Als Tony Rinaudo 1981 nach Niger kam, war der westafrikanische Staat trostlos. Dürren und Hungersnöte hatten tiefe Narben hinterlassen – am Land und am Menschen. „Niger am Rande der Sahara ist ein sehr heißes, trockenes Land“, sagte der Australier. Es sei eines der ärmsten Binnenländer der Welt. Der 67-Jährige spricht von Zürich aus. In die Schweiz ist der Agrarwissenschaftler gereist, um Vorträge und Meetings zu halten und seine Ideen, die einst in einem der ärmsten Länder Afrikas geboren wurden, über die gesamte Welt zu „streuen“.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Heute hört man ihm durchaus zu: Die Hilfsorganisation World Vision arbeitet eng mit ihm zusammen und hat seine Reichweite um ein Vielfaches multipliziert. 2018 wurde er für seine Arbeit mit dem Alternativen Nobelpreis, dem Right Livelihood Award, ausgezeichnet. Der bekannte Regisseur Volker Schlöndorff widmete ihm einst einen Dokumentarfilm, auch ein Buch wurde bereits über ihn geschrieben.

Klima-Kompass

News und Entwicklungen rund um den Klimawandel. Jeden Freitag in diesem Newsletter.

Doch vor etwas über 40 Jahren war dies noch anders. Damals schien Rinaudo eher wie der legendäre Don Quijote gegen Windmühlen zu kämpfen. Als er in den 1980ern nach Niger kam, mit Frau und einem sechs Monate alten Baby, stand er vor einer wenig aussichtsreichen Situation: Die meisten Wälder waren abgeholzt, die Wüstenbildung schritt rasant voran, die Böden waren unfruchtbar. „Ich hatte damals ein bestehendes kleines Projekt geerbt, bei dem gemeinsam mit den Gemeinden Bäume gepflanzt wurden“, erinnerte er sich. Doch die meisten dieser Bäume seien eingegangen und die Gemeinden hätten kaum Interesse gezeigt. „Die Menschen waren hungrig“, meinte er. Und: „Wenn man Hunger hat, kann man nicht zehn Jahre lang warten, bis ein Baum gewachsen ist.“

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

„Offenbarung“ nach dem Stoßgebet

Die Situation sei frustrierend gewesen. Viele hätten ihn damals nur „den verrückten weißen Bauern“ genannt. Hinzu kamen hohe Temperaturen und Windgeschwindigkeiten bis zu 70 Kilometer pro Stunde, die die Aussaat schwierig gestalteten und das Land, Pflanzen und Tiere austrockneten und unter Stress setzten. Das Land war in einer Abwärtsspirale und rutschte dabei tiefer und tiefer.

Eines Tages war Rinaudo erneut mit drei Setzlingen losgefahren, um diese zu pflanzen – wohlwissend, dass die meisten von ihnen sterben würden“. Er war in sandigem Gelände unterwegs – an einem Punkt musste er anhalten, um den Luftdruck in den Reifen zu reduzieren. Dabei stand er am Rande der Wüste und sprach – in seiner tiefen Verzweiflung – ein stilles Stoßgebet. Wenig später sei ihm dann ein Busch ins Auge gefallen und plötzlich kam es zum Heureka-Moment. „Es war, als wäre ein Licht in meinem Kopf angegangen – das war kein Busch oder Unkraut, es war ein Baum, der gefällt worden war und aus dessen noch lebendem Baumstumpf frische Triebe herauswuchsen.“ Da sei ihm bewusst geworden, dass er keine modernen Aufzuchttechniken brauchte – vielmehr lag „mir alles, was ich brauchte, buchstäblich zu Füßen“.

