Berlin. Felix Klein ist erschüttert. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung hat zwar damit gerechnet, dass nach dem bestialischen Überfall der radikal-islamistischen Hamas auf Israel im vorigen Oktober die judenfeindlichen Straftaten in Deutschland gestiegen sind. Aber dass die Zahl von 61 Delikten im Jahr 2022 hochschnellt auf 4369 und die Hälfte davon nach der Hamas-Attacke registriert wurde, nennt er „dramatisch“.

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, informieren am Dienstag noch über weitere bedrohliche Höchststände an Straftaten, die in der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität (PMK) 2023 festgehalten werden.

Faeser: „Unsere Demokratie ist unter Druck.“

Zur Hasskriminalität etwa, die um fast 50 Prozent zugenommen hat und von der man spricht, wenn Vorurteile gegen bestimmte Gruppen verbreitet werden – rassistisch, frauenfeindlich, queerfeindlich, islamfeindlich oder judenfeindlich. Klein findet es schockierend, dass in diesem Bereich zu 30 Prozent antisemitische Fälle registriert wurden. Denn die jüdische Gemeinschaft mache nur 0,25 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. In den vielen Angriffen auf eine derart „winzige“ Minderheit sieht er eine Bedrohung für die Demokratie. Faeser (SPD) spricht von „widerwärtigem Judenhass“. Münch sagt: „Seit dem 7. Oktober haben wir eine völlig andere Situation.“

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Angesichts von 60.028 Delikten insgesamt – so viele wie noch nie seit Einführung der Statistik 2001 – sagt auch Faeser: „Unsere Demokratie ist unter Druck.“ Die jüngsten Angriffe auf Politikerinnen und Politiker im Wahlkampf seien alarmierend. Wut und Hass seien lauter geworden. Und Russlands Präsident Wladimir Putin versuche, Einfluss in der deutschen Gesellschaft zu gewinnen – „bis in Parlamente“. Münch spricht von einer Bedrohung des gesellschaftlichen Friedens. Eine bedrückende Warnung zum 75-jähren Geburtstag des Grundgesetzes an diesem Donnerstag.

Rechtsextremismus bleibt eine der größten Bedrohungen

In fast allen Bereichen haben die Taten 2023 Höchststände erreicht. Insgesamt sind sie innerhalb des Jahres um knapp 2 Prozent gestiegen – in den vergangenen zehn Jahren haben sie sich fast verdoppelt. Angeführt wird die Liste von rechtsextremistischen Fällen (fast 30.000), gefolgt von linksextremistischen Delikten (7.777) sowie von sogenannter ausländischer Ideologie (5.170) und religiöser Ideologie (1.458). Im Bereich Sonstiges werden insgesamt annähernd 17.000 Delikte genannt.

Faeser über zunehmende Gewalt: „Wir erleben eine Eskalation der politischen Aggression“

Die Zahl politisch motivierter Straftaten hat einen Höchststand erreicht – Tendenz weiter steigend.

Die Innenministerin betont: „Der Rechtsextremismus bleibt die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratien und die Menschen in unserem Land.“ Aber: „In der linksextremistischen Szene sind die Hemmschwellen gesunken, mit äußerster Brutalität politische Gegner und Polizeibeamte im Einsatz zu attackieren.“

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Nach politisch motivierten Gewalttaten – auch hier macht das rechte Spektrum den Großteil aus, gefolgt von linksextremistischen Taten – sind drei Menschen gestorben. Eine Zunahme um 6 Prozent gibt es bei Körperverletzungen. Den meisten Taten liegen auch hier rechte Motive zugrunde. Politisch motivierte Straftaten im Internet sind um 60 Prozent angewachsen, fast die Hälfte werden dem rechten Spektrum zugeordnet, es fielen aber auch Hassbotschaften geprägt von religiöser und ausländischer Ideologie auf.

Neue Höchststände haben mit erhöhter Polizeiarbeit zu tun

Propagandadelikte machen mit knapp einem Drittel den größten Anteil aus. Dazu gehört das Zeigen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie ein SS-Totenkopf, zu 15 Prozent geht es um Sachbeschädigungen, zu 14 Prozent um Beleidigungen und 13 Prozent um Volksverhetzungen. Dahinter rangieren Bedrohungen und Verstöße gegen das Versammlungsrecht.

Münch weist darauf hin, dass es sich um eine Eingangsstatistik handelt, was bedeutet, dass der Polizei bekannte Taten erfasst werden. Insofern gibt es ein Dunkelfeld. Auf der anderen Seite: Dass ein neuer Höchststand vermeldet wird, habe auch mit verstärkter Polizeiarbeit zu tun. Das wiederum spreche für den Erfolg zusätzlicher Anstrengungen.

Stehen solche Zahlen für einen schwachen Staat?

Aber stehen die steigenden Zahlen nicht für einen schwachen Staat? Faeser weist das zurück. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese sagt dem RND, es handele sich um eine „erschreckende Entwicklung“. Den Bedrohungen müssten sich der Rechtsstaat und alle Demokratinnen und Demokraten unmissverständlich entgegenstellen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert eine erhebliche personelle Stärkung von Sicherheitsbehörden und Justiz. Und die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker, (CDU), sagt dem RND: „Gewalt ist Gewalt und muss entschieden bekämpft werden, egal aus welcher Ecke sie kommt.“ Zur Bekämpfung politisch motivierter Straftaten seien V-Leute und verdeckte Ermittler unverzichtbar. Sie forderte Justizminister Marco Buschmann (FDP) auf, seine Pläne zu stoppen, „solchen Ermittlungen faktisch die Grundlage zu entziehen.“

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Münch drängt auf Vorratsdatenspeicherung. Aber auch das wolle die FDP nicht, heißt es in Regierungskreisen. Die SPD will dem Vernehmen nach da aber jetzt kein Fass aufmachen. Der Koalitionsfrieden leide schon an den Haushaltsverhandlungen.



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