Kommentar zur Europawahl: Experte Krause sieht Alarmstufe Rot für das deutsche Parteiensystem

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Montag, 10.06.2024, 14:10

Die Europawahl zeigt, dass sich das deutsche Parteiensystem in einer schweren Krise befindet. Gerade mal 60 Prozent der Stimmen entfielen auf Parteien, die zum Kernbestand der demokratischen Parteienlandschaft gehören. Besonders frappierend sind die Ergebnisse in Ostdeutschland, analysiert Politik-Experte Joachim Krause.

Das hiesige Ergebnis der Europawahl vom 9. Juni ergibt ein Stimmungsbild der Parteienlandschaft in Deutschland zweieinhalb Jahre nach dem Amtsantritt der Ampelkoalition. Das Bild könnte nicht verheerender sein: die Parteien der Ampel können sich gerade noch der Unterstützung von 32 Prozent der Wählerschaft sicher sein.

Die Union liegt zwar mit 30 Prozent vorne, aber sie kann von der Schwäche der Koalitionsparteien nicht wirklich profitieren. Die Gewinner sind die populistischen Putin-Parteien AfD mit knapp 16 Prozent und BSW mit 6 Prozent sowie die vielen Splitterparteien, die bei einer Bundestagspartei an der 5-Prozent Klausel scheitern würden, aber zusammen etwa 17 Prozent bekamen, also mehr als AfD oder SPD.

Infos zur Europawahl 2024

 

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist die AfD zur stärksten politischen Kraft geworden, obwohl ihre beiden Spitzenkandidaten tief in Finanz- und Spitzelskandale verwickelt sind.

Bedeutung von Volksparteien

Die Bundesrepublik Deutschland galt für Jahrzehnte als eine stabile Demokratie, weil zwei große und eine kleine Volkspartei das Sagen hatten. Volksparteien sind deshalb von Bedeutung, weil sie eine Vielzahl von politischen Interessen und weltanschaulichen Meinungen in sich vereinen und in der Konkurrenz um Stimmen und im Gesetzgebungsprozess zu Kompromissen und Kooperation angehalten und bereit sind. Sie sind die Quelle demokratischer Stabilität.

Seit dem Einzug der Grünen in den Bundestag, das Europaparlament und die Länderparlamente hat sich das linke Parteienspektrum aufgespalten, ein Prozess, der sich durch den Einzug der SED-Nachfolgepartei PDS/Linke in die Parlamente und des BSW in das Europaparlament weiter fortsetzt. Bis 2015 konnten CDU und CSU einen vergleichbaren Prozess auf der konservativen Seite des politischen Spektrums verhindern.

Über den Experten

Prof. Dr. Joachim Krause ist Direktor Emeritus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel und Chefredakteur von SIRIUS. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Privatdozent tätig. Neben seiner akademischen Laufbahn hat er an internationalen diplomatischen Missionen teilgenommen. Seine Forschungsarbeit ist in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen dokumentiert.

Es waren die dramatischen Ereignisse des Herbstes 2015 die auch dort zu einer tiefen Spaltung führten. Nachdem die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel etwa eine Million Migranten aus Syrien, Nordafrika, Palästina und anderen Ländern des Nahen Ostens ungeprüft einreisen und begrüßen ließ, nahm die fremdenfeindliche AfD eine parlamentarische Hürde nach der anderen und ist heute die zweitstärkste politische Kraft in Deutschland und in den meisten ostdeutschen Bundesländern sogar die stärkste Kraft.

Das Problem mit der AfD ist, dass sie nicht nur fremdenfeindlich ist, sondern auch systemfeindlich. Sie stellt das demokratische System in Frage, in ihr geben rechtsextremistische Kräfte mehr und mehr den Ton an und die offenkundige Sympathie der Partei für Wladimir Putin und dessen faschistisches System lässt den demokratiefeindlichen Charakter der Partei mehr als deutlich werden.

Was sind die Ursachen dieses Verfalls des deutschen Parteiensystems, der die Stabilität unserer Demokratie gefährdet?

In erster Linie sind es Fehler der beiden großen Parteien. Die SPD vermochte in den 80er Jahren nicht, die traditionelle Arbeitnehmerschaft bei der Stange zu halten und gleichzeitig die aufkommende Öko-Bewegung zu integrieren und hechelt seither programmatisch den Grünen hinterher.

