München – Noch liegt eine dicke Schicht aus Staub und Zementbröseln auf dem Altar. Gegenüber lehnt eine Leiter, genau unter der Luke, wo’s hinaufgeht zum Dachstuhl. An den Wänden sind alte Wasserflecken zu erkennen. Jahrelang hat sich der Regen seinen Weg gebahnt: durch das undichte Dach, in den immer morscher werdenden Dachstuhl aus Holz, bis hinunter auf den Boden des Kirchenschiffs. Die Spuren des schleichenden Verfalls vergangener Jahrzehnte sind auch heute noch sichtbar.

Doch es sind nicht mehr viele. In wenigen Tagen wird das Nikolauskircherl in Englschalking, das aus dem 13. Jahrhundert stammt, feierlich wiedereröffnet. Dann wird der Altar blank gefegt, die Leiter weggeräumt, alles mit Blumen geschmückt und frisch herausgeputzt sein. Pfarrer Peter Duswald wird den frühgotischen, denkmalgeschützten Bau mit dem großen geschmiedeten Schlüssel aufsperren – rund 20 Monate, nachdem die Kirche wegen akuter Gefahr für Leib und Leben gesperrt werden musste. Es ist eine Geschichte bürgerschaftlichen Engagements: Gemeinsam haben viele Münchner ein bedrohtes Kleinod vor dem Verfall und drohenden Abriss bewahrt.

Pfarrer Peter Duswald war anfangs skeptisch, ob so viel Geld gesammelt werden kann. Am 9. Juni wird er St. Nikolaus wiedereröffnen.
Pfarrer Peter Duswald war anfangs skeptisch, ob so viel Geld gesammelt werden kann. Am 9. Juni wird er St. Nikolaus wiedereröffnen.
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Pfarrer Peter Duswald war anfangs skeptisch, ob so viel Geld gesammelt werden kann. Am 9. Juni wird er St. Nikolaus wiedereröffnen.

von job

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Nikolauskircherl in Englschalking: “Auf den Altar ist der Zement von oben gebröckelt”

Sankt Nikolaus in Englschalking ist eine besondere Kirche. Der frühgotische Bau mit seinem romanischen Kern gehört nicht nur zu den ältesten der Stadt – und ist im Kircheninneren so gut erhalten, dass Historiker juchzen – die Englschalkinger hängen auch sehr an ihr. Viele “Ureinwohner”, wie der Pfarrer gern mal die alteingesessenen Englschalkinger bezeichnet, haben sich in St. Nikolaus das Ja-Wort gegeben und Taufen von Kindern, Enkeln und Ur-Enkeln gefeiert. Bis zuletzt fanden in dem Kircherl mit den gerade mal 40 Sitzplätzen jeden Donnerstag Messen statt. Und viele in der Umgebung besuchen regelmäßig den verwunschenen kleinen Friedhof.

Besonders macht die einstige Dorfkirche von Englschalking, die seit geraumer Zeit zur Gemeinde St. Emmeram gehört, aber vor allem auch ihr “Gesicht”: Am Dachreiter, dem Türmchen – das auf dem Dach des Kirchenschiffs sitzt – , hängt seit Jahrhunderten eine Sonnenuhr. Das Zifferblatt, der Zeiger und die beiden Fensterchen darüber schauen aus wie ein lächelndes Gesicht. “Immer wenn man hier vorbeikommt, zaubert einem das ein Lächeln ins Gesicht”, sagt die Englschalkinger Gisela Welzenbach.

“Da war alles verfault”: So schlimm stand es um die St.-Nikolaus-Kirche in München

Im Jahr 2022 allerdings wurde offenbar, dass mit der Kirche was nicht stimmt. “Auf den Altar ist der Zement von oben runtergebröckelt, es wurde von Woche zu Woche schlimmer”, erinnert sich der Pfarrer. “Wenn die Glocke läutete, hat’s komisch geknackst. Ich hatte bei jeder Messe ein ungutes Gefühl.” Zur Gemeinde (rund 6500 Mitglieder) gehört auch Heinz Langhammer, er ist Bauingenieur im Ruhestand. Der heute 80-Jährige hat jahrzehntelang bei der Telekom den Bau von Fernsehtürmen überwacht. “Du Heinz”, sagte der Pfarrer zu ihm, “wir müssen da oben mal nachschauen.”

Damals ahnte Heinz Langhammer noch nicht, was da auf ihn zukommen würde. Gemeinsam mit einem anderen Gemeindemitglied kraxelte er nach oben: Otto Prähofer, Statiker im Ruhestand, damals ebenfalls 80. “Wir mussten nauf kriechen, so eng war’s”, erinnert er sich. “Uns hat’s fürchterlich gegraust. Man sah sofort: Da war alles verfault.” Er schaltete einen Gutachter ein. “Dem hat’s noch mehr gegraust”, erzählt Langhammer. “Der hat die Hände überm Kopf zusammengeschlagen, gefragt, wie das überhaupt noch hält.” Die Decke habe nur noch an ein paar Hölzern gehangen. “Das war sehr kritisch, dass die auf die Andächtigen runtergefallen wär’.” Die jahrhundertealte Kirchenglocke, rund 140 Kilo schwer, hatte dem Türmchen massiv zugesetzt. Durch die Schwingungen hatte sich der Dachreiter um zehn Zentimeter zur Seite geneigt, drohte abzubrechen.

