Herr Stübgen, am Mittwoch beginnt bei Ihnen in Potsdam die Innenministerkonferenz. Ein Thema ist die Flüchtlingspolitik, aktuell insbesondere die Forderung, Schwerkriminelle nach Afghanistan oder Syrien abzuschieben. Halten Sie das wirklich für realistisch?

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Zunächst einmal verstehe ich, dass der Fokus nach dem furchtbaren Verbrechen von Mannheim auf Afghanistan liegt. Allerdings hätte bei Syrien in den letzten drei Jahren schon viel mehr gemacht werden können.

Inwiefern?

Im Kerngebiet Syriens herrscht kein Krieg mehr. Es gibt grundlegende staatliche Ordnungs­strukturen. Natürlich ist das kein Rechtsstaat. Aber andere europäische Länder haben längst begonnen, diplomatische Beziehungen mit Syrien aufzunehmen. Und wir haben auch diplomatische Beziehungen mit Russland. Deshalb können wir solche Abschiebungen mit der Regierung in Damaskus abwickeln. Doch Deutschland macht in dieser Frage gar nichts. Das kritisiere ich schon seit langer Zeit. Außerdem ist die größte Zahl der Flüchtlinge, die in Brandenburg landen, zwar syrischer Herkunft. Nur kommt kein einziger Flüchtling mehr direkt aus Syrien. Das sind vielmehr alles Menschen, die bereits vor Jahren vor dem furchtbaren Bürgerkrieg aus Syrien geflohen sind, aber irgendwo anders Schutz gefunden haben und nach Deutschland kommen, weil man in Deutschland besser leben kann.

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Auch dagegen ist geradezu nichts unternommen worden. Das wird mir bei der Innenminister­konferenz ein wichtiges Anliegen sein. Kraftvolle Sprüche von Bundeskanzler und Innenministerin sind gut und schön. Aber sie frustrieren die Bevölkerung noch mehr, wenn diese merkt, dass auf Worte keine Taten folgen und ihr nur etwas vorgemacht worden ist.

Und was ist mit Afghanistan?

In Afghanistan gibt es keine einigermaßen berechenbare Ordnungsstruktur. Diese Taliban-Steinzeit-Islamisten sind ja nicht mal ansatzweise in der Lage, die eigene Bevölkerung zu ernähren. Aber es gibt mannigfaltige Kontakte, etwa bei der Überweisung von deutschen Hilfsleistungen über immerhin 400 Millionen Euro. Es werden zudem Afghanen bei uns aufgenommen, etwa im Rahmen von Sonderaufnahme­programmen. Wenn das so ist, dann können über diplomatische Kontakte auch Rückführungen organisiert werden. Ich halte es jedenfalls für wichtig, dass wir hier vorankommen. Man kann in unserer Bevölkerung niemandem erklären, dass ein islamistischer Terrorist bei uns Schutz genießt vor einem islamistisch-terroristischen Regime in seinem Heimatland.

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Die Union fordert, Asylverfahren generell in Drittstaaten wie Ruanda stattfinden zu lassen. Ist das bei einer Größenordnung von mehreren 100.000 Menschen nicht eine Fata Morgana?

Ich halte das für einen Baustein der künftigen Asylpolitik, aber kurzfristig wird das keine Lösung sein. Dafür braucht es einen langen Atem.

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Helfen denn die von Ihnen geforderten Grenzkontrollen etwa zu Polen, die ja mittlerweile Wirklichkeit geworden sind, weiter?

Ja. Das ist der einzige echte Wirkungstreffer, den wir im letzten Jahr mit staatlichen Maßnahmen gegen die unkontrollierte Zuwanderung erzielen konnten. Diese Maßnahmen müssen auch aufrechterhalten werden. Daher begrüße ich ausdrücklich die von Frau Faeser angekündigte Verlängerung. Wir müssen die Kontrollen so lange aufrechterhalten, bis die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems greift – also mindestens bis zum zweiten Quartal 2026.

Wir müssen die Kontrollen so lange aufrechterhalten, bis die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems greift – also mindestens bis zum zweiten Quartal 2026.

Michael Stübgen,

Brandenburgs Innenminister

Kann man eigentlich eine restriktivere Flüchtlingspolitik machen, ohne dass manche Rechtsextremisten das als Einladung zur Gewalt verstehen?

Wenn wir Dysfunktionalitäten in unserem Recht haben, dann müssen wir die Debatte darüber ehrlich führen. Und im Asylbereich gibt es erhebliche Dysfunktionalitäten. Ich hielte es für völlig falsch, darüber nicht zu reden. Zugleich müssen wir natürlich Maß und Mitte halten, dürfen die Probleme nicht wie die AfD völlig überzogen darstellen und müssen Lösungen anbieten. Daran mangelt es bei der Bundesregierung.

Apropos AfD: Spätestens nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Münster, das die Einstufung der Partei als Verdachtsfall für rechtens erklärte, wird ja ein AfD-Verbot diskutiert. Was halten Sie davon?

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Das wäre mit Sicherheit ein sehr langwieriger Prozess. Ich plädiere dafür, die bestehenden Instrumente zu nutzen. Dazu zählt die Verdachts­beobachtung. Das Scheitern des NPD‑Verbots hat unserem Rechtsstaat erheblich geschadet. Und darüber, was aus der AfD wird, entscheidet in erster Linie die Gesellschaft und nicht die Exekutive.

Deutschland wirkt derzeit wie ein Land, in dem es aus unterschiedlichen Gründen an allen Ecken und Enden gärt. Lässt sich dieser Prozess stoppen?

Wir müssen diesen Prozess stoppen. Dafür müssen wir uns aber mit den Ursachen befassen. Dazu zählt die hohe Frustration in der Bevölkerung wegen der multiplen Krisen der letzten Jahre, von der Corona-Krise über den Überfall Russlands auf die Ukraine mit 1,1 Millionen Flüchtlingen bis hin zum Krieg im Gazastreifen mit entsprechenden Demonstrationen in Deutschland und der Ausrufung von Kalifaten. Das hätte ich mir in der Form auch nicht vorstellen können. Unsere Menschen sind beunruhigt und verängstigt. Und Ängste schlagen schnell in Aggressionen um. Hier müssen wir Orientierung geben. Außerdem sind viele Menschen so frustriert über die Arbeit der Bundesregierung, dass man mit anderen Themen gar nicht durchkommt. Daher lautet mein Appell nach Berlin: Macht eine gute Politik, die die Menschen verstehen können – mit weniger Ideologie.



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