Die Union hätte heute die mit Abstand führende Partei sein können, wenn Kanzlerin Merkel im Herbst 2015 nicht so grandios versagt hätte. Vor allem hat die massive Unterstützung ihrer Politik durch die öffentlich-rechtlichen Medien bei vielen Bürgern in den neuen Bundesländern einen Deja-vu-Effekt bewirkt. Viele sahen in der offenen Parteinahme für die Bundeskanzlerin und den geradezu belehrenden Charakter von Nachrichtensendungen Parallelen zur DDR, wo der Gleichklang von meist fehlerhafter Regierungspolitik und belobigender und belehrender Berichterstattung zum System gehörte. Die abnehmende Sympathie für das demokratische Regierungssystem Deutschlands in den östlichen Bundesländern hat ihre Wurzeln in dieser Zeit. Seither wird dem „System“ und seinen Repräsentanten misstraut. AfD und BSW profitieren davon.

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Die Ampelkoalition hat massiv an Vertrauen verloren. An der Wahlurne hätte sie derzeit keine Mehrheit. Es stellt sich die Frage, ob Neuwahlen sinnvoll wären, auf welchem Wege die erfolgen könnte und wie wahrscheinlich sie sind. Politik-Experte Jürgen Falter beantwortet diese Fragen.

Niclas M. zeigt Falschparker und Verkehrssünder an. Nun wurde er allerdings selbst verurteilt.

Aber der Absturz der vergangenen Jahre hatte auch damit zu tun, dass SPD, Union und FDP sich viel zu sehr auf die programmatischen Vorgaben der Grünen eingelassen haben. Das gilt für die Klimapolitik ebenso wie für das Thema Migration. Die im Namen der Klimarettung gemachte Politik auf deutscher wie europäischer Ebene wird von mehr und mehr Menschen als übergriffig angesehen.

Die Probleme der Integration von Migranten (einschließlich der Auseinandersetzung mit radikalen Islamisten) werden von den Grünen (und großen Teilen der SPD) mehrheitlich immer noch nicht als relevant betrachtet. Die Kommunen melden seit langem, dass sie kaum noch mit dem Zufluss von Ankömmlingen mithalten können und in vielen Schulen herrscht Notstand, weil Lehrer überfordert sind mit Kindern ohne Deutschkenntnisse und mit familiären Hintergründen, die sie nicht für eine Integration tauglich erscheinen lassen.

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Situation erinnert an Weimarer Republik

Zudem kommt das Problem, dass sich mehr und mehr Menschen in Deutschland politisch nur für eine Angelegenheit organisieren und engagieren wollen. Volksparteien interessieren sich für viele Probleme und versuchen die Vielfalt zu bündeln. Ein-Thema-Parteien oder Bewegungen sehen das anders und organisieren sich zunehmend am Rande des politischen Geschäfts und nutzen die Sozialen Medien. Aber die knapp 17 Prozent für solche Parteien bei der jüngsten Europawahl sind ein klares Signal. Wir brauchen wieder Volksparteien, die sich in vielen Bereichen engagieren und die das Vertrauen in das „System“ wieder herstellen können.

Ansonsten droht sich das Ende der Weimarer Republik zu wiederholen. Im Jahr 1934 brüstete sich Adolf Hitler damit, dass er das deutsche Volk von seinen 21 politischen Parteien befreit habe. Es bleibt zu hoffen, dass das nicht wieder eintritt. Bei der jüngsten Europawahl waren in Deutschland 34 Parteien zugelassen.

Häufig gestellte Fragen zu diesem Thema


Die AfD erfährt Zulauf, da viele die Politik der Grünen und SPD als von linken Positionen geprägt wahrnehmen und sich von „Besserwissern“ regiert fühlen. Die Klima- und Energiepolitik sowie die Einwanderungspolitik schüren Unzufriedenheit. Einige sehen Kernkraftwerksabschaltungen kritisch und …

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Joachim Krause

Direktor emeritus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel und Chefredakteur von SIRIUS


Dies ist unklar, aber hohe Unterstützung für die AfD und Berichte über mangelnde Aufnahmekapazitäten sind Indikatoren. Überlastete Kommunen und ablehnende Haltungen gegenüber Zuwanderung durch politische Figuren verstärken das Gefühl der …

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Joachim Krause

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Rechtspopulistische Parteien wie die AfD bieten vorrangig fremdenfeindliche Parolen. Sie befürworten physische Barrieren und sind bereit, Menschenrechte zu verletzen, um illegale Einwanderung zu stoppen. Die Parteien verfolgen unrealistische und …

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Demokratische Parteien und die EU müssen rechtliche und ethische Grenzen wahren, während sie Migration managen. Lösungen sind komplex, doch klare Verabredungen mit Transitländern und Einwanderungszentren außerhalb Europas könnten …

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Joachim Krause

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Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.





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