Das passiert wirklich mit Ihren Beiträgen: Plündert die Bundesregierung die Rentenkasse? Das müssen Sie zu den Vorwürfen wissen

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Die FDP sagt, der Bund bediene sich aus der Rentenkasse. Richtig ist: Die Rentenversicherung zahlt weit mehr als nur Altersrenten und verdient weit mehr als nur Beiträge. Doch nicht alle Kosten sind eindeutig zuordenbar. Neun Punkte erklären, was die FDP meint und warum andere Politiker die Praxis verteidigen.

1. Was ist passiert?

Die FDP hatte unlängst über die Wirtschaftswoche publik gemacht, wie viele Milliarden Euro die Bundesregierung seit Jahren aus der Kasse der Gesetzlichen Rentenversicherung entnehmen und zweckentfremden würde. Im Kern geht es dabei darum, dass die Regierung der Rentenversicherung Leistungen aufbürdet, die nicht mit ihrer Kernaufgabe zu tun haben und dafür pauschale Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt zahlt, die aber meist nicht zur Deckung dieser Extra-Ausgaben ausreichen. Das Defizit soll sich so seit 1957 auf 989 Milliarden Euro summiert haben, wie der Rentenexperte Fritz Teufel in der Wirtschaftswoche vorrechnet.

Um zu verstehen, worum es bei diesen – im Kern altbekannten – Anschuldigungen geht, müssen Sie verstehen, wie die Deutsche Rentenversicherung genau funktioniert. Das wollen wir im Folgenden aufdröseln.

2. Womit nimmt die Deutsche Rentenversicherung Geld ein?

Die Rentenversicherung muss regelmäßig über ihre Einnahmen und Ausgaben Rechenschaft in Geschäftsberichten ablegen. Wir verwenden im Folgenden jeweils die aktuellsten verfügbaren Zahlen. So waren Ende 2022 insgesamt 79 Millionen Menschen in der Deutschen Rentenversicherung versichert. 58 Millionen davon bezogen keine Renten, 21 Millionen waren Rentner – hier sind Altersrenten und Erwerbsminderungsrenten zusammengerechnet, es handelt sich also nicht nur um Senioren.

 

 

 

Haupteinnahmequelle der Rentenversicherung sind entsprechend die Beiträge der fast 58 Millionen Versicherten, die noch keine Rente bezahlen. Sie trugen im vergangenen Jahr geschätzte 289 Milliarden Euro bei. Dahinter folgt der allgemeine Bundeszuschuss, der im Vorjahr bei 54 Milliarden Euro lag, sowie ein zusätzlicher Zuschuss von 30 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch Einnahmen, etwa aus Kapitalanlagen, Rückzahlungen oder Erstattungen. Sie lagen 2023 bei rund 2,2 Milliarden Euro.

 

 

 

3. Wofür gibt die Deutsche Rentenversicherung Geld aus?

Der größte Ausgabenposten sind die Renten. Für Alters- und Erwerbsminderungsrenten zahlte die Deutsche Rentenversicherung im Vorjahr geschätzte 325 Milliarden Euro aus. Hinzu kommen Zuschüsse an die Krankenversicherung für Rentner von rund 26 Milliarden Euro, Leistungen zur Teilhabe für Rehamaßnahmen von erkrankten oder verletzten Versicherten in Höhe von rund sieben Milliarden Euro und die allgemeinen Verwaltungs- und Verfahrenskosten von rund fünf Milliarden Euro.

Wer jetzt im Kopf mitgerechnet hat, der merkt, dass die Rentenversicherung mit ihrem Kerngeschäft sogar einen Überschuss von 1,1 Milliarden Euro erzielt hat. Das ist kein Einzelfall, sondern die Regel. Die Rentenversicherung bildet aus den Überschüssen eine Nachhaltigkeitsrücklage, deren Zweck es ist, kurzfristige, konjunkturelle Schwankungen ausgleichen zu können. Diese Rücklage beträgt aktuell rund 44,5 Milliarden Euro. Sie darf maximal bei 1,5 Monatsausgaben liegen, das wären rund 46,8 Milliarden Euro.

