DFB-Gruppengegner Schweiz ist seit Jahren eines der Hauptimportländer für die Bundesliga. Die Kicker aus dem kleinen Nachbarland gelten als top ausgebildet, taktisch wie physisch, haben oft schon in jungen Jahren viel Erfahrung in der heimischen Super League gesammelt und sind häufig – vergleichsweise – günstig zu haben. Die „Nati“, wie die Eliteauswahl der Eidgenossen genannt wird, profitiert wiederum von den „Söldnern“, die in Deutschland ihr Geld verdienen und mit ihren Klubs in einer der europäischen Topligen die nächsten Schritte machen oder bereits zu Stars gereift sind.

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Auch im aktuellen Aufgebot von Nationaltrainer Murat Yakin, der einst selbst für den VfB Stuttgart spielte, stehen gleich sieben Akteure aus der Bundesliga: Gregor Kobel von Borussia Dortmund, Nico Elvedi aus Gladbach, Cedric Zesiger (VfL Wolfsburg), Ruben Vargas (FC Augsburg), Leonidas Stergiou (VfB Stuttgart), Silvan Widmer (Mainz 05) und Granit Xhaka vom Double-Gewinner Bayer Leverkusen sind bei der EM in Deutschland dabei. Bei der Endrunde trifft die Schweiz in der Gruppenphase an diesem Samstag (15 Uhr, MagentaTV) auf Ungarn, dann auf Schottland (19. Juni, 21 Uhr, ARD und MagentaTV) und zum Abschluss in Frankfurt auf die DFB-Elf (23. Juni, 21 Uhr, ARD und MagentaTV).

Spätestens seit der letzten EM, als die „Nati“ beim coronabedingt auf 2021 verschobenen Turnier die Gruppenphase überstand und im Achtelfinale sensationell Topfavorit Frankreich ausschaltete, zählt die Mannschaft nicht mehr zu den „Kleinen“ im europäischen Fußball. Erst im Viertelfinale war dann im Elfmeterschießen gegen Spanien Schluss. Trotz des Erfolgs gab es auch damals immer wieder Diskussionen um das Auftreten und die Verhaltensweisen mancher Stars – mittendrin mal wieder einige „Secondos“, namentlich Xhaka und der Ex-Dortmunder Manuel Akanji (heute Manchester City).

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„Secondos“ – so werden in der Schweiz Kinder von Einwanderern genannt, also aus der zweiten Generation. Mehr als die Hälfte der aktuellen Kaderspieler besitzt eine doppelte Staatsbürgerschaft. Xhakas Eltern stammen aus dem Kosovo, sein Bruder Taulant läuft für Albanien auf – beide hätten auch für die neu gegründete Nationalmannschaft des Kosovo spielen können. Akanji hat neben dem Schweizer außerdem einen nigerianischen Pass. Vor drei Jahren sorgten die beiden „Secondos“ für Wirbel in der Heimat, weil sie sich vor dem ersten Spiel gegen Italien (0:3) einen Friseur ins Teamhotel bestellten und sich die Haare blondieren ließen.

Schweiz: Akzeptanz für manche Stars nur bei Erfolg?

Es hagelte Kritik ob des angeblich arroganten Auftretens und der Ablenkung vom Wesentlichen, dem EM-Turnier. Nach dem Achtelfinaleinzug schoss Kapitän Xhaka dann öffentlich zurück: „Wir wurden viel kritisiert für Kleinigkeiten, die gar nicht so wichtig sind. Die Leute versuchen, diese Mannschaft kaputtzumachen.“ Nicht zum ersten Mal aus seiner Sicht. Und nicht zum ersten Mal entbrannte daraus eine Debatte um die „Secondos“, die von vielen Fans offenbar nur dann akzeptiert werden, wenn sie erfolgreich sind. Läuft es nicht, wird aus einer innigen Umarmung schnell eine Kluft im Falle des Scheiterns.

Auch in Deutschland gab es eine Zeit lang ähnliche Diskussionen, beispielsweise 2016, als Spieler wie Mesut Özil und Jeromé Boateng die Nationalhymne nicht mitsangen. Oder vor der WM 2018, als sich Özil und der heutige Kapitän Ilkay Gündogan mit dem türkischen Despoten Recep Tayyip Erdogan ablichten ließen. Beide wurden beim letzten Spiel vor dem Abflug nach Russland vom heimischen Publikum ausgepfiffen – Özil trat nach dem Turnier zurück und warf dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) sogar Rassismus vor.

Im selben Jahr gab es in der Schweiz die „Doppeladler-Affäre“. Ex-Bayern-Spieler Xherdan Shaqiri (hat ebenfalls kosovarische Wurzeln), heute bei Chicago Fire in den USA aktiv, und Xhaka jubelten im hochemotionalen Duell gegen Serbien (2:1) mit dem „Doppeladler“, der die albanische Flagge ziert – Serbien will diesen Staat nicht akzeptieren. Xhakas Vater saß jahrelang in serbischer Gefangenschaft. Seine Familie hatte vor der Partie Morddrohungen erhalten, die Stimmung war tagelang brutal aufgeheizt. Und die Schweizer Torschützen hatten Glück, dass ihre Gesten von der FIFA nicht als politisch gewertet wurden – sonst hätten sie abreisen müssen.

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Vier Jahre später kam es in Katar erneut zur Begegnung mit Serbien – und trotz aller Bemühungen der Beteiligten, diesmal Sport und Politik zu trennen, erneut zum Eklat: Nach dem 3:2-Siegtreffer für die Eidgenossen fasste sich Xhaka in den Schritt, es gab eine Rudelbildung auf dem Platz – und wieder mal die altbekannten Debatten. Seitdem hat sich die Lage zumindest etwas beruhigt, kaum jemand möchte noch darüber sprechen.

Peter Gilliéron, damals Schweizer Verbandspräsident, sieht im Rückblick das Positive und sagt: „Es war der Auslöser für Veränderungen, von denen das Nationalteam profitiert, bis heute.“ Sprich: Jeder Hinterwäldler sollte inzwischen kapiert und akzeptiert haben, dass die Schweizer Nationalmannschaft von ihren Doppelbürgern profitiert, auch von deren Emotionen und Leidenschaft. Das schließt allerdings nicht aus, dass es bei der EM erneut knallen kann. Sowohl Albanien als auch Serbien sind beim Turnier am Start.



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