Rote Mohnfelder, goldene Getreide-Äcker und sattgrüne Apfelbaumplantagen, so weit das Auge reicht: Einladend ist die Natur in den seichten Hügellandschaften im Kyffhäuserkreis und dem Landkreis Sömmerda.  Auf die Farbe „Grün“ ist dort aber kaum jemand gut zu sprechen – im politischen Sinn.

Wer durch das idyllische Niederbösa mit seinen nur etwas mehr als 100 Einwohnern fährt, stößt im Dorf auf ein Wahlplakat der rechtsextremen Partei „Die Heimat“, die mit dem Slogan „Kein Bock auf Grüne“ bei den gerade abgeschlossenen Wahlen für sich warb. Nur ein paar Meter weiter hängt ein weiteres Wahlplakat der NPD-Nachfolge-Partei mit der Aufschrift „Remigration Jetzt!“.

Immer mehr Jungwähler stimmten für AfD 

Mit der gleichen Forderung sorgen auch immer wieder AfD-Politiker für Schlagzeilen, heftig kritisiert dafür von der politischen Konkurrenz. Die Pläne, die im Beisein wichtiger AfD-Politiker bei einem Geheimtreffen um den rechtsextremen Vordenker Martin Sellner in einer Potsdamer Villa erörtert wurden, sorgten deutschlandweit für Proteste von Hunderttausenden. In den Wochen danach sorgten ihre Spitzenleute für die Europawahl für Skandale. 

Doch obwohl die AfD gerade von einem Skandal zum anderen stolpert, hat sie die stärksten Zuwächse bei der Europawahl am 9. Juni verzeichnet, und zwar quer durch alle Altersgruppen. Aber mit elf Prozent war er nirgendwo so groß wie bei den Jungwählern bis 24.

Mutter über AfD: „Unsere Kinder haben gute Wahl getroffen“ 

Besonders stark ist sie in einigen sächsischen Landkreisen. Neben Niederbösa im Kyffhäuser-Kreis, wo die AfD 56,3 Prozent erhielt, zählt zu diesen Gemeinden auch Kindlbrück im Landkreis Sömmerda, wo die AfD 51,7 Prozent der Stimmen erhielt.  Dort mit Erstwählern ins Gespräch zu kommen, ist schwierig in diesen Tagen. Auf den Straßen trifft man wegen der Prüfungszeit gerade wenige von ihnen an. Zudem, erklären mehrere Kindlbrücker, gibt es im Ort kaum Plätze, an denen sich Jugendliche regelmäßig aufhielten. Und die wenigen, die tatsächlich unterwegs sind, wollen keine Auskunft geben und haben nach eigenen Angaben schlicht nicht gewählt. 

Auf der Suche nach Einwohnern, die Erstwähler kennen könnten, bleibt der Reporter bei einem Spaziergang durch die hübsche und gepflegte Gemeinde schließlich vor einem Einfamilienhaus-Grundstück stehen, auf dessen Auffahrt sich zwei Frauen, beide Anfang, Mitte vierzig, unterhalten.  Auf die freundliche Frage, ob sie vielleicht einen Erstwähler kennen würden, der Lust hätte, über seine Wahl zu berichten, schreit eine der beiden Frauen den Reporter ruppig an: „Was? Sie wollen darüber schreiben, dass unsere Kinder AfD gewählt haben? Nix da! Unsere Kinder haben eine gute Wahl getroffen!“ Womit das Gespräch beendet zu sein scheint.   

„Haben unseren Sohn an die AfD verloren“ 

Ein Kirchenmann aus dem Kyffhäuser-Kreis, der anonym bleiben möchte, kennt das Problem aus der eigenen Familie. „Mein Sohn ist in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem liberale, demokratische Grundwerte gepflegt und gelebt werden. Doch ich befürchte, dass wir ihn an die AfD verloren haben“, erzählt der Mann deprimiert.  Begonnen habe das alles aus Sicht des Vaters damit, dass der Sohn sich bei „falschen Stellen“ im Internet informiert habe. „Irgendwann merkten wir, dass er immer stärker genau so argumentierte, wie es die AfD tut, wenn wir über politische Themen geredet haben.“  

Vater und Mutter fanden heraus, das seine Argumente zum Beispiel von Internet-Foren stammen, die bekannt dafür sind, Fake-News zu verbreiten. „Wir haben versucht, mit ihm darüber zu reden, aber wir kommen da nicht mehr an ihn ran“, sagt der Vater. Hinzu komme, dass der Sohn seine Ansichten im Freundeskreis teile, was das Problem noch komplexer mache.

„Schüler stimmen für die Partei, die gegen Verbrenner-Aus ist“ 

Was mögliche Gründe für die Tendenz der Erst- und Jungwähler angeht, bei der AfD ihr Kreuz zu machen, hat ein Lehrer aus der Region eine schlichte Antwort. „Die Jugendlichen träumen in diesem Alter von einem Auto, dass sie sich leisten können, also eins mit einem Verbrennermotor. Da von der Politik aber deren Aus beschlossen wurde, geben sie der Partei die Stimme, die dagegen ist.”  Grüne Positionen hätten es da schwer, was man auch an den Wahlplakaten gesehen habe. „Die standen ein, zwei Tage maximal, dann waren sie Konfetti.“ 

Ursprünglich war die Thüringer AfD gegen ein Absenken des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre. 2018 hatte der Thüringer Landesverband, der vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wurde, sogar dagegen geklagt. Zu groß waren die Bedenken, dass gerade die Jungwähler, die überall mit „Fridays for Future“ auf die Straßen gingen, vor allem den Grünen einen Stimmenzuwachs bringen könnten. Es kam bekanntlich anders.  Unter den Schülern im Kyffhäuser-Kreis scheint die Unterstützung für die AfD punktuell sogar noch höher zu sein, wie der Lehrer berichtet. „In einer Arbeitsgruppe zum Thema Wahlen zeigten sich etwa 90 Prozent von der AfD angetan. Für die Grünen hingegen waren nur zwei oder drei Schüler.“





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