Es klingt nach verdientem Lob: Im Juni 2022 beschloss die Bundesregierung einen Bonus für Pflegekräfte und stellte dafür eine Milliarde Euro zur Verfügung. Damit sollten “die besonderen Leistungen während der Corona-Pandemie” anerkannt werden.

Vergessen wurden dabei aber irgendwie die Pflegekräfte in den Notaufnahmen der Kliniken. Geld gab es nur für “bettenführende Bereiche”. Stationäre Betten gibt es in den Notaufnahmen nicht – denn wer versorgt ist, wird dann auf andere Stationen verlegt. Pflegekräfte im Schwabinger Krankenhaus schrieben einen wütenden Brief ans Gesundheitsministerium.

Pflegekräfte klagen über Arbeitsbelastung und Kündigungen

Stella Merendino, Mitgründerin der “Aktion: Notaufnahme retten”, beklagte die fehlende Wertschätzung in einem Interview: “Als hätten wir nichts mit der Pandemie zu tun gehabt”, sagte sie. Die Beschäftigten seien demotiviert und ausgelaugt. “Gerade in den Notaufnahmen haben wir unglaublich viele Kündigungen.” Die Gesellschaft für Notfall- und Akutmedizin befürchtet eine massive Gefährdung der Notfallversorgung.

Manche Kliniken, wie eben in Schwabing, bezahlten den Bonus zwar später selbst. Aber die Symbolkraft war schwer wieder einzufangen. Es braucht nicht überraschen, wenn Pflegekräfte sich zurückziehen. Was nützt also die beste Notfalleinrichtung – wenn sich niemand mehr findet, der dort arbeitet? Und wie gehen die Kliniken damit um? Sie sind es, die in diesem Klima neues Personal gewinnen und auch das alte halten müssen. Welche Möglichkeiten werden ausgelotet, um sich für Pflegekräfte interessanter zu machen?

Wie lässt sich Personal gewinnen im Pflegenotstand?

“Der Pflegenotstand und Wettbewerb um die besten Mitarbeitenden ist da”, sagt Carolin Werner im Gespräch mit der AZ, Pflegedirektorin und Vorständin am LMU-Klinikum. Als solche befasst sie sich mit der strategischen Ausrichtung des Hauses. “In Ballungszentren wie München mit teurer Lebenshaltung, vielen Krankenhäusern und hohen Mieten wird die Personalakquise zu einer unserer wichtigsten Managementaufgaben.”

Auch während Corona war ein "Personalexodus" für das LMU-Klinikum kein Thema, sagt Pflegedirektorin Carolin Werner.
Auch während Corona war ein “Personalexodus” für das LMU-Klinikum kein Thema, sagt Pflegedirektorin Carolin Werner.
© Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München
Auch während Corona war ein “Personalexodus” für das LMU-Klinikum kein Thema, sagt Pflegedirektorin Carolin Werner.

von Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München

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Jeder versuche natürlich, mit Anreizkonzepten und verschiedenen Angeboten zu punkten. Dabei müssten verschiedene Generationen an Pflegekräften unter einen Hut bekommen werden. Berufsanfänger schätzten andere Dinge als Personal, das kurz vor der Rente steht.

Das LMU Klinikum bietet unter anderem Fort- und Weiterbildungen, verschiedene finanzielle Anreizkonzepte, proaktive Karriereplanung oder ein Angebot an Mitarbeitervergünstigungen. “All das hilft natürlich bei unserer gezielten In- und Auslandsakquise, löst aber nicht nachhaltig das Problem des Pflegenotstands, speziell in München”, sagt Werner.

Deutschland fehlen mehrere hunderttausend Pflegekräfte

Diese Lücke wird auch das beste betriebliche Gesundheitsmanagement nicht schließen: Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass Deutschland bis zum Jahr 2049 etwa 300.000 Pflegekräfte fehlen werden. Das Institut der deutschen Wirtschaft geht sogar von einer Lücke von bis zu 500.000 aus, nicht zuletzt, weil viele Pflegekräfte auch schon über 50 sind und meistens früher in Rente gehen, wie das Deutsche Pflegehilfswerk schätzt.

Der Pflegeberuf habe viel zu bieten und sei nicht mit der Ausbildung abgeschlossen, erklärt Werner. Wer sich für den Beruf entscheide, habe die Möglichkeit lebenslang zu lernen, schließlich entwickeln sich Behandlungs- und Versorgungsmethoden ständig weiter. Und trotzdem muss die Pflege noch attraktiver werden, finden viele. “Einiges ist schon passiert”, sagt Werner. So habe sich zum Beispiel die Personalausstattung mit der sogenannten Pflegepersonaluntergrenzenverordnung verbessert. Wird das reichen, dass sich genügend Menschen für den Beruf entscheiden?

