Hannover. Vorsichtig holt Maria Weller (70) das goldfarbene Stoffsäckchen aus ihrer Handtasche und zieht eine an einem schwarzen Satinband befestigte Medaille heraus. „Mir wäre es lieber gewesen, wenn er sich die Ehrung für sein Lebenswerk selbst abgeholt hätte“, sagt die Witwe des einstigen Box-Europameisters René Weller (†69). Zärtlich streicht sie über die Auszeichnung des Bundes Deutscher Berufsboxer (BDB), die sie gerade stellvertretend für ihren im August 2023 verstorbenen Ehemann in Empfang genommen hat.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Die Auszeichnung: Mit dieser Medaille hat der Bund Deutscher Berufsboxer René Weller für sein Lebenswerk geehrt.

Die Auszeichnung: Mit dieser Medaille hat der Bund Deutscher Berufsboxer René Weller für sein Lebenswerk geehrt.

Es war ein emotionaler Aufenthalt in Hamburg anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des BDB: „Viele Menschen haben mir ihr Beileid ausgesprochen und Anekdoten von René erzählt“, erinnert sich Weller im Gespräch mit uns bei einem Kaffee an das Gala-Dinner mit anschließender Award-Verleihung im Grand Elysée, einem Fünf-Sterne-Privathotel. Oft wurde sie dort gefragt: „Weißt du noch, als … ?“ Und natürlich wusste sie noch. Schließlich kannte die Hannoveranerin den „schönen René“, den „Champ“, wie er überall genannt wurde, schon seit 1978, im Jahr 2003 wurden sie ein Paar. „Auch in Hamburg waren wir häufig zusammen, es erinnert mich andauernd alles an ihn.“

Glückliches Paar: Maria und René Weller 2015 bei einem Boxkampf in Frankfurt. Nach außen wirken sie wie immer – wissen zu dem Zeitpunkt aber längst um die niederschmetternde Diagnose Demenz.

Starkes Paar – bis zum Schluss: Maria und René Weller besuchen 2015 einen Boxkampf in Frankfurt. Nach außen wirken sie wie immer – wissen zu dem Zeitpunkt aber längst um die niederschmetternde Diagnose Demenz.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Die letzten Jahre hat Maria Weller ihre Lebensliebe in dessen Heimatstadt Pforzheim liebevoll gepflegt. Dort lebten sie seit 2005 gemeinsam. Bis zu seinem letzten Atemzug war die 70-Jährige an Wellers Seite, versuchte ihm trotz der Alzheimer-Erkrankung das Leben so erträglich wie möglich zu machen. „Setz mein Lebenswerk fort“, habe Weller seine Liebste in einem seiner letzten lichten Momente gebeten. Und mit ihrer Teilnahme an der Box-Gala hat Maria Weller genau das getan. „Ich war seine zweite große Liebe“, sagt sie und lächelt. „Das Boxen war die erste. Sie hat ihn mir auch frühzeitig genommen.“

Das Boxen wurde mein größter Feind.

Maria Weller (70) war noch nie ein Fan des Sports, der ihren Mann René Weller berühmt, aber auch krank gemacht hatte.

Dass Boxer aufgrund wiederholter, schwerer Kopftreffer später schwer erkranken können, ist längst kein Geheimnis mehr. Auch bei René Weller diagnostizierten Ärzte eine Chronisch Traumatische Enzephalopathie (CTE), die aufgrund vieler kleiner Gehirnerschütterungen auftreten kann. „Boxen war noch nie so mein Ding“, gesteht Maria Weller, „und als René erkrankte, wurde Boxen mein größter Feind.“ Trotzdem war es keine Alternative, nicht nach Hamburg zu reisen. Dort angekommen, überkamen sie ein Haufen Gefühle. „Ich saß da und habe angefangen zu weinen“.

Es war auch das erste Mal seit Langem, dass sie mal wieder einen Boxkampf gesehen hat: Das Match der beiden Schwergewichts-Weltmeister Tyson Fury (35) und Oleksandr Usyk (37) war an jenem Gala-Abend live übertragen worden. An ihrer Seite hatte Maria Weller eine Freundin, Sigrid Viehring (66). „Wir kennen uns bestimmt seit 40 Jahren, hatten uns aber eine lange Zeit aus den Augen verloren“, erzählt Maria Weller. Während der körperlich wie emotional schweren Zeit, in der sie ihren Mann pflegte, intensivierten die Frauen ihren Kontakt wieder.

Freundinnen: Zwar haben sich Maria Weller (rechts) und Sigrid Viehring viele Jahre aus den Augen verloren, aber ihrer innigen Beziehung konnte das nichts anhaben.

Freundinnen: Zwar haben sich Maria Weller (rechts) und Sigrid Viehring viele Jahre aus den Augen verloren, aber ihrer innigen Beziehung konnte das nichts anhaben.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Klar sprach man über Arztbesuche, Pflegebetten und Erschöpfung, erinnerte sich aber auch an gemeinsame Zeiten, in denen sie nach dem Discobesuch im „Sugar“ oder dem „Village“ in Hannover nach Isernhagen gefahren und frühmorgens im Wietzesee schwimmen gegangen sind. „Nackt“, wie beide grinsend ergänzen. „Einmal kam sogar die Polizei“, erinnert sich Viehring, „aber die Beamten haben nur gegrinst, als sie unsere Klamotten am Ufer gesehen haben.“

Die 66-Jährige hat Maria Weller Mut zugesprochen, ehe diese in Hamburg auf die Bühne ging, um die Auszeichnung entgegenzunehmen. „Ich war so nervös und hatte mir im Vorfeld schon den Kopf darüber versprochen, was ich sagen soll“, erzählt Weller. Die Sorge, dass ihr die Stimme versagen könnte, war verflogen, als BDB-Präsident Thomas Pütz (58) sie vor gut 2000 Gästen aufrief. Auf der Leinwand wurden Bilder von René Weller gezeigt, „da habe ich die Medaille einfach nur geküsst und sie zu ihm hochgehalten“. Gesagt hat sie weiter nichts.

Als sie ihn bittet, sie nicht alleine zu lassen, fließen bei René Weller Tränen

Was sie ihrem Mann am Sterbebett versprochen hat, weiß sie dafür noch ganz genau. Immer wieder hat sie ihm in seinem letzten Lebensabschnitt Liebesbekundungen gemacht. Selbst dann, wenn man eigentlich anzweifeln könnte, dass er sie noch hört oder versteht. „Er hat mich aber bestimmt verstanden“, da ist sich Maria Weller sicher. Zwei Monate vor seinem Tod flüsterte sie ihm zu: „Was soll ich nur ohne dich machen? Lass mich nicht allein!“ René Weller liefen da plötzlich die Tränen über das Gesicht, der ultimative Beweis für seine Frau, dass er ihre Worte sehr wohl wahrgenommen hat.

Das Versprechen war eine große Sache.

Maria Weller (70) hat ihrem kranken Mann René am Sterbebett versichtert, für immer treu zu bleiben.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Nach ihrem Schwur, ihm für immer die Treue zu halten, ist René Weller gestorben. „Er war ja immer ziemlich eifersüchtig. Da schien, als ob er zufrieden sei und ist gegangen.“ Und während ihre Freundin Sigrid sie anhält, jetzt ihr eigenes Leben zu leben, weiß Weller: „Ich habe René so geliebt. Das Versprechen war eine große Sache, das breche ich nicht.“

Dieser Text erschien zunächst bei der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“.



Source link www.ln-online.de