Wenn am Freitag in zahlreichen Städten in Deutschland und in anderen Ländern auf der Welt Zehntausende Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen (FLINTA) auf die Straße gehen, um für ihre Rechte zu kämpfen, dann geschieht das, wie immer und überall, nicht im luftleeren Raum. Was wir derzeit erleben, kann man als das Ausdifferenzieren verschiedener feministischer Diskurse bezeichnen: Während sich einer der Diskurse mit den Erfolgen der Frauen und Queers der bürgerlichen Mitte beschäftigt – der Gender-Pay-Gap ist von 20 Prozent Differenz im Jahr 2020 zu 18 Prozent im Jahr 2023 etwas gesunken und seit 2020 hat sich die Zahl der weiblichen Dax-Vorstände gegenüber 2020 mehr als verdoppelt –, geht es im anderen Gespräch um die dicken Bretter.
Denn gleichzeitig zu den positiv zu bewertenden Entwicklungen der Gleichstellung von Frauen auf horizontaler Ebene nimmt die Zahl der Femizide, der Morde an Frauen, weltweit zu. Währenddessen steigt die Armutsquote in Deutschland, besonders davon betroffen, sie werden es ahnen: FLINTA.
Olivier David
Jan Lops
Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien sein erstes Buch »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen reflektiert. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. David studiert in Hildesheim literarisches Schreiben. Für »nd« schreibt er in der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen.
Die Gewinne der Reichen werden vor allem über die Ausbeutung von FLINTA erzielt, jenen, die in unserer patriarchal geprägten Klassengesellschaft im besonderen Maße benachteiligt sind. Wenn wir über Klasse reden, und im Speziellen über Klassenkampf, warum denken wir dann nicht zuerst an die Ausbeutung von FLINTA – und an deren Gegenwehr? Die Existenz der Armuts- sowie der Arbeiterklasse ist ohne die meist kostenlose Sorgearbeit und prekäre Beschäftigung dieser Menschen kaum vorstellbar. So schreibt das feministische Kollektiv MF3000 zur Sorgearbeit: »Wenn sich niemand mehr um die Menschen kümmert, zerfällt die Gesellschaft. Sorgearbeit ist damit das Zentrum des gesellschaftlichen Zusammenhalts; sie produziert das Leben selbst.« Das Kollektiv schlägt vor: »Die Umverteilung von Arbeiten und Zeit.«
Eine Textauswahl zum Thema Frauentag:
»Wir Migrantinnen werden in die Prekarität gedrängt« – Die Ausbeutung migrierter Frauen hat in Deutschland System, kritisieren die Frauenorganisationen von DaMigra und fordert: »Wir wollen mitbestimmen«
Frauen im Fußball: Der weite Weg zur Gleichberechtigung – Wie der DFB, die Bundesliga und Vereine für mehr Sichtbarkeit der Fußballerinnen arbeiten
Femizide in Kenia: Eine Untätigkeit, die wütend macht – In Kenia ist eine Protestbewegung gegen die zunehmende Zahl an Femiziden entstanden
Frauen in der DDR: Als ganzer Mensch leben zu wollen – Über Beitrittsbürgerinnen und die Frauenfrage
Der feministische Kampf ist dabei mitnichten als Nebenwiderspruch (in Marx’scher Sprache) zu denken, sondern die Bedingung für die Überwindung der Klassengesellschaft. Der Kapitalismus ist (unter anderem) über und durch die Ausbeutung und Überausbeutung von FLINTA organisiert. Ihre Ausbeutung ist die Bedingung für das Aufrechterhalten hierarchisch organisierter Klassen unter der Herrschaft der Klasse der Reichen. Dreht man diesen Gedanken um, ist klar, was zu tun ist: Klassenkämpfe müssen die Ausbeutung und den Kampf gegen die Ermordung von FLINTA in die Mitte ihrer Arbeit stellen. Männer und männlich sozialisierte Personen tun sich jedoch viel zu oft schwer, das zu begreifen.
Sind derartige Gedanken begriffen, wartet zwischen Begreifen und Handeln der nächste Fallstrick und zwischen Handeln und richtig Handeln der übernächste. In seinem Buch »Männlichkeit verraten!« schreibt der Autor Kim Posster über den Sexismus von Männern in linken Kreisen: »… die Kritik an Männlichkeit zu vertreten, ihre Bedingungen zu organisieren und ihre Konsequenzen zu bekämpfen; Männlichkeit nur negativ, in kritischen Absetzbewegungen immer wieder aufzugreifen, bis sie sich erledigt hätte, (…) All das gilt es erst noch weiter zu verwirklichen.« Dem kann man(n) sich nur anschließen. Der 8. März ist (wie jeder andere Tag auch) für beide Anliegen – Feminismus als Klassenkampf und Kampf gegen toxische Männlichkeit – der richtige Tag.
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