Über den Wolken mag die Freiheit grenzenlos sein. Am Boden aber kämpft die Klimadiktatur um das Herrschaftsrecht. Im Mai 2023 haben in Genf gut 100 Aktivisten die Privatflugmesse EBACE sabotiert, indem sie Rollfelder blockierten und sich an Flugzeuge ketteten. Privatjets sind für Organisationen wie „Stay Grounded“ die Flugzeug gewordene Perversion des Reisens, mit der Superreiche die Klimakrise mutwillig befeuern für ihren persönlichen Luxus.

Ganz Unrecht haben die Klimakämpfer natürlich nicht: Privatflieger produzieren laut Studien pro Sitz etwa 14-mal so viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) wie kommerzielle Flüge. Zugleich erreichen die Verkaufszahlen für Privatjets seit Jahren immer neue Flughöhen. Doch Robert Baltus, Organisator von EBACE in Genf, sieht den privaten Luftverkehr als eine Art fliegendes Labor für neue Technologien an: Ob Hybrid-, Wasserstoff- oder E-Flieger – „das alles wird zuerst in Privatjets auf den Markt kommen“, sagt er in der Arte-Doku „Grünes Fliegen“ (abrufbar in der Mediathek).

Verzicht als Königsweg?

Gut 120 Jahre nach den ersten Flugversuchen der Gebrüder Wright ist das Fliegen zum Problem geworden. Wer heute in ein Flugzeug steigt, ob für eine Geschäftsreise oder den Urlaub auf den Balearen, steht unter Rechtfertigungszwang: Wäre es nicht auch anders gegangen, etwa mit der Bahn oder dem Schiff? Wieso die Vertragspartner in London treffen, wo es doch Zoom gibt? Und warum Fuerteventura, wenn auch Föhr einen Sandstrand besitzt?

Die Klima-Guerilla predigt Verzicht als den Königsweg: Balkonien statt Balearen. Doch Deutschland will nicht verzichten: 70 Millionen Ferienreisen mit mindestens fünf Tagen Dauer prognostiziert die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) für 2024; im Ranking des Konsumverhaltens der Deutschen liegt die Urlaubsreise nach Lebensmitteln auf Platz 2 und damit noch vor Wohnen, Gesundheit und Freizeit. Der weltweite Luftverkehr wächst jährlich im Schnitt um fünf Prozent – es sei denn, es ist Pandemie und die Welt bleibt zu Hause.

Alt-Grüner: „Wir können ja nicht einfach aussteigen aus dieser Realität“

Flugscham zu verbreiten und sich auf Rollfelder zu kleben, mag in den Augen der Umweltaktivisten eine Lösung sein. Da der Mensch aber nun einmal fliegen will (und manchmal auch muss), ist es sinnvoller, stattdessen neue Transformationsrouten für den Luftverkehr zu entwickeln. „Wir können ja nicht einfach aussteigen aus dieser komplexen Realität“, sagt selbst der Alt-Grüne Ralf Fücks, Leiter des Zentrums Liberale Moderne in Berlin. „Ich sehe die Gefahr eines Kulturkampfs“, warnt er – zwischen Klimaaktivisten und „der Mehrheit der Gesellschaft“, die einfach gerne abhebt.

Die Arte-Doku serviert einen Zwischenstand der Forschung. Da ist etwa das deutsche Start-up Volocopter, dessen strombetriebenes Lufttaxi ab 2030 zwischen Manhattan und der Freiheitsstatue kreisen soll. Geschäftsführer Dirk Hoke will nichts weniger als den Tesla der Lüfte bauen. „Wir werden uns irgendwo zwischen Automobil und Luftfahrt ansiedeln“, glaubt er. Konkurrent Lilium hat für seinen Mini-Jet noch immer keine Flugerlaubnis, aber schon mehr als 600 Stück verkauft: Das Interesse am „besseren“ Fliegen ist groß.

Grüner fliegen – mit Wasserstoff oder Frittierfett?

Das Unternehmen Heart Aerospace in Göteborg arbeitet an einem Flugzeug für 30 Passagiere. Mitbegründer Anders Forslund setzt auf die Hybrid-Technologie: Der Start und die ersten 200 Flugkilometer sollen per Batterie erfolgen, danach übernimmt ein Generator im Rumpf – angetrieben mit fossilem oder nachhaltigem Treibstoff. Und auch mit wasserstoffelektrischen Flugzeugen wird experimentiert, etwa bei dem Unternehmen ZeroAvia. Airbus baut bereits einen A380 um auf Wasserstoffantrieb, 2026 sollen die ersten Testflüge starten.

Bis 2050 soll der Luftverkehr klimaneutral sein, hat die Industrie versprochen. Die Roadmap für „Destination 2050“, die Klimaschutzstrategie der europäischen Luftverkehrswirtschaft, setzt auch auf die Entwicklung alternativer Kraftstoffe. Eine 40-prozentige Beimischung von Biosprit bis 2045 ist das Ziel der EU, bis 2050 sollen es 70 Prozent sein. Hier könnten altes Frittierfett oder auch Fettabfälle aus der Gastronomie und Industrie eine neue Verwendung finden.

Das Problem: Biosprit ist viel teurer als herkömmlicher Treibstoff, der lange – zu lange – steuerfrei zu haben war. „Die EU muss da ambitionierter werden“, fordert Fücks. Übrigens: Die Ampelregierung hat in diesem Jahr Forschungsgelder für klimaneutrales Fliegen gestrichen.

Der Welt ginge es schlechter ohne die Luftfahrt, glaubt Anders Forslund, Gründer von Heart Aerospace: „Wir hätten mehr Konflikte, mehr Kriege, weniger Toleranz, weniger Verständnis füreinander.“ Denn Fliegen stillt nicht nur Fernweh, sondern erweitert die Perspektiven: „Wer die Welt von oben sieht, will die Welt unter sich schützen“, postuliert die Doku. Flugscham hingegen macht die Welt wieder klein und eng: Durch Zwangsverzicht ist noch nie etwas Neues entstanden.





Source link www.focus.de