Begegnete man ihm auf der Straße, würde man eher an einen Türsteher als an einen feinsinnigen Musiker denken.

Seinen „Rausschmeißer“ hat er bereits gespielt. Scott Joplin, zauberhaft interpretiert. Er sortiert die Notenblätter, schließt sanft den Flügel, dann den Deckel über der Tastatur, streicht noch einmal mit der Hand über das Klavier.

Seine Zuneigung scheint dem Instrument zu gelten, weniger den Menschen. Er bespielt die Einsamen, die Müden, die Erfolgreichen und Gescheiterten. Und im Zweifel auch sich selbst.


Als er an mir vorbeigeht, bedanke ich mich für sein Spiel. Ich frage ihn, ob ihn die Teilnahmslosigkeit seines Publikums angesichts seiner Begabung nicht schmerzen würde. Er lächelt mich an.

“Manche fliehen vor sich selbst, andere zu sich“

„Nicht mehr”, sagt er mit britischem Akzent. „Nach einigen Jahren habe ich begriffen, dass ich an solchen Orten eine Flucht begleite. Manche fliehen vor sich selbst, andere zu sich.“

Aber es hätte sich etwas geändert. Früher wäre er noch fünfmal am Abend um „As Time Goes By“ gebeten worden.
„Heute gibt es kaum noch Wünsche. Der Titel ist Realität geworden.“

 

Er verabschiedet sich in die Nacht. Mit den Augen eines Menschen, der sich mit seinem Lebensweg arrangiert hat. Irgendwann mag er vielleicht von einer Solistenkarriere geträumt oder ein wenig eifersüchtig auf Kollegen geblickt haben, deren Begabung im Widerspruch zur Größe ihrer Bühne stand. Wie bei ihm selbst, nur umgekehrt.

Morgen Abend wird er wieder spielen; der Anonymität seiner Zuhörer die Illusion von Begleitung schenken. Und irgendwann leise den Flügel schließen.

  





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