 

 

 

4. Was sind die extra berechneten „versicherungsfremden Leistungen“?

Die Zahlung von Alters- und Erwerbsminderungsrenten ist das Kerngeschäft der Rentenversicherung, aber nicht ihre einzige Aufgabe. Wenn in Schlagzeilen von „versicherungsfremden Leistungen“ die Rede ist, sind alle Ausgaben gemeint, die hier noch obendrauf kommen.

Das Problem dabei: Es gibt keine scharfe Definition, was eine „versicherungsfremde Leistung“ ist – eine Tatsache, die auch der Bundesrechnungshof schon mehrmals gerügt hat.

Im engsten Sinne sind solche Leistungen diese, die nicht durch Beitragszeiten gedeckt sind. Das gilt zum Beispiel für die Mütterrente, bei denen Mütter Ansprüche auf Renten für die Zeiten erhalten, in denen sie ihre Kinder daheim erzogen haben. Auch die Grundsicherung im Alter gehört dazu, sofern ihre Ausgaben nicht durch Beiträge gedeckt sind und die „Rente mit 63“, weil die Rentenversicherung hier volle Altersrenten zahlt, obwohl durch Beiträge eigentlich Abschläge notwendig wären.

Selbst Erwerbsminderungsrenten könnten im engeren Sinne als versicherungsfremde Leistungen zählen. Dazu kommen viele kleinere Ausgabenposten, etwa Renten für Kriegs- und Wehrdienstopfer, Rentenansprüche für Schul- und Hochschulausbildungszeiten, die Anrechnung von Pflegezeiten oder sonstiger Ersatzzeiten im Erwerbsalter. Selbst Teile der in den Neuen Bundesländern gezahlten Renten wären demnach „versicherungsfremd“, weil heutige Rentner dort vor der Wiedervereinigung nicht in die Deutsche Rentenversicherung eingezahlt haben.

5. Wie hoch sind diese Leistungen?

Ohne genaue Definition bleibt es schwer, genaue Beträge zu nennen. Der Bundesrechnungshof schätzt, dass bei einer engen Definition, die etwa nicht Erwerbsminderungsrenten und Rentenzuschüsse für den Osten umfassen würde, 2020 versicherungsfremde Leistungen von rund 63 Milliarden Euro geflossen sind. Nach einer weiter gefassten Definition wären es 112,4 Milliarden Euro gewesen.

Da der Bundeszuschuss 2020 bei rund 75 Milliarden Euro lag, hat der Staat also im besten Fall der Rentenversicherung zwölf Milliarden Euro zu viel gegeben, im schlimmsten Fall für ein Defizit von 37 Milliarden Euro gesorgt. Der Bundesrechnungshof gibt an, dass die Bundeszuschüsse zumindest rückblickend seit mindestens 2009 immer ausgereicht haben, um die versicherungsfremden Leistungen im engeren Sinne zu decken.

6. Wie werden die Bundeszuschüsse berechnet?

Die Bundesregierung legt im Bundeshaushalt jedes Jahr fest, wie viel Geld sie der Rentenversicherung zuschießt. Die gesamte Summe – im vergangenen Jahr waren es rund 117 Milliarden Euro – gliedert sich dabei in verschiedene Bereiche. Beispielhaft gingen im Vorjahr etwa 45 Milliarden Euro als allgemeiner Zuschuss an die Rentenversicherung, zwölf Milliarden Euro an die Rentenversicherung in den Neuen Bundesländern, rund 31 Milliarden gab es als extra Zuschuss für die Rentenversicherung, rund 18 Milliarden Euro waren allein für die Mütterrente gedacht und so weiter.

Wichtig dabei: Die jeweiligen Zuschüsse sind jeweils eine pauschale Schätzung der Summen, die die Rentenversicherung benötigt, um alle Ausgaben zu leisten. Sie sind nicht an den tatsächlichen Ausgaben orientiert. Deswegen argumentiert etwa auch das Bundessozialministerium, dass es nicht nötig sei, die versicherungsfremden Leistungen genau zu definieren und aufzulisten, wenn deren Zahlungen über die pauschalen Zuschüsse gedeckt seien.

