Warum? »Gute Frage«, findet Christian Arbeit. Warum also ein neuer Film über den 1. FC Union Berlin? Eine erste, einfache Antwort vom Geschäftsführer Kommunikation des Köpenicker Klubs: »Weil es ein anderer Blick auf den Verein und den Fußball ist.« Das war die Absicht von Annekatrin Hendel. Schließlich ist sie eine preisgekrönte Dokumentarfilmerin, die mit eindringlichen Porträts wie »Flake«, »Fassbinder« und »Familie Brasch« bekannt geworden ist. Nun kommt ihr neuer Film »1. FC Union – Die besten aller Tage« auf die große Bühne. Nach der Premiere am Dienstagabend im Kino International laufen am Donnerstag die regulären Vorstellungen an – in 25 Berliner Kinos und 59 weiteren im gesamten Bundesgebiet.
Neuntgrößter Verein in Deutschland
Ganz schön viel Union. Eiserne können von ihrem Verein natürlich nicht genug bekommen. Den Hype aber, der in den vergangenen Jahren entstanden ist, feiern selbst viele Fans nicht. Der einst kleine Kultklub ist mit mehr als 65 000 Mitgliedern mittlerweile der neuntgrößte in Deutschland. Was kann man unter Hype verstehen? Beispielsweise diese Meldung vom 20. März: Die Vertragsverlängerung von Verteidiger Paul Jaeckel, ein Ersatzspieler mit gerade mal 400 Einsatzminuten in dieser Saison, schaffte es mehrmals in die Nachrichten von Radio Eins – neben Kriegsmeldungen aus der Ukraine und Gaza. So etwas erzeugt Unverständnis nicht nur unter Fußballfremden. Doch wie die irgendwann einmal von außen gekommene Zuschreibung »Kult« sei auch der Hype nicht hausgemacht, versichert der Verein. Annekatrin Hendel kann das nach fast zwei Jahren Drehzeit in Köpenick bestätigen. »Union ist für mich nicht aufgebläht, sondern einfach, menschlich, organisch sich entwickelnd«, sagt sie im Gespräch mit »nd«.
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Wie reiht sich in diese Erzählung nun so ein aufwendiges Filmprojekt ein? »Eigentlich ordnet sich der Film sehr gut darin ein, weil er keine Heldengeschichte erzählt, sondern eine Alltagsgeschichte. Und Alltag ist selten glamourös«, erklärt Christian Arbeit gegenüber »nd«. So ein Fußballklub sei inzwischen eine sehr komplexe Angelegenheit – ob in der Bundesliga oder international. Da gebe es unglaublich viel, von dem letztlich nur das Ergebnis zu sehen sei. »Und wir fanden die Idee interessant, ruhig mal sichtbar werden zu lassen, wie die Dinge eigentlich entstehen.«
Die Tränen des Präsidenten
Entstanden ist beim 1. FC Union Unglaubliches. Gegner in dieser Saison waren Italiens Meister Neapel und Europas erfolgreichster Fußballklub, Real Madrid. Den Weg dorthin, in die Champions League, zeigt Hendels zweistündige Dokumentation. Auch wenn es zum Teil ein Fußballfilm sei, wie sie sagt, auf eine Explosion oder den großen Knall wartet man vergeblich. Den Moment des größten sportlichen Erfolgs, die Qualifikation zur Champions League, beschreibt sie nicht in Jubelarien, sondern mit den Tränen des Präsidenten Dirk Zingler. In der Ruhe und Stille liegt die Kraft des Films – getragen allzeit und allein von Klaviermusik, gespielt von Flake.
Union ist für Annekatrin Hendel »Heimat«, die 60-Jährige kommt »aus dem Wald, aus der Wuhlheide«. Weiter entfernt als sie kann man andererseits kaum sein. »Ich wusste, dass es Beckenbauer gibt, von meinem Vater«, sagt sie über ihre Fußballerfahrung. Genau diese Distanz lässt sie wiederum viel näher herankommen – an die Menschen, die diesen Verein mit ihrer tagtäglichen Arbeit tragen. Neben Dirk Zingler und Christian Arbeit porträtiert Hendel mit vier weiteren Protagonisten – Kapitän Christopher Trimmel, Vertriebskommunikationschefin Stefanie Vogler, Kommunikationsleiterin Profifußball Katharina Brendel und Mannschaftsleiterin Susanne Kopplin – den Verein auf vielen Ebenen, vor allem aber auf einer sehr persönlichen.
»Meine Schnuppies«, sagt Susanne »Susi« Kopplin und spricht dabei im Film über gestandene Fußballprofis, die sie am liebsten »alle kuscheln« will. Was die Betreuerin sonst noch alles macht, und was sie alles macht, obwohl sie es gar nicht muss, ist ebenso interessant wie die Biografien der Protagonisten. »Susi« war in der DDR Elektromontiererin für Fernsehelektronik, später auch Tischlerin und ist jetzt mit Leib und Seele Union.
Positiv Ostdeutsches
Diese und andere Geschichten sind es, die Hendel sagen lassen, etwas gefunden zu haben, wonach sie gesucht hat, als eine aus »der letzten Erwachsenengeneration aus dem Osten«. Solidarisches Arbeiten im Kollektiv oder »Frauen, die viel zu sagen haben, ohne dass es eine Quote gibt, das kann der Film zeigen«, erklärt sie und sagt: »Ich wollte etwas Positives erzählen, weil es oft heißt, die Ostdeutschen sind rechts und sind scheiße.«
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