Neuhausen – Vier Autospuren, die sogar mit Tempo 60 befahren werden dürfen. Trams in zwei Richtungen, die Vorfahrt haben, auch wenn die Fußgängerampel grün zeigt. Und obendrauf noch Fahrräder, abbiegende Autos von zwei Seiten und Autos, die an dieser Stelle eine der wenigen Möglichkeiten haben, einen U-Turn zu machen.
Gefährlicher Schulweg an der Dachauer Straße in München: Besorgte Eltern, untätige Stadt
Da ist also ganz schön was los an der Ecke Dachauer Straße/Heideckstraße in Neuhausen, wo täglich sehr viele Kinder über die viel befahrene Dachauer Straße zu ihrer Schule müssen, der Gertrud-Bäumer-Grundschule.
Zu viele Gefahren sind es für viele Eltern der Schüler, die südlich der Dachauer Straße wohnen. Es ist hektisch beim Treffen der AZ mit einer Gruppe besorgter Eltern. Verkehrslärm von allen Seiten und es ist noch nicht einmal Hauptverkehrszeit an jenem Montagnachmittag um 15 Uhr. Kaum einer – ob Eltern mit Kinderwagen, Rentner mit Rollator oder sogar ein fitter Jugendlicher – schafft es während der Grünphase ganz über die Straße. Da bleibt nur das Warten auf der Mittelinsel.
Gefährlicher Schulweg an der Dachauer Straße in München: Eltern fühlen sich im Stich gelassen
Die Eltern fühlen sich im Stich gelassen an dieser Ecke, an der nicht ein Schild darauf hinweist, dass hier jeden Tag so viele Kinder vor und nach der Schule die Straße überqueren müssen. “Wir wollen nicht, dass mal etwas passiert”, sagt Anja Haiduk. Ihr Kind geht in die vierte Klasse. “Es war schon oft kurz vor knapp, auch nur weil wir Eltern eingegriffen haben.” Sie müssten jeden Tag Angst haben, dass etwas passiert, sagt sie.
“Die Stadt sagt, Kinder sollen sicher und vor allem auch alleine zur Schule gehen”, sagt eine weitere Mutter. Das wollen sie an dieser Ecke ihren Kindern aber nicht zumuten.
Ein Grund für die Angst steht auf einem kleinen Schild auf der Mittelinsel: “Tram hat Vorrang” steht da, recht klein, kaum lesbar von der anderen Seite. Ihre Kinder verstehen das nicht, sagen die Eltern. “Aber ich habe doch Grün!”, sagen sie und wollen, wie sie es eben gelernt haben, beim grünen Ampelmännchen über die Straße gehen. Dass dann vielleicht trotzdem eine Tram anfährt, begreifen die Kinder noch nicht.
Schnelle Autos, Tram-Vorfahrt und Wendemanöver: Gefährliche Kreuzung für Schulkinder in München
Ein weiterer Grund sind die Abbieger von der Heideckstraße und von der Hedwig-Dransfeld-Allee – gerade wenn wieder Tollwood-Zeit ist, seien das nicht wenige. Sie haben gleichzeitig mit den Fußgängern eine grüne Ampel. Es gibt aber auf beiden Seiten der Straße, wie sonst oft üblich an solchen Stellen, keine orangen Fußgänger-Leuchtsignale, die die Autofahrer darauf aufmerksam machen, dass hier die Fußgänger Vorrang haben.
Dritter Gefahrenpunkt auf dem Schulweg für die Kinder aus Sicht der Eltern: Die vielen Autos, die an dieser Stelle einen U-Turn machen, wenn sie stadtauswärts unterwegs sind. Es ist wegen der Tramspur in der Mitte die erste Gelegenheit dafür seit dem Leonrodplatz. “Die sehen oft nicht, dass die Kinder gleichzeitig grün haben und rasen noch kurz vor dem Kind drüber”, sagt Sarah Wendt, Mutter eines Grundschulkinds. Sie würde sich vor allem eine Geschwindigkeitsbegrenzung wünschen, “wie sie an jedem Kindergarten und an Schulen üblich ist”. Tempo 30 wäre gut, “40 wäre auch schon ein Anfang”, findet sie.
Die Wünsche der Eltern nach einem sichereren Schulweg für ihre Kinder sind nicht neu. Schon vor sieben Jahren hätten erste Eltern versucht, beim Bezirksausschuss (BA) und auch bei der Schule darauf hinzuwirken, dass dieser Übergang sicherer wird.
“Sehr frustrierend”: Verängstigte Eltern in München wenden sich an Stadt wegen gefährlichem Schulweg
Beim BA seien sie damit auf taube Ohren gestoßen, auch bei Anfragen in der jüngeren Vergangenheit. “Das ist sehr frustrierend”, sagt Anja Haiduk. “Da hat man immer das Gefühl, dass da Leute sitzen, die selber keine Kinder haben.”
