Es war ein Triumph, der noch deutlicher ausfiel, als es die meisten Franzosen wohl erwartet hatten. Als am Sonntagabend die ersten Balken der Wahlprognosen über die Fernsehschirme gewandert waren, wählte der erst 28 Jahre alte Parteichef des rechtsnationalen Rassemblement National betont große Worte. „Diese beispiellose Niederlage für die herrschende Regierung markiert das Ende eines Zyklus und den ersten Tag der Zeit nach Macron, bei der es an uns ist, sie aufzubauen“, sagte Bardella am Sonntagabend. Der deutliche Vorsprung seiner Partei vor dem Lager von Staatschef Emmanuel Macron zeige die Ablehnung der französischen Bürger gegenüber den Regierenden. „Emmanuel Macron ist heute Abend ein geschwächter Präsident.“ Eine Stunde später verkündete Macron die Auflösung der Nationalversammlung und Parlamentsneuwahlen in wenigen Wochen.

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Es war eine Niederlage mit Ansage für Macron – und Bardella ist, neben Parteifreundin Marine Le Pen, der große Gewinner der französischen EU‑Wahl. Doch wer ist der jugendlich wirkende Mann, der der von ganz rechts kommenden Partei RN derart große Wählerschichten erschließt?

Mit 23 Jahren saß er schon im Europaparlament. Und es dauerte nicht lange, da war er Le Pens Stellvertreter. Heute ist er Chef der rechtsextremen Partei. Und er hat seinen Anteil daran, dass die Franzosen nicht mehr als rechtsradikale Randpartei wahrgenommen werden wie noch der damalige Front National unter dem langjährigen Chef Jean-Marie Le Pen, der unter anderem wegen Aufstachelung zum Rassenhass und Verharmlosung des Holocaust verurteilt wurde. Lockte er überwiegend Menschen aus den unteren sozialen Schichten an, so gehörten Anhänger des heutigen Rassemblement National zuvor eher zur politischen Mitte. Das ist die Folge eines umfassenden Imagewandels, den Le Pens Tochter Marine betreibt, seit sie die Partei 2011 übernahm. 2018 beschloss sie die Umbenennung: „Nationale Vereinigung“ klingt weniger kriegerisch als die vorherige Bezeichnung „Front“.

Eine Strategie der „Entdämonisierung“

Antisemitische oder rassistische Parolen und Symbole verbot sie, einschlägige Nazi-Anhänger und sogar ihren eigenen Vater ließ sie ausschließen. Mit dem Islam, sagt die heute 55‑Jährige, habe sie kein Problem, solange er nicht radikal sei. Zu dieser sogenannten Strategie der „Entdämonisierung“ passte auch, dass sich die französischen Rechtspopulisten nun kurz vor der EU‑Wahl von der AfD lossagten, mit der sie bisher in einer Fraktion im EU‑Parlament saßen. Die Deutschen waren Le Pen zu radikal geworden. Stattdessen versucht sie, sich nun der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni anzunähern. Bardella ist das Gesicht dieser Imagekorrektur.

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Das Programm der französischen Rechtspopulisten hat sich allerdings kaum verändert. Nach dem Schlagwort „Frankreich den Franzosen“ wollen sie Ausländern im Land soziale Leistungen vorenthalten, auch wenn sie dort regulär arbeiten und Abgaben zahlen. Jean-Yves Camus, Spezialist für politische Radikalität bei der politischen Stiftung Fondation Jean Jaurès, spricht von einem „rein kosmetischen Wandel“ der RN‑Leute.

„Sie wollen die EU von innen auflösen“

„Ihre Losung heißt nationale Souveränität, und sie lehnen alles ab, was diese infrage stellen würde, also die EU und die Nato“, so Camus. „Sie wollen die EU von innen heraus auflösen.“ Da die französische Bevölkerung mehrheitlich proeuropäisch eingestellt ist, hat Le Pen allerdings die Forderung nach einem Austritt Frankreichs aus der Europäischen Union und der Euro-Zone inzwischen aufgegeben.

