Im Mailpostfach des DFB dürften gerade zwei sehr unterschiedliche Strömungen zusammenlaufen. Beide haben mit der gestrigen Vorstellung der neuen EM-Trikots zu tun.

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Während das von Experimentierfreude geprägte lila-pinke Auswärtstrikot einige Tiraden und Schimpfe anziehen dürfte, gibt es auffallend viel Lob für den Imagespot des neuen Heimtrikots.

Auffallend, weil in letzter Zeit ja nahezu alles vom DFB durchfiel: die missglückte Kabinendoku aus Katar, das Marketinggewäsch um den Slogan „Die Mannschaft“ und nicht zuletzt der Sport selbst, Stichwort Vorrundenaus.

Absolut erfrischend kommen da nun diese rund zwei ironischen Minuten von Sponsor Adidas daher. Leitfrage: Was ist eigentlich typisch deutsch?

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„Tipik Alman“ sagt der DFB-Kapitän dazu

Es geht schon beim Setting los, ein Berliner Späti, Wiege der deutschen Alltags- und Nachtkultur. Zwei Jugendliche, eine von ihnen findet das neue Heimtrikot „typisch deutsch halt“.

Und löst damit einen Bildersturm von vermeintlich deutschen Gewohnheiten (Pünktlichkeit, Regelwut, Adiletten) und Großstadt-Gegenwart (Eistee-Trinkpacks, Clubkultur, verschiedene Herkunftsländer) aus.

Ein Klischee bricht dabei immer das nächste: „Döner“, bestellt eine junge weiße Frau, „aber bitte ohne scharf“; „tipik Alman“, kommentiert Nationalmannschaftskapitän Ilkay Gündogan über ihre Schulter.

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„Was ist mit Goethe, Schiller?“ wirft eine Studentin ein, im nächsten Moment klingelt es bei „Müller“ – woraufhin das Münchner Urgestein, der Thomas vom FC Bayern, vom Plattenhausbalkon grüßt.

Autoposer und Fahrradfetischisten, Kebap-Imbiss und verrauchte Eckkneipe finden hier zusammen. Der Rapper RIN und Rudi Völler, der Streamer Elias Nerlich und Leon Goretzka.

Happy End: Gündogan gewinnt für die DFB-Elf das Elfmeterschießen, auch das eine Eigenschaft, die den Deutschen zugeordnet wird.

Botschaft: Auf den Fußball können sich trotz unterschiedlicher Lebenswelten und -weisheiten eben alle einigen. Oder, wie es ein Vertreter von Adidas gegenüber dem Marketingportal „Horizont“ noch deutlicher machte, der Spot solle zeigen, „dass es dieses klassische ‚typisch deutsch‘ eben gar nicht gibt. Anders gesagt: Das Typische liegt in den Unterschieden und in der Vielfalt.“

So kommt der Film vom seinem Stil her sehr nah an den Zeitgeist heran. Und wirkt hundertmal authentischer als etwa der Trikot-Spot zur Brasilien-WM vor zehn Jahren, der in seiner Ästhetik an Duschgelwerbung erinnert.

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„Seit 2014 nicht mehr so was Gutes vom DFB gesehen!“

Die Begeisterung für die 2024er-Version schwappt auch in die YouTube-Kommentarspalte: @dietermaschiene1580 hat „Gänsehaut“. Genau diese Offenheit und Vielfalt seien für ihn „typisch für das Deutschland, in dem ich gerne lebe“.

@BigBalkanBro bekennt, „Ich bin gehypt!“, @franzpoekler hat „Seit 2014 nicht mehr so was Gutes vom DFB gesehen!“ und @jimidando fasst den Lovestorm zusammen: „wow, jetzt hab ich sogar wieder Lust auf unser Team“.

Rettet ein Imagespot aus dem Hause Herzogenaurach uns da gerade die EM-Stimmung?

In seiner Machart persifliert die Werbung jene berühmt-berüchtigten Marketingkampagne, die das Land vor der Heim-WM 2006 einen sollte. Günther Jauch, Maria Furtwängler, Marcel Reich-Ranicki säuselten der Nation damals was von „Du bist Deutschland“. Klappte nur so halb gut. Auch Xavier Naidoo war damals dabei. Der Spot ist nicht gut gealtert.

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In wenigen Tagen soll von Adidas nun sogar noch ein zweiter Film fürs schon jetzt übel beleumdete Auswärtstrikot folgen. „Gleichzeitig haben wir die Kommentare, die zu erwarten sind, schon vorab mitgedacht, wodurch sie ironisiert werden“, fachsimpelte der Adidas-Mann gegenüber Horizont. Das klingt sehr nach der dritten ironischen Ebene. Setzen Werber und Markenartikler noch einen obendrauf?

Fürs Erste gilt für die vorhandenen zwei Minuten Selbstbespiegelung, für dieses Werk, an dem immerhin ein ganzes Jahr lang gefeilt wurde: Du bist Deutschland.



Source link www.ostsee-zeitung.de