Frankfurt/Main. Sie sind bislang an jedem Morgen hier, früh genug, um die ersten Reihen zu besetzen, vorne an der Scheibe, die den Gerichtssaal von den Zuschauerplätzen trennt. Es sind Frauen mittleren Alters, unauffällig gekleidet, mit bunten Sneakern, Strickpulli, die Lesebrillen ins Haar geschoben. Werden die Angeklagten in den Saal geführt, nacheinander, mit je einem Justizbeamten links und rechts, springen sie auf, formen ihre Hände zu Herzen und lächeln halb aufmunternd, halb bewundernd. Wenn einer der Angeklagten sie bemerkt, wenn zum Beispiel der frühere Bundeswehrsoldat Peter Wörner an Tag vier ihnen auf dem Weg zu seinem Platz ein Victoryzeichen zuwirft, dann reagieren sie regelrecht beglückt.

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Sie seien einfach Prozessbeobachterinnen, antworten sie, wenn man sie fragt, warum sie hier sind. Aber tatsächlich sind sie wohl eher Fans. Anhängerinnen der sieben Männer und zwei Frauen, die sich hier, vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, wegen Hochverrats und Terrorverdachts verantworten müssen. Wobei sie alle Welt demonstrativ wissen lassen, was sie von dieser Anklage halten. Mal heben sie demonstrativ die Arme, als der Vertreter der Bundesanwaltschaft die 65 Seiten vorliest, als wollten sie sagen: „Na und?“ Mal sagt eine von ihnen in einer Pause, so dass es wirklich jeder hört, im halb belustigten Ton: „Na, das ist ja eine schöne Räuber-Hotzenplotz-Geschichte!“ Ein Märchen eben, soll das heißen.

Na, das ist ja eine schöne Räuber-Hotzenplotz-Geschichte!

Frau, die regelmäßig zum Prozess geht

Glaube an geheime Mächte

Die neun Angeklagten um Heinrich XIII. Prinz Reuß, das sei die Führungsclique jener „Reichsbürger“-Verschwörung, die sich im Jahr 2022 darauf vorbereitet, den Bundestag zu stürmen und die Macht zu übernehmen, davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt. Sympathien aber, das gehört zum Beunruhigenden, genoss und genießt diese Gruppe über diesen Gerichtssaal hinaus. Sie wären, muss man fürchten, nicht allein gewesen.

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Seit zwei Wochen also läuft dieser wichtigste Teil des größten Staatsschutzverfahrens in der Nachkriegsgeschichte. Insgesamt 26 Angeklagte, aufgeteilt auf drei Prozesse an drei Standorten, Stuttgart, München und eben Frankfurt. Ehemalige Polizisten, Bundeswehrsoldaten, ein Adliger, eine frühere Richterin, alle vereint in der Ablehnung des Staates, im Glauben an geheime Mächte, die ihn in Wirklichkeit beherrschten und Kinder in geheimen Verliesen quälten, um aus ihrem Blut ein Verjüngungselixier zu gewinnen, so sieht es die Anklage. Waffen hätten sie schon gesammelt und Listen von Gegnern geschrieben, die zu beseitigen wären, Kompanien gebildet, Schießtrainings abgehalten und vorsorglich den Bundestag ausgekundschaftet. Als die Ermittler die Mitglieder der Gruppe im Dezember 2022 festnahmen, haben sie, so sehen sie es selbst, einen hochgefährlichen Umsturzversuch vereitelt. Oder haben sie die Gefahr, die von diesen so bieder scheinenden älteren Herrschaften ausging, maßlos überschätzt?

Das ist es, was dieser Prozess klären muss. In Stuttgart läuft der Prozess seit April, München folgt im Juni, Frankfurt ist das Zentrum. Doch was sich nach zwei Wochen in dieser eigens errichteten Leichtbauhalle in einem Industriegebiet im Frankfurter Norden sagen lässt, ist, wie enorm aufwendig dieser Versuch werden wird, diese Frage zu entscheiden.

Groß, aber schmucklos: Innenansicht des Verhandlungssaals in der neu gebauten Leichtbauhalle des Oberlandesgerichts Frankfurt im Stadtteil Sossenheim.

Groß, aber schmucklos: Innenansicht des Verhandlungssaals in der neu gebauten Leichtbauhalle des Oberlandesgerichts Frankfurt im Stadtteil Sossenheim.

Seit vier Verhandlungstagen also stets derselbe Ablauf. Als Erste wird Johanna F.-J. hereingeführt, 53 Jahre, ehemalige Kandidatin für die Splitterpartei „Die Basis“, die Einzige, die ihr Gesicht hinter einem aufgeklappten Ordner vor den Kameras verbirgt. Dann Birgit Malsack-Winkemann, früher selbst Richterin und AfD-Bundestagsabgeordnete, deren Hauptsorge am ersten Tag dem fehlenden Löffel zu gelten scheint, ohne den sie den aus der JVA mitgebrachten Joghurt am Mittag nicht essen kann. Michael Fritsch, der ehemalige Polizist aus Niedersachsen, der meist eine Kiste voller Akten mit in den Saal trägt, als sei er immer noch der Polizist, der gleich selbst jemanden vernimmt.