„Es war, als wäre ein Licht in meinem Kopf angegangen“

Tony Rinaudo

Jahrhundertealte Anbaumethode

Rinaudo entwickelte daraufhin die Wiederaufforstungstechnik „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR). Bei dieser werden aus dem tief im Wüstensand verborgenen Wurzelsystem abgeholzter Bäume einige wenige neue Triebe kultiviert, während schwache, die dem Baum nur Energie ziehen, ausgedünnt werden. Auf diese Weise wachsen die Bäume relativ schnell wieder nach. Es gelang dem Australier, große Teile der Sahelzone wieder zu begrünen und das, ohne neue Setzlinge zu pflanzen oder Samen auszustreuen. Allein in Niger wurden auf diese Weise fünf Millionen Hektar Land mit über 200 Millionen Bäumen wiederhergestellt und ganze Ökosysteme rehabilitiert.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Grundsätzlich ist das Züchten von Bäumen aus Baumstümpfen nichts Neues. Es ist eine jahrhundertealte Anbaumethode, die auf der ganzen Welt praktiziert wird. Der Schlüssel zum Erfolg von FMNR ist jedoch die Einbindung der einheimischen Gemeinden. „Wir wollten 40 Bäume pro Hektar regenerieren“, berichtete Rinaudo. Um das zu schaffen und da zu diesem Zeitpunkt eine schlimme Hungersnot im Land herrschte, entschied er sich, den Menschen vor Ort mit Lebensmittellieferungen unter die Arme zu greifen. Standen die Bäume nach einem Monat noch, so gab es die nächste Nahrungsmittelzuteilung. „Das haben wir sechs oder sieben Monate lang gemacht.“

Das Ziel: Eine Milliarde Hektar in zehn Jahren

Und obwohl die meisten zu diesem Zeitpunkt noch immer gedacht hätten, dass er verrückt sei, hätten doch viele gesehen, dass das Ganze zumindest keinen Schaden anrichtete. So testeten sie ein weiteres Jahr und ein weiteres Jahr und die Zahl der Bäume wuchs und wuchs – bis auf 200 Millionen Bäume. „Der Held war nicht Tony“, meinte Rinaudo in seiner bescheidenen Art. „Der Held war ein gewöhnlicher, armer, ungebildeter Bauer, der etwas riskierte.“ Er sei zu den Farmern gegangen und habe gesagt: „Wären Sie bereit, mit mir auf einem kleinen Stück Land zu experimentieren? Nur für ein Jahr und wir werden das Ergebnis sehen.“ Das sei nicht bedrohlich gewesen, sondern hätte den Leuten die Freiheit gegeben, selbst zu entscheiden. In diesem Zeitraum erkannten sie, dass die neuen Bäume Tierfutter und zusätzliches Holz als Brennstoff lieferten, als Windschutz dienten und den Boden mit ihrem organischen Material düngten.

Inzwischen hat Rinaudo 29 afrikanische Länder für seine Methode begeistern können. Und mit World Vision im Rücken will der Australier nun global gehen. „Wir haben uns das Ziel gesteckt, im nächsten Jahrzehnt eine Milliarde Hektar degradierter Landfläche wiederherzustellen.“ Die ersten vier Projekte würden erneut in Afrika starten, aber es gebe bereits großes Interesse vonseiten des sogenannten Trockenkorridors in Mittelamerika. Letzterer ist ein rund 1600 Kilometer langer Landstreifen, der sich vom südlichen Mexiko bis nach Panama erstreckt. Ambitionen hat der 67-Jährige auch für Indien und Indonesien, beides Staaten, die ihr Land durch Rodung, aber auch durch schlechte landwirtschaftliche Praktiken degradiert haben.

„Was ich sehe, ist die Wiederherstellung der Hoffnung“, sagte Rinaudo. Denn: FMNR stelle degradiertes Land wieder her und verbessere damit die Lebensgrundlage der Menschen. Zuvor seien die Menschen daran immer wieder gescheitert und dadurch habe sich bei vielen das Gefühl breitgemacht, dass es sich gar nicht lohne, sich die Mühe zu machen. Ein ähnliches Phänomen erlebe er auch immer wieder beim Thema Klimawandel. „Dabei liegt uns mit dieser sehr einfachen Technik buchstäblich eine Lösung zu Füßen“, so Rinaudo.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

RND/bab



Source link www.kn-online.de