Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 09/2024.
Der Tod ist nicht das Ende. Wenn ein Mensch
gestorben ist, beginnen Bakterien und Pilze den Körper zu zersetzen. Im Inneren
fault er, außen verwest er. Nur darf er das nicht, wenn man den Körper im
Jenseits noch braucht. Im Alten Ägypten glaubte man an ein Leben nach dem
Tod, an ein Dasein in der Unterwelt. Doch dafür waren die Toten auf ihre Körper
angewiesen. Also wurden sie konserviert: Sie wurden zu Mumien gemacht.
Heute, Jahrtausende später, ist die Faszination von
Mumien immer noch groß: als Boten aus dem Reich des Todes, als unsterbliche
Zeugen aus der Vergangenheit und natürlich als Figuren in Schauergeschichten
und Horrorfilmen. Doch obwohl Mumien aus der Popkultur kaum wegzudenken sind,
steht ihr heutiger Kultstatus in keinem Vergleich zur Begeisterung, die im 19.
Jahrhundert in Europa herrschte – in der Ära der Mumienmanie.
Zu jener Zeit brachten wohlhabende europäische Bildungsreisende
Mumien als Mitbringsel aus Ägypten nach Europa. Der Adel lud zu Mumienpartys ein.
Und zu Pulver zermahlene Mumien galten als gesundheitsfördernd. Diese Zeit hat Auswirkungen, bis heute. Denn die Mumienmanie
der Vergangenheit erschwert Forscherinnen und Forschern in der Gegenwart die
Arbeit.
“Es sind alles linke Füße”
Einer dieser Forscher ist Enrico Paust. Er arbeitet
am Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, er betreut dort auch die Sammlung. Im vergangenen
Jahr sind neue Objekte hinzugekommen – darunter 17 Fragmente
ägyptischer Mumien: vier Schädel, zwei Unterkiefer und mehrere Füße. “Es sind alles linke Füße”, sagt Paust. Der Grund auch dafür:
vermutlich die Mumienmanie.
Die konservierten Körperteile hat Paust gemeinsam mit Kolleginnen
und Kollegen untersucht (PDF), so schonend wie
möglich. Denn die Fragmente sind nicht nur Relikte aus einer anderen Welt, sie
sind eben auch human remains, wie man in der Wissenschaft sagt, menschliche Überreste. Heute gilt es als selbstverständlich,
dass diese Toten – und was von ihnen übrig ist – mit Pietät behandelt werden, dass die
Überreste einen sensiblen Umgang erfordern. Doch dieses Verständnis ist ein Verständnis des 21.
Jahrhunderts.
Napoleons Feldzug weckte die Ägyptomanie
Fasziniert von der Welt der Alten Ägypter brachten erste Europäer schon im
Mittelalter Mumien nach Europa. Neuen, gewaltigen Schwung verlieh der Begeisterung später Napoleon mit seinem Ägyptenfeldzug. Im Jahr 1799 stießen seine Soldaten auf den sogenannten Stein
von Rosetta, der heute zu den berühmtesten und meistbesuchten Objekten im British
Museum in London zählt. In diesen Stein ist derselbe Text in drei Sprachen und
Schriften graviert – eine davon sind altägyptische Hieroglyphen. Der Fund machte es zum ersten Mal möglich, diese Schriftzeichen zu
entschlüsseln. Und eine vergessene, rätselhafte Welt öffnete sich.
Die französischen Truppen kehrten aber nicht nur
mit Steinen im Gepäck zurück. “Der Führer der napoleonischen Expedition hat
zwei Mumienköpfe mitgebracht”, sagt Renate Germer. “Die hat er der Kaiserin
Josephine geschenkt. Sie sind noch heute in Schloss Malmaison ausgestellt.”
Germer ist Ägyptologin, Biologin und arbeitet seit Jahrzehnten als Fachfrau für Mumien, unter
anderem mit dem Neuen Museum in Berlin. Die Begeisterung für Ägypten,
sagt sie, war damals eng mit Mumien verbunden. “Die ganzen
kleinen Fürsten aus Deutschland fuhren auf Bildungsreise nach Ägypten. Und da
wurde selbstverständlich erwartet, dass sie eine Mumie mitbrachten. Und wenn
sie etwas mehr Geld hatten, auch einen schönen Sarg dazu. Das war für diese Kreise
ein Statussymbol.”
Ähnlich klingt es auch in den Aufzeichnungen des
französischen Adligen und späteren Mönchs Ferdinand von Geramb. 1833 notierte
er: “Es wäre wenig respektabel, sich bei seiner Rückkehr aus Ägypten ohne eine
Mumie in der einen und ein Krokodil in der anderen Hand zu präsentieren.”
Mumien kauften Sammler und Reisende aber nicht nur,
um sie zu besitzen. Man wollte sie zur Schau stellen. “Es gab öffentliches
Mumienauswickeln in anatomischen Theatern oder kleinen Hörsälen”, erzählt Germer.
Und der europäische Adel, etwa in Frankreich, in Deutschland oder im
viktorianischen England, veranstaltete sogar Mumienpartys – auf denen konservierte menschliche Überreste vor den Augen eines begeisterten Publikums ausgepackt
wurden. Gelegentlich wurde dabei wohl auch der Schädel einer Mumie zertrümmert – um
zu zeigen, dass das Gehirn tatsächlich entfernt worden war. Wissenschaftliches
Interesse war bei diesen Veranstaltungen meist vorgeschoben. Mumienauswickeln
wurde zum Spektakel.
Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 09/2024.
Der Tod ist nicht das Ende. Wenn ein Mensch
gestorben ist, beginnen Bakterien und Pilze den Körper zu zersetzen. Im Inneren
fault er, außen verwest er. Nur darf er das nicht, wenn man den Körper im
Jenseits noch braucht. Im Alten Ägypten glaubte man an ein Leben nach dem
Tod, an ein Dasein in der Unterwelt. Doch dafür waren die Toten auf ihre Körper
angewiesen. Also wurden sie konserviert: Sie wurden zu Mumien gemacht.
Heute, Jahrtausende später, ist die Faszination von
Mumien immer noch groß: als Boten aus dem Reich des Todes, als unsterbliche
Zeugen aus der Vergangenheit und natürlich als Figuren in Schauergeschichten
und Horrorfilmen. Doch obwohl Mumien aus der Popkultur kaum wegzudenken sind,
steht ihr heutiger Kultstatus in keinem Vergleich zur Begeisterung, die im 19.
Jahrhundert in Europa herrschte – in der Ära der Mumienmanie.