Viele Pflegekräfte könnten sich vorstellen, mehr zu arbeiten

Auch: wieder entscheiden. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge können sich zahlreiche Aussteiger eine Rückkehr vorstellen. Die Stiftung befragte fast 13.000 Pflegekräfte – drei Viertel davon arbeiteten in Teilzeit, ein Viertel hatte den Beruf verlassen. Gut 60 Prozent der Aussteiger gaben an, unter gewissen Bedingungen zu einer Rückkehr von bis zu 30 Wochenstunden bereit zu sein. Die Hälfte der Teilzeitkräfte war bereit, die wöchentliche Arbeitszeit zu erhöhen, im Schnitt um 10 Stunden. Insgesamt könne ein Potenzial von 300.000 bis über 600.000 Arbeitskräften erschlossen werden, glauben die Studienautoren. Solange die Rahmenbedingungen passen: verbindliche Dienstpläne, Wertschätzung, mehr Zeit für die Patienten. Klingt nach nicht viel, ist aber im Pflegealltag oft schwierig.

In verschiedenen Szenarien wurde in einer Studie errechnet, wie viele Pflegekräfte wieder in den Beruf zurückkehren oder aufstocken könnten.
In verschiedenen Szenarien wurde in einer Studie errechnet, wie viele Pflegekräfte wieder in den Beruf zurückkehren oder aufstocken könnten.
© Hans-Böckler-Stiftung
In verschiedenen Szenarien wurde in einer Studie errechnet, wie viele Pflegekräfte wieder in den Beruf zurückkehren oder aufstocken könnten.

von Hans-Böckler-Stiftung

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Und nur weil es an Fachkräften mangelt, heißt das nicht, dass Bewerber alles verlangen können, was sie wollen. Krankenhäuser sind große Organisationen – am LMU-Klinikum arbeiten mehr als 3500 Pflegekräfte. Es gibt ein bestehendes Gehaltsgefüge, das nicht einfach durcheinander gebracht werden kann. Zudem ist die Bezahlung im öffentlichen Dienst sowieso tarifgebunden. Im LMU-Klinikum setzt man darum auf Transparenz, was Karriereplanung und Vergütung angeht: “Allen Angestellten muss ganz klar sein, mit wie viel Berufserfahrung und welcher zusätzlichen Qualifikation es wie viel Geld extra gibt”, sagt Werner.

Wie gelingt es, dass von fast 4000 niemand durch das Raster fällt oder unzufrieden ist? Natürlich eine fast unmögliche Aufgabe, weiß auch Werner. Stations- und Bereichsleitungen bemühen sich, für alle Pflegekräfte ein offenes Ohr zu haben. Und wenn Mitarbeitende mit persönlichen Problemen sich nicht den Vorgesetzten anvertrauen wollen, gibt es eine gesonderte Beratungsstelle oder auch das Konfliktmanagement.

Wie lässt sich der Fachkräftemangel in der Pflege abfedern?

Ein paar Hebel gibt noch gegen den Fachkräftemangel, etwa die Anwerbung von ausländischen Fachkräften. Auch die Digitalisierung kann unterstützen, etwa bei der Dokumentation oder wenn Patienten ein Armband bekommen, dass automatisiert den Blutdruck misst. Auch zusätzliches Personal in anderen Bereichen, Verwaltung, Apotheke oder bei der Essensausgabe, kann helfen, den Pflegenden den Rücken für ihre Kernaufgabe freizuhalten. 

Und es gibt die Hoffnung, dass Menschen in Zukunft kürzer im Krankenhaus bleiben müssen. Die Verweildauer geht stetig zurück, wie etwa die Kassenärztliche Bundesvereinigung festhält. Nach einer Blinddarmoperation lag man vor Jahren noch eine Woche im Krankenhaus, heute gehen die Patienten meist schon nach ein paar Tagen heim. 

Alles sinnvolle Maßnahmen, die helfen werden. Kenner des Gesundheitssystems gehen nicht davon aus, dass sie alle Probleme lösen werden. Eher geht es darum, den Mangel zu verwalten. Wie und ob er behoben werden kann, wird eine der wichtigsten Fragen der kommenden Jahre.





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