Der Senat räumt ein, dass der „Palästina-Kongress“ im April hastig beendet wurde. Auch die Räumung der HU-Besetzung war laut Jurist fragwürdig.

Frauen auf einer Demo tragen Hijab, Kufijas und Palästinafahnen

Un­ter­stüt­ze­r*in­nen demonstrieren nach der Auflösung des „Palästina-Kongresses“ in Berlin-Mitte Foto: Fabian Sommer/dpa

BERLIN taz | Die Berliner Polizei hat den „Palästina-Kongress“ Mitte April aufgelöst, ohne dass ei­ne*r der Red­ne­r*in­nen zuvor eine Straftat begangen hätte. Außerdem erfuhren Polizei und Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen erst während der Veranstaltung, dass gegen einzelne Vortragende politische Betätigungsverbote verhängt wurden. Auch die Betroffenen selbst wurden erst dann – zum Teil auch gar nicht – informiert, wie aus der Antwort der Innenverwaltung auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Ferat Koçak hervorgeht.

Zum „Palästina-Kongress“ hatten propalästinensische Gruppen nach Berlin eingeladen. Bereits eine Stunde nach Beginn des Treffens stoppte die Polizei die Liveübertragung, löste die Veranstaltung auch vor Ort auf und verbot ihre Wiederaufnahme für den Rest des Wochenendes. Als Grund dafür nannte die Polizei die Videobotschaft des Historikers Salman Abu Sitta, die zu dem Zeitpunkt abgespielt wurde. Gegen Sitta liege ein politisches Betätigungsverbot vor.

Wie Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) nun einräumte, wurden die insgesamt vier politischen Betätigungsverbote sehr kurzfristig verhängt und der Polizei mitgeteilt. Sie hätten den Führungsstab der zuständigen Polizeidirekten am ersten Kongresstag zwischen 9.48 und 17 Uhr erreicht, so Hochgrebe in der Antwort. Salman Abu Sitta selbst wurde das Verbot weder mündlich noch schriftlich mitgeteilt. Auch die Ver­an­stal­te­r*in­nen erfuhren davon erst, während Sittas Video-Grußwort längst lief, dabei war er seit Wochen als Redner angekündigt worden.

„Das Vorgehen bleibt eine Farce“

Der Rechtsanwalt Michael Plöse, der die Ver­an­stal­te­r*in­nen bereits im Vorfeld des Kongresses beraten hat, sieht in dem Vorgehen des für die Betätigungsverbote zuständigen Landesamts für Einwanderung (LEA) Anzeichen für „Entscheidungen auf Bestellung“: „Es verdichtet sich für mich der Eindruck, dass Entscheidungsgrundlagen gebastelt wurden“, sagte Plöse am Montag zur taz. Beim Verwaltungsgericht Berlin sei eine Klage wegen der Auflösung der Veranstaltung anhängig. „Das Vorgehen bleibt eine Farce“, kritisierte Plöse.

Senat und Polizei stehen immer wieder in der Kritik, weil sie repressiv gegen Proteste und andere Aktionen der propalästinensischen Szene vorgehen. Nach der Räumung eines Camps vor dem Bundestag Ende April ermittelt die Polizei in den eigenen Reihen wegen Körperverletzung im Amt.

Anwalt festgenommen, Journalist niedergeschlagen

Erst in der vergangenen Woche räumte die Polizei eine Besetzung an der Humboldt-Universität, nachdem Uni-Präsidentin Julia von Blumenthal laut eigenen Angaben eine Anweisung „von ganz oben“ – von Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) – erhalten hatte. Während der Räumung wurde ein Rechtsanwalt festgenommen und ein Journalist von Polizisten niedergeschlagen.

Rechtsanwalt Plöse bezweifelt, dass der Senat rechtmäßig gehandelt hat. Für eine Räumung habe es ein Begehren seitens der Uni-Präsidentin gebraucht, der das Hausrecht im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung übertragen ist. Dessen Ausübung sei ganz offensichtlich von der Senatsverwaltung „dekretiert“ worden. „Nur wenn die Präsidentin rechtswidrig gehandelt hätte, dürfte die Senatorin ihr rechtsaufsichtlich eine Weisung erteilen“, erklärte Plöse.

„Im Zweifel zählt das Ergebnis“

Der Senat handele offenbar nach dem Grundsatz: „Im Zweifel zählt das Ergebnis“, so der Jurist. Für das Vorgehen der Polizei gegenüber den Versammlungsteilnehmenden vor dem Gebäude könne er darüber hinaus überhaupt keine Rechtsgrundlage erkennen.

Linken-Politiker Koçak befürchtet, dass beim Vorgehen gegen die Proteste politische Interessen der Justiz übergeordnet werden: „Das ist antidemokratisch und missachtet die Gewaltenteilung“, sagte er der taz. Die Räumungen zeigten, dass sich die Polizei von der Politik geschützt fühle. „Wir brauchen eine juristische Aufarbeitung und Kontrolle“, so Koçak.



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