Mit einem Tor in der Nachspielzeit hat Einwechselspieler Francisco Conceição am Mittwochabend die Rekord-Party der Portugiesen in Leipzig gerettet. An dem Tag, an dem der 41-jährige Verteidiger Pepe zum ältesten Spieler wurde, der je bei einer EM gespielt hat, und Cristiano Ronaldo zum ersten Spieler wurde, der an sechs EM-Endrunden teilnahm, verhinderte der Stürmer des FC Porto einen lange drohenden Fehlstart des Mitfavoriten. Der Unglücksrabe der Tschechen war Innenverteidiger Robin Hranac: Nach der Führung trug er mit einem Eigentor und einer Hauptrolle beim Siegtreffer entscheidend zum portugiesischen 2:1-Erfolg bei.

Die Feierlaune am Ende verwies an den Prolog des Spiels. Ronaldos Präsenz hatte vor Beginn der Partie für eine Ekstase gesorgt, die der fünfmalige Weltfußballer in seinem goldenen saudi-arabischen Käfig vermissen muss. Schon als er den Rasen zum Aufwärmen betrat, jauchzte jener Teil der Menge auf, der sich für den Stadionbesuch in portugiesische Landesfarben geworfen hatte wie andere Leute in einen Smoking. Die Schüsse, die er beim Warmmachen abgab, wurden mit dem lang gezogenen „Siiiuuuuuuu“ quittiert, das er zu seinem Merkenzeichen gemacht hat: Er feiert Tore seit Jahren auf diese Weise.

Wer ihn jenseits solcher Sperenzchen beobachtete, kam nicht umhin, zu konstatieren: Ronaldo war von der Sohle bis in die letzte wohl frisierte Haarspitze motiviert. Man konnte das auch erkennen, als er auf der Stadionleinwand eingeblendet wurde, während die portugiesische Hymne erklang: Seine Halsschlagader war breiter als das hinterm Leipziger Stadion gelegene Elsterbecken.

Ronaldo schießt häufig aufs Tor, aber ohne die Explosivität früherer Tage

Ronaldo und seine zehn Kameraden trafen auf eine tschechische Mannschaft, die ein unauflösbares Rätsel aufgab. Es war nicht zu erkennen, ob sie den portugiesischen Ballbesitz oder aber den Regen mit größerem Stoizismus ertrug. Die Tschechen verbuddelten sich an ihrem eigenen Strafraum, ohne dass auch nur ansatzweise ein schlechtes Gewissen erkennbar geworden wäre.

Die Rechnung ging insofern auf, als sie damit ihren Teil dazu beitrugen, dass die Partie eine Premiere bot. Es war das erste Spiel der EM, das eine Halbzeit lang ohne Tore auskam. Die Tschechen schafften es, dass der auffälligste portugiesische Spieler der ersten Halbzeit Nuno Mendes war – der linke Teil der Dreier-Abwehrkette –, und nicht etwa einer der famosen Mittelfeldspieler. Bernardo Silva, Bruno Fernandes und Vitinha waren kaum auszumachen. Gelegentlich hatte Milans Angreifer Rafael Leão ein Detail parat. Abschlüsse aber fabrizierte Ronaldo, ohne die Explosivität früherer Tage zu demonstrieren: Mal traf er den Ball mit der Schulter und nicht mit dem Kopf (8.), dann scheiterte er nach einem Steckpass von Bruno Fernandes an Torwart Jindrich Stanek (32.); am Ende der ersten 45 Minuten drehte er sich im Strafraum um die eigene Achse und schoss mit dem schwächeren linken Fuß an den sogenannten langen Pfosten. Auch da war Stanek wieder zur Stelle.

Zur zweiten Halbzeit begann Portugal, sich nicht mehr nur in bloß rhetorischem Ballbesitz zu ergehen. Diogo Dalot und Bernardo Silva versuchten sich in den ersten Minuten aus der Distanz, in der 58. Minute auch Ronaldo per Freistoß aus 24 Metern. Doch dann war es Lukas Provod von Slavia Prag, der zur tschechischen Führung traf – mit einem Rechtsschuss aus 20 Metern aus halbrechter Position.

Portugal halt am Ende Glück, dass der Siegtreffer nach einem Foul überhaupt zählt

Die tschechische Freude aber hatte lediglich die Dauer, die in umsichtigen deutschen Kneipen für ein gut gezapftes Bier aufgewendet wird: sieben Minuten. Dann schenkten sich die Tschechen selbst einen ein. Nach einer Flanke von Vitinha drückte Nuno Mendes am Fünfmeterraum den Ball per Kopf gen Linie; Stanek klatschte den Ball gegen das Schienbein von Innenverteidiger Hranac von Viktoria Pilsen – und damit war das Eigentor zum portugiesischen Ausgleich perfekt.

Portugal drängte weiter – aber mit weniger Klarheit als die Tschechen, die plötzlich zum Leben erwachten und ihrerseits angriffen. Die beste Chance hatte Tomas Soucek, er setzte den Ball aus 18 Metern neben das Tor (81.). Fünf Minuten vor Schluss gab es aber Aufregung im tschechischen Strafraum: Der Referee annullierte ein Abstaubertor des eingewechselten Diogo Jota, weil Ronaldo beim vorangegangenen Kopfball im Abseits gestanden hatte. Dann folgte aber doch der Siegtreffer durch Conceição: Eine Hereingabe von Neto rutschte durch die Beine von Hranac, Conceição schoss am Fünfmeterraum ein – und rettete die festa, die Ronaldo und Pepe feiern wollten. Dabei hatte Portugal Glück, dass dieses Tor zählte: Denn zu Beginn des Spielzugs hatte es ein Foul von Semedo gegeben.



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