Wer also sind die Anhänger vom Rassemblement National und von dem so eloquenten Bardella? Wer in den vergangenen Wochen eine Wahlkampfveranstaltung Bardellas besuchte, konnte zumindest den Eindruck gewinnen, dass die Partei deutlich in Richtung Mitte gewandert sein muss.

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Etwa im Pariser Konzertsaal Le Dôme, eine Woche vor der Wahl.

Jordan Bardella und Marine Le Pen treffen auf der Wahlparty vom Rassemblement National ein.

Jordan Bardella und Marine Le Pen treffen auf der Wahlparty vom Rassemblement National ein.

Eine lange Schlange aus Menschen verschiedensten Alters, Studenten, Rentnern, Familien bildet sich vor dem Eingang und verläuft den Gehweg entlang. Viele sind mit Freunden gekommen, manche als Pärchen. Ein kleines Mädchen und ihre Mutter, beide asiatischer Herkunft, passieren die Sicherheitskontrolle. Das Kind hält eine Frankreich-Fahne in der Hand.

„Jor-dan, Jor-dan“-Jubel bricht los

So unterschiedlich die Wartenden äußerlich wirken, was sie verbindet, ist der Wunsch, den Mann live zu sehen, für den sie bei der Europawahl am Sonntag stimmen wollen: RN‑Spitzenkandidat Bardella. Gut zwei Stunden später werden sie im Inneren des Saals frenetisch seinen Vornamen rufen, um ihn endlich auf die Bühne zu locken: „Jor-dan, Jor-dan“-Jubel bricht los, als der 28‑Jährige, groß gewachsen mit athletischer Statur und dunklem Anzug, endlich kommt, angekündigt von seiner Mentorin Marine Le Pen. Bardella wird beklatscht wie ein Rockstar. Seine selbstbewusste Stimme durchdringt den Saal. „Die Stunde der Wahrheit ist nicht mehr sehr weit“, beginnt er seine Rede. „Dank euch fühle ich mehr denn je das Feuer eines großen und schönen Siegs für Frankreich!“ Die Menge skandiert den Slogan, der auch in französischen Fußball- oder Rugbystadien erklingt. „Wir werden gewinnen, wir werden gewinnen!“

Nun haben sie gewonnen. Und zwar deutlich. Das europaskeptische RN kam auf etwa 32 Prozent der Stimmen, Macrons proeuropäisches Lager auf nur etwa 15,2 Prozent. Die Sozialisten landeten den Hochrechnungen zufolge mit rund 14 Prozent auf Platz drei.

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Was hat die RN‑Wähler überzeugt?

Doch was hat die RN‑Wähler überzeugt? Der 18‑jährige Gabriel, der in der vergangenen Woche im Pariser Publikum mitjubelte, sieht in dem RN keine extremistische Partei mehr. Jean-Marie Le Pen habe mit seiner Tochter gerade mal noch den Namen gemein, erklärt er. Am dringlichsten seien für ihn die Themen Kaufkraft und Einwanderung. Dass Bardella, der seit fünf Jahren im EU‑Parlament sitzt, dort nur selten auftaucht und kaum Anträge einbringt, stört ihn nicht. „Wenn es darauf ankommt, ist er da“, glaubt Gabriel, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Und bitte kein Bild von ihm für die Presse.

Bejubelt wie ein Popstar: Jordan Bardella bei einer Wahlkampfveranstaltung mit Anhängern in Paris eine Woche vor der EU-Wahl.

Bejubelt wie ein Popstar: Jordan Bardella bei einer Wahlkampfveranstaltung mit Anhängern in Paris eine Woche vor der EU-Wahl.

Auch Isaure und Marie-Capuce lehnen es ab, fotografiert zu werden. „Ich bin Juristin, das kann ich wegen meiner Arbeit nicht machen“, sagt die 25‑jährige Isaure. Dabei stehen sie beide zu ihrer politischen Haltung, versichert ihre Freundin. „Mir geht es um das Thema Sicherheit. Als Frau fühle ich mich nicht wohl, alleine auf der Straße unterwegs zu sein.“ Daran könne „Jordan“ etwas ändern, auch auf europäischem Niveau.

