Berlin. Aus Schaden klug werden, ist eine Tugend der wahrhaft Tapferen. Den Mut, sich auf steiniges Terrain zu begeben, will man angesichts ihrer Einladungen an rauflustiger AfD-Prominenz weder ARD noch ZDF oder Welt TV absprechen. Die Klugheit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, dagegen schon eher. Vier Tage nur, nachdem Caren Miosga weitestgehend an Tino Chrupalla abgeprallt ist, bat ihre Kollegin Maybrit Illner den Rechtspopulisten erneut zur öffentlich-rechtlichen Talkrunde – und siehe da: Es ging auch im Zweiten erwartbar schief.

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Obwohl der Einspielfilm die stündlich wachsende Zahl belastbarer Spionage- und Korruptionsvorwürfe gegen Chrupallas EU-Spitzenkandidaten Alexander Krah und Petr Bystron auf 120 Sekunden verdichtet, bleibt nach einer Stunde Fernsehdebatte vor allem eins hängen: Juli Zehs starker Satz vom „Lagerfeuer des Grauens”, an das sich die Bestsellerautorin in ihrer Funktion als Richterin am Brandenburger Verfassungsgericht setzen darf, besser: muss.

Er fällt nach 30 von 60 Minuten, in denen sie und auch der ehemalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet oder BDI-Präsident Siegfried Russwurm kaum zu Wort kommen. Wie auch? Es reden, nein: zanken, nein: toben schließlich allein Tino Chrupalla und die „Spiegel“-Autorin Melanie Amann. Worüber, das ist nicht ganz so einfach auszumachen. Zwischen zwei Fragen der couragierten Maybrit Illner unterbrechen sich beide irgendwann handgezählte einundzwanzig Mal.

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Indizien für Landesverrat häufen sich

Fast zwei Dutzend Belege einer destruktiven Streitkultur, sobald mit Rechten vor Kameras geredet wird. Fast zwei Dutzend Belege des „riesigen Kommunikationsproblems”, das Juli Zeh in aller Ruhe entlarvt. Fast zwei Dutzend Belege verrohter Sitten, hinter denen der Inhalt verschwindet. Der Vollständigkeit halber: Amann wirft Chrupalla vor, „in Nibelungentreue” hinter Krah und Bystron zu stehen, obwohl sich die Indizien ihrer landesverräterischen Hilfe für China und Russland häufen.

Der wiederum hält ihr – Überraschung – „sowohl im Juristischen als auch im Politischen die Unschuldsvermutung” entgegen, mahlt dabei zwar angespannter als üblich mit den Zähnen, flüchtet sich aber flugs in den Grundkurs populistischer Diskurse: Whataboutism. Auf Spielplätzen als „selber doof!” beliebt. Während Amann zu Recht fragt, was wohl die AfD umgekehrt täte, wenn „eine andere Partei diesen Vorwürfen ausgesetzt wäre” und dafür den AfD-Nachwuchschef Hannes Gnauck zitiert, kontert Chrupalla folglich mit „5 Millionen Euro, die der ‚Spiegel´ von der Bill-Gates-Stiftung” erhalte.

Juli Zeh bei "Maybrit Illner".

Juli Zeh bei “Maybrit Illner”.

Viel Show, aber wenig Talk

Das Zitat seines Parteikollegen jedenfalls interessiert ihn nicht weiter. So geht es volle 62 Minuten Talkshow, in der viel Show, aber wenig Talk vorkommt. Maybrit Illner will vom Einzelkämpfer zu ihrer Rechten noch wissen, ob er Putin für einen Kriegsverbrecher hält und Chrupalla? Der antwortet, dass Barack Obama (man ahnt es) der wahre Kriegsverbrecher ist und überhaupt, was denn bitte schön mit „Syrien, Libyen, dem Irak” sei, wo ja auch irgendwas mit Krieg und Verbrechen stattfinde.

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Da kann Juli Zeh, die dem AfD-Paria als Wahlostdeutsche mit Waffenstillstandssehnsucht zumindest ein, zwei Millimeter nähersteht als der restliche Stuhlkreis, noch so sachorientiert fragen, ob der AfD im EU-Wahlkampf „eigentlich etwas Sinnvolles dazu einfällt, was aus Europa werden könnte?” – außer ihr will hier eigentlich niemand thematisch diskutieren. Schon gar nicht Tino Chrupalla, der sich – man muss das neidlos anerkennen – allein gegen alle zusehends wohlzufühlen scheint.

ZDF-Talkerin Maybrit Illner

ZDF-Talkerin Maybrit Illner

„Nicht anfassen!”

Vielleicht begeht er deshalb irgendwann den eklatantesten Bruch aller Gesprächskulturen und grabscht Maybrit Illner an die Hand. Ihr entgeistertes Gesicht, gepaart mit dem Befehl „nicht anfassen!”, wäre allein schon Strafzahlungen in Höhe des mutmaßlichen Schmiergeldes in der AfD-Kriegskasse wert. Als Chrupalla seine Übergriffigkeit mit der Klage darüber erklärt, ständig unterbrochen zu werden, belässt es die Moderatorin allerdings mit der sarkastischen Volte, „Sie haben wirklich ein dramatisches Schicksal.”

Das hat er nämlich nicht. Im Gegenteil. Mit Juli Zeh als neutrale Kraft zur Seite, die alle anderen förmlich anfleht, nicht jeden Diskurs sofort auf die AfD zuzuspitzen und damit deren Opferrolle zu fördern. „Reden Sie doch mal weiter, ohne immer gegen Herrn Chrupalla zu reden”, formuliert es die Schriftstellerin leicht radebrechen, aber stichhaltig in Armin Laschets Richtung und ermutigt den Außenseiter kurze Zeit später zur Aussage: „Sie haben nicht Angst um die Demokratie, Sie haben Angst vor der Demokratie.”

Touché. Als dann noch irgendwer sagt, beim Publikum bliebe von dieser Gesprächsrunde hängen, „Herr Chrupalla plakatiert Friedenstauben und Frau Amann kriegt Geld von Bill Gates”, ist auch dieser Versuch, mit Rechten zu reden, so krachend gescheitert, wie jeder andere zuvor. Klicks und Quote bringt er dennoch, nein: gerade deshalb. Auch aus dem Schaden dieser Sendung wird also vermutlich niemand klug, ob im Ersten oder Zweiten. Ihr Titel lautet übrigens „Russland, China, Spionage – vertritt die AfD deutsche Interessen?” Fast vergessen …



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