7. Warum sind die versicherungsfremden Leistungen ein Problem?

Der Vorwurf der FDP und des Experten Teufel lautet, dass die Bundesregierung sich seit Jahrzehnten an der Rentenkasse bediene. Gemeint ist damit, dass sie der Versicherung immer mehr Ausgaben aufdrückt, die nicht durch Beiträge gedeckt sind und zu geringe Bundeszuschüsse zahlt. Die Summe von 989 Milliarden Euro seit 1957 errechnet sich dabei aus dem Maximalwert dieser Differenz. Damit die Rentenversicherung diese fremden Leistungen trotzdem zahlen kann, musste der Rentenbeitrag steigen.

Die Kritiker argumentieren, dass ohne die versicherungsfremden Leistungen die Rentenbeiträge deutlich geringer wären. Verschiedene Wirtschaftsinstitute wie das IW Köln, das DIW, aber auch der Bund der Steuerzahler haben das berechnet. Weil eben die Definition unklar ist, unterscheiden sich hier auch die Ergebnisse. Möglich wären nach ihren Daten Beitragssenkungen von bis zu drei Prozent.

Das Gegenargument von Befürwortern der Praxis lautet, dass die Rentenbeiträge aktuell auf dem niedrigsten Stand seit 1993 liegen, obwohl die Zahl der versicherungsfremden Leistungen seitdem deutlich gestiegen ist. Offensichtlich lassen sich diese mit steigenden Bundeszuschüssen also ohne Beitragserhöhungen finanzieren.

 

 

 

8. Wäre es wirklich eine starke Entlastung für Arbeitnehmer, wenn der Bund seine Praxis ändert?

Nein. Die versicherungsfremden Leistungen müssten dann aus dem Bundeshaushalt gezahlt werden. Den wiederum finanzieren die Steuerzahler, welche entsprechend mehr zahlen müssten. Zwar lassen sich Steuern so gestalten, dass niedrige und mittlere Einkommen weniger stark zur Kasse gebeten werden. Die Erfahrung sagt aber, dass der Durchschnittsbürger nichts sparen würde. Was Sie an Rentenbeitrag einsparen, zahlen Sie über Steuern extra – ein Nullsummenspiel.

Eine kleine Ersparnis könnte sich dadurch ergeben, dass die Menge an Menschen, die Steuern bezahlen, höher ist als die, die Rentenbeiträge entrichten. Viele Selbstständige, Rentner selbst, Unternehmen und Beamte fallen etwa in diese Gruppe.

Andererseits fallen dann auch Rentenbeiträge von Unternehmen weg, bei denen fraglich ist, ob sie im gleichen Maße durch Unternehmenssteuern gedeckt werden würden oder doch der Allgemeinheit der Steuerzahler aufgebürdet werden würden.

 

 

 

9. Was wollen dann die Kritiker versicherungsfremder Leistungen?

Die Kritiker der gängigen Praxis teilen sich in zwei Lager. Zum ersten gehört etwa der Bundesrechnungshof, der dem Bundessozialministerium empfiehlt, eine genaue Definition versicherungsfremder Leistungen zu erstellen und jedes Jahr transparent aufzulisten, welche Kosten diese verursachen. Im besten Fall lassen sich die Leistungen und die dafür notwendigen Bundeszuschüsse optimieren und Geld durch Effizienz sparen.

Zum anderen Lager der Kritiker gehört etwa die FDP. Ihr Anliegen ist nicht, die versicherungsfremden Leistungen optimaler zu gestalten, sondern sie teils ersatzlos zu streichen. So soll etwa die „Rente mit 63“ wieder abgeschafft werden. Ansonsten gibt sich aber auch die FDP Mühe zu betonen, dass sie die Leistungen lediglich dem Bundeshaushalt zuordnen will und nicht mehr der Rentenversicherung. Weitere Kürzungen seien nicht geplant.

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csa





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