Hohe Kosten für die Sanierung: Nicht mal Pfarrer Peter Duswald glaubte an die Rettung

Schnell war klar: Die Kirche muss umfassend saniert werden, andernfalls hätte sie nie mehr genutzt werden können. Die morschen Dachbalken mussten ausgetauscht, der Dachreiter stabilisiert, das undichte Dach neu gedeckt werden. Ein Projekt, das insgesamt mehrere Hunderttausend Euro verschlingen würde. Aber wer sollte das bezahlen?

Nicht mal der Pfarrer glaubte anfangs daran, dass es gelingen würde, so viel Geld aufzutreiben. Denn von der Diözese würde kein Cent kommen. Die Gemeinde St. Emmeram hatte erst vor einigen Jahren viel Geld bekommen für die Sanierung ihrer Filialkirche St. Philippus und Jakobus in Daglfing sowie fürs Pfarrheim.

Die Gemeinde wollte sich mit dem Verfall des Nikolauskircherls nicht abfinden

Das Nikolauskircherl dem Verfall zu überlassen damit wollte sich eine Gruppe von acht Gemeindemitgliedern um Heinz Langhammer nicht abfinden. Sie fragten bei Stiftungen an, schrieben Rundbriefe, suchten händeringend Unterstützer. Langhammer kalkulierte die Kosten, holte Angebote ein, verhandelte mit dem Ordinariat – es musste das Bauvorhaben erst genehmigen. Stück für Stück arbeitete sich die Gruppe voran, ohne zu wissen, wie weit sie kommen würde.

Im Sommer 2023 konnten schließlich die ersten Rettungsmaßnahmen im Dachstuhl beginnen. Er ist nun fertig saniert, auch der Dachreiter kann nicht mehr abknicken, nun wird noch das Dach neu gedeckt. Heinz Langhammer ist ehrenamtlicher Bauleiter. Gabriele Huber (57), die von Beruf Bankkauffrau ist, ist die Frau für die Finanzen. Die Chefin des Spendenausschusses hat mit ihrem sechsköpfigen Team das Geld für die Rettungsaktion gesammelt.

Gabriele Huber vom Spendenausschuss und ihr Team haben selbst gespendet: für eine neue Glocke. Die alte, kaputte bleibt in der Kirche.
Gabriele Huber vom Spendenausschuss und ihr Team haben selbst gespendet: für eine neue Glocke. Die alte, kaputte bleibt in der Kirche.
© Daniel von Loeper
Gabriele Huber vom Spendenausschuss und ihr Team haben selbst gespendet: für eine neue Glocke. Die alte, kaputte bleibt in der Kirche.

von Daniel von Loeper

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Über 1000 Münchner machten bei der Rettung mit – und spendeten 206.000 Euro

Sie organisierten Volkstanzabende, Tortenversteigerungen, Musik- und Filmabende. Sie riefen eine “Ziegelpatentschaft” ins Leben und buken im Pfarrheim insgesamt 180 Pizzen gegen Spenden. Sagenhafte 206.000 Euro sind so im Laufe der Monate zusammengekommen. Über 1000 Privatpersonen beteiligten sich. “Die kleinste Spende waren 20 Euro von einem Kommunionkind,” sagt Gabriele Huber.

Dazu kamen noch Stiftungen, die knapp 45.000 Euro beisteuerten, weitere 40.000 sind in Aussicht gestellt. Auch das Landesamt für Denkmalpflege hat sich beteiligt: mit 18.600 Euro. Nun zweifelt niemand mehr daran, dass auch der Rest des benötigen Geldes noch zusammenkommt. “Etwa 18.600 Euro fehlen nun noch”, sagt die Bankkauffrau. “Ein bisschen stolz samma schon”, sagt Heinz Langhammer.

All zu viel sieht man von dem lächelnden Kirchlein derzeit nicht. Es ist noch eingerüstet: Das Dach wird noch neu gedeckt.
All zu viel sieht man von dem lächelnden Kirchlein derzeit nicht. Es ist noch eingerüstet: Das Dach wird noch neu gedeckt.
© Daniel von Loeper
All zu viel sieht man von dem lächelnden Kirchlein derzeit nicht. Es ist noch eingerüstet: Das Dach wird noch neu gedeckt.

von Daniel von Loeper

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Der Pfarrer ist noch überschwänglicher: “Ich platze vor Dankbarkeit”, sagt er beim AZ-Besuch. “Es ist eine Riesenfreude, die einen erfüllt. ” Am Sonntag, 9. Juni wird er mit seiner Gemeinde Fronleichnam (nach)feiern. Um 9 Uhr geht es los mit einem Gottesdienst in  St. Emmeram (Ostpreußenstraße 80 in München), danach werden die Besucher in einer Prozession bis zum Nikolauskircherl ziehen, wo der Pfarrer die Nikolaustür aufsperrt. Ab diesem Tag wird die Kirche wieder für Messen, Taufen, Hochzeiten nutzbar sein. Nur das Gerüst bleibt noch ein bisschen: Bis alles fertig ist. 





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