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Gruß an die Kameraden

Peter Wörner, ehemaliger Bundeswehrsoldat, 55 Jahre, Vollbart, aufrechte Haltung, große Schritte, Einzelkämpferhabitus. Dann Prinz Reuß, der adlige Anführer, bekannt von den Tweedsakko-Fotos seiner Festnahme, in der Mitte der Reihen, die Arme verschränkt, seltsam unbeteiligt, als sehe er sich noch immer über den anderen.

Anwälte und Angeklagte: Zur Gruppe von Prinz Reuß (oben, zweiter von links) gehört auch eine Frau, die auf dem Foto ihr Gesicht hinter einer Aktenmappe verbirgt.

Anwälte und Angeklagte: Zur Gruppe von Prinz Reuß (oben, zweiter von links) gehört auch eine Frau, die auf dem Foto ihr Gesicht hinter einer Aktenmappe verbirgt.

Maximilian Eder, als Bundeswehrsoldat im Kosovo und in Afghanistan im Einsatz, eine äußerlich gebrochene Erscheinung mit langem grauen Haar. Vitalia B., die 41-jährige Lebensgefährtin des Prinzen, Russin, die stets im Kostüm erscheint. Hans-Joachim H., auch er früher Bundeswehrsoldat, die personifizierte Unauffälligkeit. Und Rüdiger von Pescatore, 70 Jahre, früherer Fallschirmjäger-Kommandeur, neben Reuß Anführer der Vereinigung, gleichsam sein militärisches Äquivalent, der zur Begrüßung stets die Hand an die Stirn legt, der militärische Gruß, Kameraden halt.

Sie sitzen in drei Reihen, umgeben von ihren Anwältinnen und Anwälten, 25 insgesamt. Bei einigen war es kein Zufall, dass sie dieses Mandat übernommen haben. Der bekannteste ist Martin Schwab, Juraprofessor aus Bielefeld, in der Pandemie mit seiner Kritik an den Corona-Maßnahmen zu einem Fixpunkt der Szene geworden. Zur Begrüßung umarmt er seine Mandantin Johanna F.-J. innig, dann blickt er hinüber zu den Zuschauerplätzen, grüßt. Man kennt sich, von Veranstaltungen der „Querdenker“-Partei „Die Basis“, so erzählen es Frauen im Publikum.

Sie werden es mir nachsehen, dass ich mich nicht auf Ihr sprachliches Niveau begeben möchte.

Jürgen Bonk,

Richter

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Oder da ist Andreas Wölfel, Anwalt von Wörner, einer, der auch als Vertrauensperson der rechten Szene gilt. Am Tag zwei zürnt Wölfel gegen ein „Strafverfahren auf dem Rücken der Angeklagten, um von anderweitigem Versagen abzulenken“, einmal spricht er von einem „eh schon kontaminierten Verfahren“. Da wirkt er vom Verschwörungsdenken mancher im Publikum gar nicht mehr so weit entfernt.

Eine Kammer, in der der Druck steigt

Es ist in dieser Konstellation vielleicht nicht erstaunlich, dass die Atmosphäre in der Wellblechhalle am Rande Frankfurts zunehmend aggressiver wird, wie in einer Kammer, in der der Druck langsam steigt. Der Vorsitzende Jürgen Bonk ist ein erfahrener Richter, jemand, der mit Feinsinn und Freundlichkeit die Form zu garantieren versucht. „Sie werden es mir nachsehen, dass ich mich nicht auf Ihr sprachliches Niveau begeben möchte“, entgegnet er an Tag eins einem der Anwälte des Prinzen Reuß. Es gibt Richter, die mit Lautstärke versuchen, sich Respekt zu verschaffen. Jürgen Bonk versucht es mit dem Gegenteil.

 Der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk.

Der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk.

Vom ersten Tag an sparen die Anwälte nicht mit Anträgen. Einige wirken plausibel. Dass die Aufteilung der Angeklagten auf verschiedene Prozesse problematisch ist, zum Beispiel. Eders Anwalt Ralf Dalla Fini berichtet von einem Angeklagten, der in Stuttgart vor Gericht steht, aber in der Anklage von Frankfurt auf insgesamt mehr als 600 Seiten über 400-mal erwähnt wird. Der Mann hatte gegenüber Eder behauptet, in jenen unterirdischen Verliesen gekämpft zu haben, in denen die Kinder festgehalten würden. Ohne ihn habe es keine Umsturzpläne gegeben, „da gibt es einen untrennbaren Zusammenhang“.

