Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International mindestens 1.153 Menschen auf Anweisung eines staatlichen Gerichts getötet. Das sei der höchste Wert seit 2015, teilte Amnesty in einem Bericht zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe mit. Für diesen Anstieg seien nur wenige Länder verantwortlich.

Demnach entfielen allein auf den Iran mit 853 Hingerichteten fast drei Viertel aller registrierten Tötungen. Das sei ein Anstieg um 48 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auf den Iran folgen Saudi-Arabien mit 172 Exekutionen, Somalia (38) und die USA (24). Daneben ist laut Amnesty die Zahl der weltweit neu verhängten Todesurteile in 2023 gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent auf 2.428 gestiegen.

Weniger Staaten vollstrecken Todesstrafe

Nach Angaben von Amnesty setzten allerdings weniger Länder die Todesstrafe ein. So seien in Belarus, Japan, Myanmar und im Südsudan 2023 anders als im Vorjahr keine Hinrichtungen mehr erfasst
worden. Insgesamt hätten damit 112 Länder die Todesstrafe per Gesetz abgeschafft, in 32 weiteren Ländern sei sie in der Praxis ausgesetzt. Das sei der niedrigste Stand, den die Organisation je verzeichnet habe. Für 2022 hatte Amnesty noch insgesamt 883 Hinrichtungen in 20 verschiedenen Ländern registriert.

Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, begrüßte zwar, dass immer weniger Länder die Todesstrafe anwendeten. Es sei aber sehr besorgniserregend, dass wenige Staaten immer mehr Menschen hinrichten würden.

Kontrolle und Macht im Iran

So hätten die iranischen Behörden 2023 eine grobe Missachtung menschlichen Lebens gezeigt und mindestens 853 Menschen hingerichtet, deutlich mehr als 2022 (576 Menschen). Laut dem Bericht wird die Todesstrafe verstärkt zur Einschüchterung und Kontrolle der Menschen eingesetzt.

Unverhältnismäßig oft hätten Hinrichtungen die ethnische Minderheit der Belutschen betroffen. Über 60 Prozent der dokumentierten Hinrichtungen im Iran seien für Taten vollstreckt worden, die nach internationalem Recht nicht mit der Todesstrafe geahndet werden dürften, darunter vor allem Drogendelikte.

Saudi-Arabien unterdrückt Opposition

Zudem würden in Saudi-Arabien Todesurteile teils aufgrund nichtiger Taten wie dem Absetzen von regierungskritischen Social-Media-Posts verhängt, obwohl sich das Land für seine Reformbemühungen rühme. In dem Land sei die Zahl der Hinrichtungen leicht auf 172 gesunken, darunter seien sechs Frauen gewesen.

Das Land sei das einzige, das 2023 die Hinrichtungsmethode der Enthauptung angewendet habe. Todesurteile würden nach unfairen Verfahren gefällt und vermeintliche Geständnisse durch Folter erpresst, kritisieren die Autoren des Berichts von Amnesty. Im Juli sei zudem der pensionierte Lehrer Mohammad al-Ghamdi für vereinzelte regierungskritische Social-Media-Posts zum Tode verurteilt worden.

USA testen neue Tötungsmethoden

In den USA kritisiert Amnesty weiterhin die Unterstützung der Todesstrafe durch mehrere US-Bundesstaaten. Einige von ihnen hätten “sogar eine neue grausame Hinrichtungsmethode” eingeführt, mit der unerprobten Methode des Erstickens durch Stickstoffgas sei in Alabama eine Person getötet worden. Insgesamt sei die Zahl der Hinrichtungen in den USA im Vergleich zum Vorjahr von 18 auf 24 gestiegen. In den US-Bundesstaaten Idaho und Tennessee seien zudem Gesetzentwürfe eingebracht worden, die Exekutionen durch Erschießungskommandos ermöglichen sollten.

China und weitere Länder mit hoher Dunkelziffer

Amnesty International geht zudem davon aus, dass China nach wie vor weltweit die meisten Menschen hinrichtet. Wegen der strengen Zensur im Land enthalte der Bericht von Amnesty keine genaueren Angaben; vermutlich seien es Tausende Menschen, die in China exekutiert worden seien.

Aus ähnlichen Gründen könne man auch keine Zahlen zu Nordkorea und Vietnam vorlegen – bei beiden Ländern geht Amnesty allerdings davon aus, dass sie in großem Umfang Menschen hinrichten. In Nordkorea gebe es beispielsweise ein neues Gesetz, das es unter bestimmten Bedingungen unter Todesstrafe stellt, nicht Koreanisch zu sprechen.

Des Weiteren hat Amnesty im vergangenen Jahr 38 Hinrichtungen in Somalia registriert, mehr als sechsmal so viele wie 2022. In der gesamten Region Subsahara-Afrika habe es einen drastischen Anstieg der
Todesurteile um 66 Prozent gegeben (494 im Jahr 2023). Zudem habe Myanmar weiterhin in geheimen und unfairen Verfahren Todesurteile vor Militärgerichten verhängt.



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