Spätestens jetzt mag man sich fragen, was das internationale Recht in diesem Krieg überhaupt noch ausrichten soll. Vergangene Woche hatte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Karim Khan, Haftbefehle gegen drei Hamas-Führer, unter ihnen Gaza-Chef Jahia Sinwar, sowie gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Galant beantragt. Der Grund: Verdacht auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Strafgerichtshof ermittelt gegen Einzelpersonen wegen schwerster Menschenrechtsverletzungen.

Kurz darauf ordnete der Internationale Gerichtshof (IGH), ebenfalls ansässig in Den Haag und zuständig für Rechtsstreitigkeiten unter UN-Mitgliedsländern, den Stopp der israelischen Offensive in Rafah im Süden des Gaza-Streifens an. Der IGH forderte zudem die Hamas erneut auf, sämtliche israelischen Geiseln freizulassen, die seit dem Massaker am 7. Oktober noch in ihrer Gewalt sind.

Hamas feuerte daraufhin Raketen auf Tel Aviv ab. Stunden später beschoss Israel aus der Luft ein Gebiet in Rafah, das als Schutzzone für Flüchtlinge ausgewiesen war. Von über 45 Toten ist die Rede. Die israelische Armee sprach zunächst von einem gezielten Angriff auf Hamas-Stellungen, Benjamin Netanjahu am vergangenen Montag dann von einem “tragischen Unfall”.

Für die Zivilbevölkerung in Gaza, gefangen zwischen Israel und der Hamas, geht die Katastrophe trotz der Interventionen der internationalen Justiz also weiter. Was nicht bedeutet, dass diese wirkungslos bleiben. Schon gar nicht die jüngste Anordnung des UN-Gerichts zu Rafah. Sie hat auch Folgen für Deutschland.

Es ist die bislang schärfste Warnung des IGH an Israel. Der Entscheid geht auf einen Eilantrag Südafrikas zurück, das bereits im vergangenen Dezember ein Verfahren gegen Israel wegen Verletzung der Völkermord-Konvention durch seine Kriegsführung in Gaza eingeleitet hatte. Diesen Vorwurf hat der IGH für plausibel genug gehalten, um eine Hauptverhandlung zuzulassen. Sie wird vermutlich nächstes Jahr beginnen.

Schon jetzt hat der IGH nach südafrikanischen Eilanträgen die israelische Regierung mehrfach verpflichtet, die Rechte der Palästinenser unter der Völkermord-Konvention stärker zu schützen – unter anderem durch den ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe. Inzwischen ist die Zahl der palästinensischen Todesopfer auf rund 35.000 gestiegen, in Teilen des Gaza-Streifens herrscht Hunger, die Infrastruktur von Krankenhäusern bis Schulen ist weitgehend zerstört, ein großer Teil der rund zwei Millionen Bewohner zum wiederholten Mal auf der Flucht innerhalb des abgeriegelten Gaza-Streifens.



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