Die SPD hat im vergangenen Jahr fast 15.000 Mitglieder verloren. Noch nie hat ein Bundeskanzler so viel Vertrauen verloren wie der aktuelle Ampel-Kanzler – Angela Merkel kam zu Corona-Zeiten noch auf 75 Prozent bei der Bevölkerung, Olaf Scholz im Januar nur auf 20 Prozent. Mitgliederverlust, Vertrauensverlust: Vielleicht erklärt das, was Scholz bei einer Regionaltalkshow wie der NDR-Sendung „3nach9“ verloren hat. Es ist die 600. Ausgabe der NDR-Sendung. Es ist der erste Bundeskanzler, der Platz nimmt zwischen den üblichen Buch-Hochhaltern und Selbst-Promotern. Höhepunkt? Tiefpunkt? „Heute wird es ganz, ganz besonders“, verspricht jedenfalls Moderator Giovanni di Lorenzo.

„Wissenschaftlich sind wir alle Sternenstaub, auch Olaf Scholz!“

„Herr Bundeskanzler, warum sind Sie unserer Einladung gefolgt?“, grübelt gleich zu Beginn Co-Moderatorin Judith Rakers. Der Kanzler antwortet mit einem Kompliment. Zwar passe Fernsehen üblicherweise nicht in seinen Tagesplan für ihn und seine Frau. „Was wir ziemlich oft gucken“, gibt Scholz zurück, sei freitags der Talk, „die Mutter aller Talkshows.“

Er verrät, dass er als Schüler völlig unsportlich war. Dass er erst mit 40 begonnen hat, das Laufen und das Rudern für sich zu entdecken. Jetzt entdeckt er das NDR-Sitzen für sich. Scholz bekommt keine Vorzugsbehandlung. Vor ihm werben Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim und Marie Meimberg für ihre Kinderbuchreihe. „Wissenschaftlich sind wir alle Sternenstaub, auch Olaf Scholz“, versichert die Kulturwissenschaftlerin Meimberg.

„Kennen Sie Selbstzweifel, Herr Scholz?“

„Wie wurde Olaf Scholz zu Olaf Scholz?“, thematisiert dann auch das Fast-Geburtstagskind Giovanni di Lorenzo, das in seinen 65. hineintalkt: „Haben Sie sich Ihren Job so vorgestellt, auf was könnten Sie gut verzichten?“ Der Streit in der Ampel ist eine der Antworten. „Mich ärgert natürlich, so viel Tempo, so viele Entscheidungen hat es lange nicht gegeben, aber es wird verdeckt von dem Lärm. Das ist bedrückend.“

Menschliche Wärme hat er offensichtlich in der Woche zuvor eher beim Papst-Besuch in Rom empfunden. „Kennen Sie Selbstzweifel?“, will di Lorenzo wissen. „Alles andere wäre eine furchtbare Nachricht. Alle anderen müsste man um ihre mentale Gesundheit befragen.“

Was dem Kanzler wirklich gut gelingt

Selbstzweifel sind das eine. Dann gibt es die Zweifel der anderen. „Wie halten Sie diese Form der Anfeindungen aus?“, fragt di Lorenzo. Scholz antwortet sehr persönlich. Ihm helfe, innerlich gefestigt zu sein: „Wer Politik mit Schaum vorm Mund macht, macht es falsch.“ Und dann spricht er über sein Privatleben, seine Frau. Und seine Küche. Was er von seiner Frau gelernt hat, die er schon als Jung-Jurist lieben gelernt hat? „Andere Menschen zu mögen ist das, was einen begleiten sollte. Die Zuneigung, die Liebe – das ist das, was ich am meisten mitgenommen habe.“

Er bekommt auffallend viel Applaus. Und fühlt sich ermutigt, auch über seine Kochkünste zu reden. Königsberger Klopse? „Wenn man einmal weiß, wie’s geht, ist das ganz einfach zuzubereiten.“ Fisch? „Ich esse gerne ganze Fische. Der letzte war ein Zander. Ist gut gelungen.“

„Das hätte ich den Deutschen so nicht zugetraut“

Womit wir bei den guten Nachrichten sind. Bernhard Vogel, 91, einst Ministerpräsident in zwei Bundesländern, hat den deutschen Zusammenbruch 1945 erlebt und erlitten.  „Die Schwierigkeiten heute sind nicht größer, sie sind wieder zu bewältigen“, versichert Vogel. Dann schränkt er ein: Wenn genügend Menschen anfassen.“ Auch da zeigt er sich optimistisch. Die aktuellen Demonstrationen für Demokratie haben ihn beeindruckt. „Das hätte ich den Deutschen so nicht zugetraut.“





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