Die Hysterie ist nicht weit, wenn die AfD in den Schlagzeilen ist. Und das ist sie ja ständig. Alles ist immer ein bisschen aufgeregter als nötig, die Demokratie könnte ja schon morgen untergehen.

Zu viel Zuversicht auszustrahlen, schließlich leben wir immer noch in einem stabilen Staat, schickt sich nicht. Das wäre wohl zu nah dran am Verharmlosen der Partei, und das will sich dann doch niemand vorwerfen lassen.

Jeder ist sich sicher, der wahre Demokrat zu sein

Ich bin weder AfD-Sympathisant noch Sympathisant dieser aufgeregten Anti-AfD-Blase. Weder Demo noch Gegendemo. Und genau das macht es in diesen Zeiten eher schwierig. Irgendwie scheint es nicht mehr erlaubt zu sein, dazwischen zu stehen. Mit keiner Seite so ganz zu können.

Ein neues Blockdenken ist ausgebrochen. „Gegen rechts“ ist der neue Leitspruch der einen Seite. Die anderen wiederum kämpfen gegen die „linksgrüne Meinungsdiktatur“. Jeder ist überzeugt, die Demokratie auf seiner Seite zu haben. Spricht allen anderen pauschal das Demokrat-Sein ab. Und beide sind sich dabei so, so sicher, im Recht zu sein.

Abgrenzung, um sich selbst zu schützen

Gerade diejenigen, die wie ich, ein wenig verloren in der Mitte stehen, haben das Problem, dass sie gern mal zu den Falschen gerechnet werden – vor allem wenn sie nicht im Merkel-Duktus ihre Meinung sagen.

Irgendjemand schreit immer sofort AfD oder „Nazi“. Alles muss heutzutage in eine Schublade. Damit man nicht ins gesellschaftliche Abseits befördert wird, gibt es eine verstörende Entwicklung: Es herrscht eine Art Bekenntnisdruck, besser gesagt ein Abgrenzungsdruck.

Für Menschen, die sich ein wenig in der Öffentlichkeit – und sei es nur auf Social Media – bewegen, ist das keine unwichtige Sache geworden.

Ein Kollege gab mir einmal den Tipp: Wenn ich etwas auf X (Twitter) poste, was Leute, die einen sowieso schon auf dem Kieker haben, als AfD-nah werten könnten (und im Unterstellen sind sie gut), sollte ich besser den Hashtag #noafd einbinden. Zur Sicherheit. Um mich zu schützen. Damit keine linke Horde auf mich einfällt, um mich zu zerreißen, mich bei meinem Arbeitgeber zu denunzieren.

Ja nicht verdächtig machen

Das ist eigentlich sehr vernünftig. Aber ich rechtfertige mich nicht gern, schon gar nicht für normale Meinungen. Ich dachte immer, es genügt, wenn ich selbst weiß, wen ich wähle und wen auf gar keinen Fall.

Aber das scheint nicht mehr zu gelten. Wichtig ist heute geworden, die eigene Gesinnung herauszuschreien, sie jedem zu zeigen. Kenntlich zu machen, auf welcher Seite man steht. Sich selbst zu etikettieren, um sich ja nicht verdächtig zu machen. 

Es funktioniert wie so vieles in der heutigen Zeit. Mal ist es ein Plakat, mal eine Flagge, die hochgehalten wird, mal ein Symbol auf Social Media oder ein Hashtag. Manche machen das aus gewissenhaften Gründen, davor habe ich Respekt. Wenn überall palästinensische Fahnen zu sehen sind, hilft es schon auch, wenn andere dagegen halten und ihre Israel-Flaggen auspacken.

Aber zu viele laufen nur mit im sozial konformen Strom, haben ein irritierend gutes Gespür für das, was gerade von ihnen verlangt wird. Die Abgrenzerei ist für sie eine Art modernes Glaubensbekenntnis. Wobei wir schon beim nächsten Thema wären: Der Kirche.

Hat die Kirche ihre eigene Institution nicht verstanden?

Auch die scheint zu wissen, was heute zum guten Ton gehört. Meldet sich jetzt häufiger politisch zu Wort. In der katholischen Kirche bekommen aktive AfD-Mitglieder keine Kirchenämter mehr, weil ihr politischer Einsatz den Grundwerten des Christentums widerspreche, so die Begründung.

In der evangelischen läuft es ähnlich. Der Präsident der Diakonie, des evangelischen Wohlfahrtsverbands, setzte kürzlich noch einen drauf und sagte, er will bei sich niemand, der AfD wählt – ja, wählt! – als Mitarbeiter. „Diese Leute können sich im Grunde auch nicht mehr zur Kirche zählen“, meint er.  

Ich finde es erstaunlich, dass ausgerechnet die Kirche so argumentiert. Und frage mich, ob sie ihre eigene Institution richtig verstanden hat. Ist doch die Kirche die allerletzte Instanz, die Menschen von sich wegstoßen sollte.

War es nicht immer ihr Anspruch, ganz besonders für die verlorenen Schäfchen da zu sein, und nicht für diejenigen, die sowieso schon alles richtig machen? Wer braucht denn dringender ein offenes Ohr und eine seelische Stütze als jemand, der in der AfD die Lösung sieht?

Es wird kompliziert ohne Sicherheitsabstand

Es ist leicht, sich zu radikalisieren, wenn alle sich von einem abwenden. Dann kann man die anderen richtig gut hassen. Die Welt wird in jedem Fall komplizierter, hält man voneinander nicht ständig einen Sicherheitsabstand.

So wie man nicht jeden Flüchtling doof finden kann, wird man auch nicht jeden AfDler komplett doof finden können, wenn man ihn mal besser kennt.

Aber im Fall der Kirche zeigt sich deutlich, worum es den gesellschaftlichen Akteuren heute geht – das Phänomen findet sich ja überall, in der Kulturszene, bei Journalisten, Veranstaltern, Gastwirten.

Sie alle wollen ihre reine Weste wahren, ihren Ruf schützen, den eigenen Betrieb, die Institution, das berufliche Vorankommen. Kontaktschuld vermeiden. So erschafft man zwei abgeschirmte Welten, in der jeder am liebsten in der seinen bleibt.

Eine Brandmauer durch die Gesellschaft

Wenn wir so weitermachen, dann schaffen wir uns die richtig große Polarisierung. Zwei unerbittliche Lager, von denen beide Seiten davon überzeugt sind, die wahren Fakten zu haben. So könnte der Kampf gegen die AfD, das verkrampfte Abschirmen voneinander, eher aufwiegeln als befrieden – und der viel beschworene gesellschaftliche Zusammenhalt unerreichbar werden.

Eine Brandmauer darf es in Parlamenten geben, zwischen Parteien. In meinen Augen aus gutem Grund. Aber nie gegenüber Menschen. Das Problem ist nur, wir sind gerade ziemlich gut darin, genau daran zu basteln.





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