Schon seit Monaten machten französische Medien eine regelrechte „Bardella-Mania“ aus, gerade unter Jungen. 1,3 Millionen Menschen folgen ihm auf der sozialen Plattform Tiktok. Als einziger Politiker schaffte er es in die Liste der 50 beliebtesten französischen Persönlichkeiten, die das Umfrageinstitut Ifop und die – inzwischen einer stramm rechten Verlegerlinie folgende – Zeitung „Le Journal du dimanche“ vor einigen Monaten veröffentlichten. In manchen Umfragen überholt er bereits Le Pen.

Als Marine Le Pen 2022 den Fraktionsvorsitz der 89 RN‑Abgeordneten in der Nationalversammlung übernahm, überließ sie ihm dauerhaft das Amt des Parteichefs. Manche munkeln schon, er könne sie stürzen – schließlich gab es in der Partei immer nur Platz für einen Chef oder eine Chefin. Doch die beiden betonen gern, wie perfekt sie sich ergänzen.

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„Für einen Fascho sieht er nett aus“

Verbrachte sie ihre Kindheit in einer Villa in einem noblen Pariser Vorort, so wuchs Bardella als Sohn italienischer Einwanderer in einer verrufenen Banlieue im Norden der Hauptstadt auf. Oft erzählt er von den sozialen Schwierigkeiten, den Drogendealern im Hauseingang, einem Leben zwischen Islamisten und Kleinkriminellen. Inzwischen enthüllten Medien, dass sein Vater ihm durchaus ein kleines Auto kaufen und ihn auf Reisen ins Ausland mitnehmen konnte. Auch sein früheres Wohnviertel ist demnach keineswegs der soziale Brennpunkt, als den er die Gegend beschreibt.

Doch die Erzählung von dem fleißigen Arbeiterjungen aus der Banlieue, der weiß, wovon er spricht, wenn er die vielen Probleme des Landes aufzählt, der Einwanderungshintergrund hat, aber sich zu assimilieren wusste, sie kommt an.

Sein Geografiestudium an der Sorbonne brach er ab, um sich früh der Politik zu widmen. Der RN rollte dem ehrgeizigen jungen Mann den roten Teppich aus. Mit seinen höflichen Manieren, den gut sitzenden Anzügen und dem unbestreitbaren Redetalent passte er ideal ins Bild. Auch wenn er das Argumentieren, die Lockerheit, ja sogar das bemühte Selfie-Lächeln hart einüben musste, wie sein ehemaliger Medientrainer Pascal Humeau in einer Investigativsendung verriet. „Wir mussten monatelang an seinem Auftreten arbeiten, damit die Leute zumindest sagen: Für einen Fascho sieht er nett aus“, so Humeau, der sich nach einem Streit um Geld mit Bardella überworfen hat. Bardella sei „eine leere Hülle“, der wenig las und nur vorgegebene sprachliche Versatzstücke anzuwenden wusste.

Diesen Eindruck vermittelte auch ein TV‑Duell im Wahlkampf zwischen ihm und Gabriel Attal, dem 35 Jahre alten Premierminister. Der ebenfalls populäre Attal war von Macron in den Europawahlkampf geschickt worden, um die drohende Schlappe abzuwenden. Tatsächlich gelang es ihm, einige fachliche Lücken und Unklarheiten Bardellas aufzuzeigen.

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Warum stimme seine Partei, die sich lange dank Krediten russischer Banken finanzierte, sich aber angeblich von Präsident Wladimir Putin losgesagt habe, nie für Ukraine-Hilfen? Warum enthielt er selbst sich bei einer Resolution gegen die harte Verurteilung des inzwischen toten Kremlkritikers Alexei Nawalny, nicht aber bei einer anderen bezüglich der Repression politischer Regimegegner auf Kuba? Wie sei es möglich, dass Bardella den Text über die europäische Strommarktreform, gegen die er votierte, nicht einmal gelesen hat? Die Debatte war eine der seltenen Gelegenheiten, den RN‑Chef herauszufordern – und überfordert zu sehen.

Geschadet hat es Bardella nicht. Schon in den Umfragen nach dem Duell spiegelte sich sein schwacher Auftritt allerdings nicht wider – und im Wahlergebnis vom Sonntagabend schließlich auch nicht.



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