Am 17. August 2001 wurde Dorit Botts, Inhaberin eines Outdoor-Ladens in Fulda, mit 13 Messerstichen getötet. Für die Medien und die Polizei war es ein Raubmord ohne politischen Hintergrund. Erst viele Jahre später bestätigte sich, was Antifaschist*innen schon vermutet hatten: Der aus Sömmerda stammende Täter sagte aus, dass er den Mord an der Fuldaer Geschäftsfrau als Aufnahmeritual für die neonazistische Deutsche Heidnische Front verübt habe.
Nun wird die Frau in dem kürzlich von Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt im Wochenschauverlag herausgegebenen Buch »Rechter Terror in Hessen« als Opfer rechter Gewalt aufgelistet. Die beiden Politikwissenschaftler*innen gedenken in der Einführung ihres vom Landesverband des DGB Hessen-Thüringen unterstützen Buches der 21 Toten des rechten Terrors in Hessen seit 1945. Darunter sind auch Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saracoglu, Sedat Gürbüz, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov, Said Nesar Hashemi und Gabriele Rathjen, die ein rassistischer Amokläufer am 19. Februar 2022 in Hanau ermordete.
Die Autor*innen beginnen ihre Berichte in der Zeit kurz nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus und erinnern etwa an den Bund Deutscher Jugend (BdJ) und dessen bewaffneten Arm, den Technischen Dienst (TD). Der wurde im Kalten Krieg mit Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA aufgebaut und finanziell unterstützt, um gegen Antifaschist*innen unterschiedlicher Couleur vorzugehen. Auf den Todeslisten des TD standen unter anderem der Kommunist und langjährige Buchenwald-Häftling Emil Carlebach, aber auch bekannte Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen.
Nach der Enttarnung der braunen Untergrundarmee im Jahr 1952 wurden BdJ und TD zunächst in Hessen, dann in Westdeutschland verboten. Doch weitere Konsequenzen blieben aus; Alt- und Neonazis waren im Kalten Krieg im Kampf gegen tatsächliche und vermeintliche Kommunist*innen verpartnert. Daran änderte sich lange Zeit nichts, wie Weyrauch und Schmidt mit Akribie aufzeigen.
In den 1960er und 1970er Jahren standen Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Kommunist*innen und linke Gewerkschafter*innen im Visier der Rechten. Später erweiterte sich der Kreis der Opfer auf Punks und andere subkulturelle Jugendliche sowie auf Menschen mit migrantischem Hintergrund. Manche der dokumentierten Angriffe sorgten nach Bekanntwerden auch bundesweit für Empörung, wurden dann aber vergessen. Wer kann sich noch erinnern, dass 40 Neonazis am 1. Mai 2015 eine Gewerkschaftskundgebung in Weimar überfielen und mehrere Anwesende durch Faustschläge verletzten?
Einen größeren Raum nehmen in dem Buch die Mordtaten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ein. Die Autor*innen zitieren aus einer Analyse des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, die 2007 behauptete, dass »die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist« und die Täter deshalb im Umfeld der Opfer verortete. Weyrauch und Schmidt erinnern daran, dass schon 2006 mehr als 2000 Menschen, vornehmlich mit migrantischem Hintergrund, in Kassel eine Demonstration unter dem Motto »Kein 10. Opfer« organisiert hatten, nachdem der deutsch-türkische Halit Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel erschossen wurde.
Auf den vom NSU angelegten Feindeslisten befand sich auch der CDU-Politiker Walter Lübcke, der am 2. Juni 2019 vor seinem Haus von dem Neonazi Stephan Ernst wegen seiner Unterstützung einer liberalen Migrationspolitik erschossen wurde. Sein Mörder hat in dem Buch insgesamt 15 Einträge. Bereits als 15-Jähriger verübte er im April 1989 einen Brandanschlag auf ein von Migrant*innen aus der Türkei bewohntes Haus in Hohenstein im Rhein-Taunus-Kreis.
Die Studie macht deutlich: Die rechten Akteure ändern ihre Gruppenstrukturen und ihr Erscheinungsbild, doch ihre rassistische und antisemitische Ideologie ist gleich geblieben.
Schmidt Sascha, Weyrauch Yvonne: Rechter Terror in Hessen – Geschichte, Akteure, Orte; Wochenschau-Verlag, 399 Seiten, 29, 80 €.
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