union rein – wollen viele in CDU und CSU nicht, um nicht die SPD zu stützen, die nach Meinungsumfragen nur etwa halb so stark wie die Union ist.
Eine Neuwahl ist der Favorit, CDU-Chef Friedrich Merz brachte dafür ein neues Datum ins Spiel: 22. September. Seine Argumentation: „Die Sommerferien wären dann überall vorbei, und mit der Landtagswahl in Brandenburg ist der Tag bereits ein Wahlsonntag.“ Zuvor hatte er von Sommer gesprochen, zur Europawahl am 9. Juni. Dieser Gedanke ist aber schon jetzt überholt.
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Union will sich mit neuem Grundsatzprogramm konservativer aufstellen
Für eine Neuwahl sieht sich das Adenauerhaus gewappnet, insbesondere, weil die Zentrale gerade in den letzten Zügen der Ausarbeitung des neuen Grundsatzprogramms ist. Damit will sich die CDU-Spitze konservativer aufstellen und wieder unterscheidbar sein.
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Trotz der recht stabilen Umfragen für die CDU zweifeln einige in der Partei aber an der Kampagnen- und Regierungsfähigkeit des möglichen Spitzenkandidaten. Die Europawahlen gelten als Generalprobe für Merz, der noch keine Landtags- oder Bundestagswahl gewonnen hat, geschweige denn Regierungserfahrung sammeln konnte. In der Partei wird auch kritisiert, dass der CDU-Chef sich intern kaum abspreche. Ihm fehlten ein „Team Merz“ und eine Figur, wie es Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt für Olaf Scholz ist.
Wer Wahlen gewinnen und ein Land regieren will, braucht gut orchestrierten Rückenwind aus der gesamten Partei, heißt es. Damit hatte die SPD 2021 die Wahl überraschend gewonnen.