Laptops werden eingesammelt

Oder die Kritik daran, dass die Angeklagten nicht in die neuesten Akten schauen können – und deshalb erst mal nicht aussagen wollen. Sie haben einen sogenannten Leselaptop bekommen, aber der ist auf dem Stand vom September 2023. Weswegen die Bundesanwaltschaft die Laptops am Ende der zweiten Woche erst mal wieder einsammeln muss. Rückgabe? „Zeitnah.“ Genaues Datum? Ungewiss. Die Justiz hat für einen Millionenbetrag ein neues Gebäude für diesen Prozess errichtet. Aber das Update für die Laptops hat jemand offenbar vergessen.

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Nur gibt es dann auch eher gewagte Vorstöße. Etwa den auf „Einstellung wegen Strafklageverbrauchs“ der Eder-Anwälte. Ihr Mandant war vor einigen Wochen bereits in München verurteilt worden, wegen Trunkenheit am Steuer. Da war er mit Tempo 100 auf der Flucht vor der Polizei gegen einen Baum gefahren. Auf der Flucht sei er aber nur gewesen, weil er auf dem Weg zu einer Frau gewesen sei, die ihm beim Auffinden der Kinderverliese helfen sollte und Papiere dabei gehabt hätte, die die Polizei nicht finden sollte. Also hätte die Fahrt auch in den Frankfurter Prozess gehört. Alkohol am Steuer als Terrortat, könnte man leicht zugespitzt sagen. Auch dieser Gedanke findet Platz in diesem Gerichtssaal.

5169 Euro Ruhegehalt für den Oberst a. D.

Es dauert bis Tag vier, bis zum ersten Mal eine Zeugin aussagt. Eine junge Kommissarin vom Bundeskriminalamt, die den Lebenslauf des Angeklagten Eder recherchiert hatte. Aber bevor sie aussagen kann, geht es erst mal um die Aussagenehmigung ihrer Dienststelle. Die keine Unterschrift trägt. Ein bloßer Ausdruck. „Höchst bedenklich“, sagt ein Anwalt. Ein anderer möchte das Dateiformat wissen. Obwohl niemand ernsthaft daran zu zweifeln scheint, dass sie aussagen darf.

„So, Frau …“, setzt der Vorsitzende um 10.55 Uhr schließlich an zu fragen, mehr als eine Stunde nach Verhandlungsbeginn. Da kann sie berichten. Wobei es wohl alle im Saal ohnehin schon wissen, weil Eder oft im Netz darüber gesprochen hat. Dass Eder im Kosovo und in Afghanistan war, insgesamt 38 Jahre bei der Bundeswehr. Dass er vier teure Autos besaß, ein Haus in Georgien, dass er ein Ruhegehalt von 5169 Euro bekam, dass er dennoch Schulden hatte und bei der Flut auf eigene Faust als Helfer im Ahrtal war. „Er engagierte sich sehr stark und hatte das Bedürfnis, viele von seinen Gedanken nach außen zu tragen“, sagt die BKA-Mitarbeiterin. Was sich wohl zeigen wird. Eders Anwälte haben schon angekündigt, dass er selbst aussagen will. Aber ein Tag, deuteten sie schon mal an, werde dafür nicht reichen.

Kontakt zum russischen Konsulat vermittelt

Die einzige Angeklagte, die in diesen ersten Tagen geredet hat, war Vitalia B. Ihr wirft die Anklage vor, die Satellitentelefone der Gruppe, mit denen sich die Mitglieder im Ernstfall verständigen wollten, einsatzbereit gemacht zu haben. Außerdem soll sie einen Kontakt zum russischen Konsulat in Leipzig vermittelt haben. Sie zeichnet von sich das Bild einer Tochter aus höherem Hause, geboren in Kaliningrad, ehrgeizig, kunstinteressiert, im Gefängnis vertreibe sie sich die Zeit mit Sticken. Prinz Reuß habe sie bei einer Einladung kennengelernt, „das ist Liebe“, sagt sie über ihre Beziehung. Nur warum sie, die zuvor stets bescheiden lebende Studentin, irgendwann mehr als 86.000 Euro auf dem Konto hatte, dazu bleibt sie vage. „Aus dem Umfeld der Familie“, sagt sie nur. Aber an diesem Tag soll es nur um sie als Person gehen, nicht um die Vorwürfe.

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Für den Prozess in Frankfurt sind vorerst 50 Verhandlungstage bis Anfang 2025 terminiert. Aber die meisten Beteiligten rechnen damit, dass er Jahre dauern wird.

Am Ende der zweiten Woche kündigt einer der Anwälte von Prinz Reuß an, dass dieser in der kommenden Woche aussagen werde, jedenfalls über seine Person. Dann unterbricht ihn sein Kollege, sie beraten sich noch mal. Dann erklären sie, dass sie doch noch Zeit bräuchten. Wie lange, das ist noch nicht klar.



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