Der Bezirksausschuss war bei dem Thema allerdings nicht ganz untätig: Im letzten Jahr haben Vertreter der SPD und der Grünen beim städtischen Mobilitätsreferat gefordert, die Situation für die Kinder an der Stelle zu verbessern, insbesondere wegen der Autos, die dort wenden wollen.
Die Viertelpolitiker haben gefordert, dass die Autos keine grüne Ampel mehr haben, wenn die Fußgänger grün haben. Das Mobilitätsreferat (MOR) aber hat die Forderung abgelehnt. Es betont in seinem Antwortschreiben vom Februar dieses Jahres einerseits, dass solche Wendemanöver sowieso “besondere Aufmerksamkeit” der Autofahrer erfordern würden. Außerdem erfolgten diese “eigenverantwortlich”. Man habe 2022 den Abschnitt des Radwegs über die Dachauer Straße rot eingefärbt, wodurch sich laut Mobilitätsreferat der Fokus der Autofahrer auf den Vorrang der Fußgänger und Radfahrer “deutlich geschärft” haben sollte.
Wegen gefährlichem Schulweg in München: Stadt schlägt Schulweghelfer vor
Auch auf AZ-Anfrage sieht die Antwort der Stadt auf die Probleme der Eltern an dieser Ecke nicht anders aus: Deren Hinweise seien “bekannt”, man stand und stehe in Kontakt mit der Schule und den Eltern. Und der Hinweis (den auch die Eltern bestätigen): An dieser Kreuzung seien dem MOR keine Schulwegunfälle bekannt. Das Einzige, was aus Sicht der Stadt an dieser Kreuzung möglich wäre – und was “einen erheblichen Sicherheitsgewinn mit sich bringt” (MOR) – sind Schulweghelfer. Also ehrenamtlich engagierte Menschen, die sich in der Früh und wenn die Schule aus ist an die Kreuzung stellen und aufpassen, dass die Kinder sicher über die Straße kommen. Das sei an dieser Ecke “grundsätzlich genehmigt”, sagt das MOR. Darüber hinaus gebe es “keine weiteren Handlungsoptionen”.
Dass Schulweghelfer an dieser Ecke eine gute Maßnahme wären, wissen auch die Eltern. Das Problem ist aber: Sie finden keine. Die letzten beiden Schulweghelfer haben laut den Eltern entweder aufgehört, weil sie zu alt waren, oder weil sie weggezogen sind. Aufrufe im Viertel seien bisher erfolglos geblieben.
Ehrenamtler gesucht: Eltern finden keine Schulweghelfer
Verantwortlich für die Suche nach Schulweghelfern sind laut MOR die Schulleitung und der Elternbeirat. Das System funktioniert also nur, wenn sich jemand (oder mehrere Personen) freiwillig erklärt, für eine Aufwandsentschädigung von acht Euro pro Einsatz und maximal 20 Euro pro Tag den Job zu übernehmen. Das klappt an der Dachauer Straße und auch anderswo in der Stadt nicht immer (siehe Kasten).
Die Eltern der Grundschulkinder wissen das und lassen aktuell nichts unversucht, um Schulweghelfer zu finden. Sie verstehen aber auch nicht, warum das die einzige Möglichkeit sein soll, um diese Kreuzung für ihre Kinder sicherer zu machen.
Seien es orange Fußgänger-Leuchtsignale, Schilder mit der Aufschrift “Achtung Schulweg” oder entzerrte Grünphasen. Aus Sicht der Eltern gäbe es viele Möglichkeiten, wie auch die Stadt dort eingreifen könnte.
Bis dahin – oder bis sich Schulweghelfer melden – bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihre Kinder auf ihrem Schulweg selber zu begleiten. Damit sie doch noch eingreifen können, wenn es mal wieder zu einem Beinahe-Unfall kommt.
Eltern sind besorgt, weil der Schulweg ihrer Grundschulkinder über die viel befahrene Dachauer Straße führt. Von der Stadt fühlen sie sich im Stich gelassen
Hintergrund: 540 Schulweghelfer in München im Einsatz
Sie stehen mit wetterfester gelber Kleidung und einer Warnkelle in ganz München verteilt in der Nähe von Grundschulen an den Straßen, jeweils in der Früh und wenn die Schule aus ist. Vor ihrem ersten Einsatz erhalten sie von der Münchner Polizei eine Einweisung und sind während der Arbeit unfallversichert. Nach Angaben der Stadt sind aktuell rund 540 Schulweghelfer im Einsatz.
Letzten Dezember hat der Stadtrat beschlossen, die Aufwandsentschädigung von 6,50 Euro auf acht Euro (netto) zu erhöhen. Schulweghelfer erhalten von der Stadt pro angefangene Stunde diese acht Euro, maximal sind es 20 Euro pro Tag, mit denen ihre Einsätze entlohnt werden. Wer gerne seine Dienste als Schulweghelfer anbieten möchte, kann sich beim städtischen Mobilitätsreferat unter der Mailadresse schulwegdienste.mor@muenchen.de melden. Viele Standorte sind aktuell unbesetzt.