Großschirma hat Rolf Weigand (AfD) zum Bürgermeister gewählt. Sein Vorgänger litt unter rechten Anfeindungen – und hatte sich das Leben genommen.
BERLIN taz | Während am Sonntag in Wiesbaden, Erfurt, Nürnberg, Würzburg und anderen Städten erneut Zehntausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen sind, haben die 4.400 Wahlberechtigten der sächsischen Kleinstadt Großschirma einen AfD-Bürgermeister mit 59,4 Prozent der Stimmen gewählt. Der AfD-Landtagsabgeordnete Rolf Weigand brauchte nur einen Wahlgang und ist damit bereits der zweite Bürgermeister der AfD in Sachsen – nach Pirna, wo die AfD sogar einen Oberbürgermeister stellt. Weigand setzte sich gegen einen Kandidaten einer unabhängigen Bürgervereinigung (22,3 Prozent) und einen CDU-Mann (18,2 Prozent) durch. Die Wahlbeteiligung lag bei 73,9 Prozent.
Der Ausgang der Wahl in Großschirma zeigt nicht nur, wie Stadt und Land auseinanderdriften. Er zeigt auch wie unter einem Brennglas, was die regionale politische Alltagskultur in ländlichen Regionen, in denen die AfD durch eine rechte Hegemonie weitgehend normalisiert ist, für diejenigen bedeutet, die sich der AfD entgegenstellen.
Stattfinden nämlich musste die vorgezogene Wahl, nachdem sich der bisherige Amtsinhaber Volkmar Schreiter im Oktober 2023 das Leben genommen hatte. Zuvor war er jahrelang von rechts angefeindet worden, wie die Freie Presse verdienstvoll recherchiert hat. Insgesamt war Schreiter 19 Jahre lang Bürgermeister in Großschirma. Er war FDP-Mitglied, bekannt aber vor allem als pragmatischer Verwaltungschef.
Eigentlich hatte Schreiter schon 2018 mit dem Ruhestand geliebäugelt, aber als die AfD antrat, entschloss er sich, noch einmal dagegenzuhalten. Überliefert ist das Zitat: „Jedem anderen würde ich es überlassen. Aber nicht einem Kandidaten von dieser Partei.“
Zermürbende Fundamentalopposition
Sein Konkurrent damals: der nun gewählte Weigand, der damals noch deutlich unterlag, aber aus dem Stand 40 Prozent holte. Im Wahlkampf gab es beschmierte Wahlplakate und ausdauernde Anfeindungen gegen den Amtsinhaber, die auch nach der Wahl nicht abrissen: Bei seiner Vereidigung ließ der AfD-Politiker dem Bürgermeister ein Vergissmeinnicht überreichen, was viele als Drohung verstanden.
Im Stadtrat fuhr Weigand anschließend eine Taktik der zermürbenden Fundamentalopposition gegen den Verwaltungschef, Stadtratssitzungen zogen sich in die Länge, Weigand allein reichte sechs Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Schreiter ein. Großschirma ist in Sachen Anfeindung kein Einzelfall. Eine Studie von 2021 zeigte, dass 72 Prozent der Bürgermeister in Deutschland bereits beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen wurden – im Zuge der Pandemie hat sich der Trend verstärkt.
Warum Schreiter sich das Leben genommen hat, ist nicht abschließend geklärt, einen Abschiedsbrief hinterließ er nicht. Sicher ist: Er litt unter Depressionen, hatte eine Auszeit wegen Burnouts genommen. Viele in der Gemeinde sind sich sicher, dass die permanenten Anfeindungen von rechts damit zu tun haben.
Der Pfarrer Justus Geilhufe der 5.500- Einwohner*innen-Gemeinde im Landkreis Mittelsachsen hatte bei seiner Trauerfeier laut der Freien Presse gesagt: „Wie soll das Leben gehen, wenn der andere kein Streitpartner mehr ist, sondern einer, der am Ende wegmuss, weil er der Macht des anderen im Weg steht? Es ist nicht dieser Tod, der unser Zusammenleben erschüttert. Dieser Tod ist das Ergebnis dessen, dass unser Zusammenleben lange schon erschüttert ist.“
Verrohung der Stimmung
Auch in Großschirma war vor allem nach Pegida zusehends die Stimmung verroht. Schon bei der Bundestagswahl 2017 holte die AfD hier starke Ergebnisse. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Heiko Hessenkemper verbreitete Verschwörungsideologien vom „Großen Austausch“ und redete mit NS-Vokabular von „Umvolkung“.
Der neue AfD-Bürgermeister, Rolf Weigand, 39 Jahre, war Vorsitzender der selbst innerhalb der AfD als besonders radikal geltenden Jugendorganisation Jungen Alternative. Sowohl diese als auch die AfD Sachsen sind mittlerweile vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.
Weigand selbst ist Treiber der Radikalisierung: Er besuchte Treffen des völkischen Höcke-Flügels, im Landtag fiel er mit rassistischen Forderungen auf wie die nach einer Liste aller gebärfähigen Frauen, aufgeschlüsselt nach Nationalität und Staatsangehörigkeit. Er ist mit der extrem rechten Identitären Bewegung vernetzt. Weigand wollte Plakate hängen gegen Geschlechtergerechtigkeit, die selbst die Bild für eine widerliche Kampagne hielt.
Der Rechtsextremismus-Experte David Begrich sagte der taz: „Große Demonstrationen in großen Städten gegen die AfD finden in einer von ostdeutschen Kommunen getrennten Sphäre statt. Metropolregion und Peripherie driften absehbar politisch auseinander.“ Das Wahlergebnis setze den Prozess der Normalisierung fort – „eine Entwicklung, die in den Kommunalwahlen im Sommer noch stärker zu Tage treten wird“, so Begrich.
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111 oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seelsorger*innen zu chatten.