Am Mittwochnachmittag darf Bettina Stark-Watzinger ausnahmsweise mal die unangenehmen Fragen stellen. Die Bundesforschungsministerin sitzt vor ein paar Dutzend Menschen im „Urban Colab“ des Gründerzentrums der Technischen Universität München und hört sich verschiedene Geschäftsmodelle an. Es ist eine kleine Show, Start-up-Gründer pitchen dem Gast aus Berlin ihre Pläne. Augenscheinlich gut gelaunt hakt die Ministerin nach: „Was ist ihr nächster Schritt? Wie wollen Sie die Konkurrenz ausstechen?“ Oder, an einen jungen Mann, der Kunststoff im 3D-Drucker herstellt: „Was ist der Vorteil, wenn ich ihr Material einsetze?“

Stark-Watzinger spricht bei der Veranstaltung von Mut, Risiko und Gründergeist – und nicht von Meinungsfreiheit, Palästina und Antisemitismus. Wenn es nach ihr ginge, so wirkt es, wäre ihre lästige Fördergeldaffäre längst abgehakt. Aber ganz so einfach ist das nicht. Noch immer steht die Bildungsministerin für das, was sich in ihrem Ministerium ereignet hat, in der Kritik.

Am späten Sonntagabend, 22.50 Uhr, hatte Stark-Watzinger erklärt, dass sie ihre Staatssekretärin Sabine Döring in den einstweiligen Ruhestand versetzen lasse. Döring habe, so die Darstellung Stark-Watzingers, auf eigene Faust und ohne Wissen der Ministerin einen Prüfauftrag veranlasst, der in den vergangenen Tagen Empörung ausgelöst hatte. Wie aus einem Mailwechsel hervorgeht, den der NDR veröffentlicht hat, wollte Stark-Watzingers Ministerium intern prüfen, ob man kritischen Wissenschaftlern Fördergelder entziehen könne. Konkret ging es dabei um mehrere hundert Hochschullehrende, die im Mai einen offenen Brief unterzeichnet hatten. Darin kritisierten sie die Räumung eines propalästinensischen Protestcamps an der Freien Universität Berlin.

Immer mehr Unterschriften gegen die Ministerin

Ein Forschungsministerium, das prüft, ob man unliebsamen Wissenschaftlern ans Geld gehen kann? Selbst die sonst eher zurückhaltende Hochschulrektorenkonferenz schaltete sich daraufhin ein: Wenn dieser Vorwurf stimme, sei das eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit. Einen offenen Brief, der den Rücktritt Stark-Watzingers fordert, haben inzwischen mehr als 3000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschrieben.

Stark-Watzinger hat eingeräumt, „dass eine Prüfung potenzieller förderrechtlicher Konsequenzen bei den zuständigen Fachreferaten in der Tat erbeten wurde“. Sie habe den Auftrag aber weder erteilt noch gewollt, und sie habe erst nach der Veröffentlichung des NDR-Berichts überhaupt von dem Prüfauftrag erfahren. Kann das wirklich sein?

Inzwischen hat das Ministerium erklärt, dass es zwei Prüfaufträge gegeben haben soll. Den förderrechtlichen Prüfauftrag, den Döring laut Ministerium missverständlicherweise in Auftrag gegeben hat und der noch am selben Tag wieder kassiert worden sei. Und einen Auftrag, den Brief rechtlich zu prüfen – also um zu klären, ob der Inhalt gegen Gesetze verstößt. Vom ersten Auftrag habe Stark-Watzinger erst am 11. Juni, also nach Veröffentlichung des NDR-Berichts, erfahren, teilt das Ministerium mit. Die rechtliche Einordnung sei bereits in einer Telefonkonferenz am 17. Mai Thema gewesen, an der Stark-Watzinger teilgenommen habe. Ergebnis der Einordnung sei gewesen, dass sich der Inhalt des offenen Briefes im grundrechtlich geschützten Bereich der Meinungsfreiheit bewegt.

