Institution mit Tradition: Der Naturkostladen »Kraut und Rüben« im Jahr 2004.

Institution mit Tradition: Der Naturkostladen »Kraut und Rüben« im Jahr 2004.

Foto: imago/Steinach

Am Rio-Reiser-Platz – ehemals Heinrichplatz – in Kreuzberg ist einer der ältesten Berliner Kollektivbetriebe zu finden. »Kraut & Rüben« wurde 1978 als Verein »Praktische Pädagogik« gegründet. Die pädagogische Idee spielte damals eine wichtige Rolle, denn mit dem Verkauf von günstigen und gesunden Lebensmitteln und Kunsthandwerk sollten sinnvolle Arbeitsplätze für arbeitslose Jugendliche geschaffen werden. Das gelang zwar nicht, aber der Handel florierte und der Betrieb wurde bald als GmbH organisiert.

Gemüse gab es preiswert vom Fruchthof, es wurden aber auch Produkte aus dem Solidaritätshandel angeboten, beispielsweise der damals beliebte Nicaragua-Kaffee. Die in die Anti-Atomkraft-Bewegung eingebundenen Kollektivist*innen fuhren ins Wendland und holten Gemüse von Biohöfen, das sie im Laden verkauften. Nach einer Krise 1989 fand sich eine neue Gruppe zusammen, ein Frauenkollektiv, das seither »Kraut & Rüben« als reinen Naturkostladen betreibt.

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Für die »Krautis« ist ihr Laden nicht nur ein Betrieb, von dem sie leben, sondern auch ein Kiez-Treffpunkt, wo sich unterschiedlichste Menschen begegnen und miteinander ins Gespräch kommen. Auch die alten pädagogischen Ideen haben sie wiederbelebt, bilden aus und bieten Praktikumsplätze an.

Nun sind die Kollektivistinnen gemeinsam älter geworden, für manche steht die Rente an, andere würden gerne noch einmal beruflich andere Wege einschlagen. Darum suchen sie Nachfolger*innen und möchten den Laden in gute Hände abgeben. Annette Reiß ist von Anfang an dabei und betont: »Weil wir ein Frauenkollektiv sind, möchten wir den Betrieb am liebsten an eine Flinta-Gruppe abgeben, die ebenfalls kollektiv arbeiten will.« Der Begriff Flinta umfasst Frauen, Lesben, Intersexuelle sowie nicht-binäre, trans- und agender-Personen. Bei einer Informationsveranstaltung am 7. Juli um 17 Uhr in den Ladenräumen soll über die Details der Übernahme berichtet werden.

Reiß hofft, dass sich bald Interessierte melden, die diese besondere Arbeitsweise zu schätzen wissen. »Im Kollektiv kannst du über alles mitentscheiden, über Arbeitszeiten und Löhne – wir zahlen uns allen das Gleiche –, über das Ladenkonzept und die Produkte, die angeboten werden sollen. Jede Entscheidung wird im Plenum getroffen«, berichtet sie. »Das nervt zwar auch manchmal, aber ich würde nie mehr anders arbeiten wollen.«

Den größten Teil des Sortiments bezieht »Kraut & Rüben« über den Großhandel, der Schwerpunkt liegt bei regionalem Gemüse und Obst. So weit möglich kaufen die »Krautis« Produkte von kleinen Anbietern direkt ein. Beispielsweise Brot von der Backstube – ebenfalls ein Kollektiv der ersten Generation – oder Demeter-Gemüse vom Hof Waldgarten in der Prignitz, der zu einer sogenannten Solidarischen Landwirtschaft gehört. Ein neues Kollektiv könnte das Konzept und die bewährten Handelsbeziehungen übernehmen, wäre aber auch frei darin, alles umzustrukturieren und neue Schwerpunkte zu setzen.

Am liebsten wäre den Kollektivistinnen, wenn sich gleich eine ganze Gruppe fände, die den Laden übernehmen möchte. Denn für Einzelne sei es nicht leicht, sich in ein Kollektiv einzufinden, das schon so lange zusammenarbeitet, berichtet Conny Bräsel. Sie ist seit zwölf Jahren dabei und gehört damit zu den Neueren im Laden. Sie weiß aber auch, dass es unwahrscheinlich ist, dass irgendwo eine größere Gruppe nur darauf wartet, einen Bioladen zu übernehmen. »Darum würden wir uns freuen, wenn mindestens so viele Neue dazukämen, dass drei Vollzeitstellen abgedeckt wären, und dass die sich dann weitere Mitstreiter*innen suchen.«

Einige Kollektivistinnen würden übergangsweise oder auch länger bleiben. Bei der Übergabe würden sie auf die Bedürfnisse der Übernehmer*innen eingehen. Derzeit arbeiten zehn Frauen bei »Kraut & Rüben«, »je nach Konzept und Arbeitsorganisation könnte der Laden aber auch mit weniger Personen betrieben werden«, sagt Conny Bräsel.

Den »Krautis« ist vor allem wichtig, dass der Laden weiter besteht. Zwar hätten es kleine inhaber*innengeführte Bioläden nicht leicht, sich gegen die großen Bioketten am Markt zu behaupten, aber »Kraut & Rüben« ist im Kiez gut verankert. Das Kollektiv hat für den 100 Quadratmeter großen Laden einen sicheren Mietvertrag mit der wohlwollenden Hausgemeinschaft, was angesichts der schwierigen Situation vieler Gewerbemieter ein Glücksfall ist. Daher können die Kollektivistinnen ihren Betrieb zu guten Bedingungen weitergeben.

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