Schon kurz nach Erscheinen hatte Stark-Watzinger den offenen Brief heftig kritisiert. Sie sei fassungslos, sagte sie in einem Interview mit der Bild-Zeitung, und betonte: Gerade Professoren und Dozenten müssten „auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“. Schon damals empfanden das viele Wissenschaftler als Angriff, Stark-Watzingers Kritiker sehen in der Aussage eine implizite Aufforderung, die Unterzeichner des Briefes auf ihre Verfassungstreue zu prüfen.

Mancher sieht Sabine Döring als Bauernopfer an

Auch Walter Rosenthal, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, nennt diese Wortwahl heute „unglücklich“. Und er hält den förderrechtlichen Prüfauftrag für eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit. „Ich kann daher nachvollziehen, dass hier personelle Konsequenzen gezogen wurden.“ Sich zu den Rücktrittsforderungen an Stark-Watzinger zu äußern, sehe er nicht als seine Aufgabe an. Er sehe aber gegenwärtig keinen Grund, an den Schilderungen der Ministerin zu zweifeln, dass sie von dem Prüfauftrag nichts gewusst habe.

Andere sehen in Sabine Döring hingegen ein Bauernopfer. Aus der CDU waren nach dem Rauswurf der Staatssekretärin Rücktrittsforderungen an Stark-Watzinger zu hören. Inzwischen ist der Ton etwas weniger scharf. Thomas Jarzombek, der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, sagt: „Ministerin Stark-Watzinger hat die ganze Wissenschaftscommunity in Aufruhr gebracht. Sie muss jetzt Transparenz schaffen und daran arbeiten, das Vertrauen wiederzugewinnen.“ Auch die Koalitionspartner der Ampel haben die Vorgänge im Ministerium kritisiert, mit Rücktrittsforderungen halten sie sich naturgemäß zurück. Der Rücktritt einer Ministerin wäre für das ohnehin fragile Bündnis schwer zu verkraften.

Stark-Watzinger ist wichtig für die Liberalen

Und die FDP? Zumindest nach außen kommuniziert die Partei keine Zweifel an der eigenen Ministerin; man hält ihr zugute, dass sie in ihrer Amtszeit wichtige liberale Projekte durchgesetzt habe, das Startchancenprogramm zum Beispiel, mit dem Schulen in ärmeren Vierteln gefördert werden sollen – auf dass mehr Kinder ihr eigenes Glück schmieden können. Stark-Watzinger ist wichtig für die Liberalen, sie ist stellvertretende Parteivorsitzende und damit die ranghöchste Frau in der Partei. 2023 bekam sie auf dem Parteitag ein besseres Ergebnis als die anderen beiden Stellvertreter. Sie ist auch die einzige Frau, die von der FDP ins Bundeskabinett geschickt wurde. Und ihr Wahlkreis ist der reiche Main-Taunus-Kreis bei Frankfurt – die FDP schneidet hier besonders gut ab und erreichte bei der Bundestagswahl 2021 fast 17 Prozent.

Aus all dem zu schließen, dass Stark-Watzinger ihren Skandal politisch überstanden hat, wäre trotzdem voreilig. Denn längst sind nicht alle Fragen geklärt. Das zeigte der Auftritt der Ministerin Anfang der Woche in der Bundespressekonferenz.

Immer wieder verwies Stark-Watzinger auf ihr vorab formuliertes Eingangsstatement, den meisten kritischen Fragen wich sie aus. War oder ist sie der Meinung, dass die Dozentinnen und Dozenten, die den offenen Brief verfasst haben, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen? Gab es keine Kontrollmechanismen in ihrem Haus, die den Alleingang, wenn es denn einer war, ihrer Staatssekretärin hätten verhindern können? Wie kann es sein, dass ihr Ministerium den Journalisten des NDR für deren Bericht eine Stellungnahme schickte, ohne dass die Ministerin davon wusste? Das Einzige, was Stark-Watzinger bei diesem Auftritt wirklich klarmachte: Zurücktreten werde sie nicht, dafür sehe sie „keine Veranlassung“.

Trotzdem muss sie sich weiter Fragen stellen. In der kommenden Woche tagt der Bildungsausschuss des Bundestages, auf der Tagesordnung soll auch das Thema Antisemitismus an Hochschulen stehen. „Natürlich werden wir auch den aktuellen Fall thematisieren“, sagt der CDU-Abgeordnete Thomas Jarzombek.



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