Der Profi-Radrennstall Bora-hansgrohe ist mit zwei zweiten Plätzen in den Giro d’Italia gestartet. Das ist einer der besten Einstiege in eine Grand Tour in der Geschichte des Teams. Zuvor gelangen in der Anfangsphase von Giro, Tour de France oder Vuelta a España eher Sprintsiege durch Peter Sagan, Sam Bennett oder Pascal Ackermann. Die zweiten Plätze jetzt wurden zunächst auf einem mittelschweren Tagesabschnitt in Turin von Maximilian Schachmann erreicht und am Folgetag bei der Bergankunft in Oropa von Daniel Felipe Martínez. Das ist ein Qualitätssprung.
Zum Prädikat des besten Rennstalls der Welt reichte das zwar noch nicht. Das ist jedoch durchaus zum erklärten Ziel des Raublinger Rennstalls geworden, der mit dem Einstieg des Energy-Drink-Produzenten Red Bull den Jahresetat von etwa 25 Millionen Euro auf gut 45 Millionen erhöhen kann. Maß aller Dinge ist aktuell noch das Team UAE Emirates mit dem Giro-Favoriten Tadej Pogačar in seinen Reihen. Der Slowene holte sich mit einem seiner gefürchteten Antritte bereits das rosa Trikot des Gesamtführenden.
Auch das Team Ineos, als Team Sky der Dominanz-Rennstall des vorherigen Jahrzehnts, zeigt sich derzeit noch erfolgreicher. Das erste rosa Trikot dieser Giro-Ausgabe hatte sich Ineos-Profi Jhonatan Narváez geschnappt. Und im Gesamtklassement liegt sein Kapitän Geraint Thomas auf Rang zwei. Zeitgleich zwar mit dem Anführer der Bora-Truppe Martínez, aber eben doch noch vor ihm. Diese beiden Spitzenteams verfügen jetzt schon über etwa 45 Millionen Euro jährlich.
Bemerkenswert ist, dass Bora die Achtungserfolge beim Giro gelangen, bevor überhaupt das große Geld vom neuen Mehrheitseigner seine Wirkung entfalten konnte. Dementsprechend gut gelaunt zeigen sich die Fahrer nun. »Unsere Leistungen geben uns als Mannschaft noch mal Selbstvertrauen«, meinte Martínez. Bei seinem zweiten Etappenplatz hinter Pogačar bei der Auffahrt zum Santuario di Oropa profitierte er auch von starken Helferdiensten des Debütanten Florian Lipowitz.
Die mannschaftliche Stärke ist unbestritten. Auch Maximilian Schachmann war zufrieden. »Da sieht man, was man erreichen kann, wenn man gesund bleibt und einen ordentlichen Formaufbau machen kann«, spielte der Berliner auf die vergangenen anderthalb Jahre an, in denen ihn Verletzungen immer wieder zurückgeworfen hatten.
Fürchtet die Konkurrenz jetzt, dass mit einem noch potenteren Sponsor im Rücken bald eine neue Übermacht in Oberbayern erwächst? Noch äußert keiner der wichtigsten Rivalen große Sorgen. Eher überwiegt die Freude, dass ein weiterer Weltkonzern den Radsport entdeckt. »Nein, ich fürchte nichts. Es ist gut, dass so eine große Marke in den Radsport kommt«, meinte zum Beispiel der Niederländer Richard Plugge, Teamchef von Visma, gegenüber »nd«. »Sie werden viel Kompetenz auch aus anderen Sportarten einbringen, vor allem aus der Formel 1. Davon können alle profitieren. Und Konkurrenz ist immer gut in einem Wettkampfsport.« Sein Rennstall gewann in der vergangenen Saison alle drei großen Landesrundfahrten in Italien, Frankreich und Spanien. Nach den Stürzen von Jonas Vingegaard und Wout van Aert sowie dem Abgang von Primož Roglič zu Bora ist man beim Giro allerdings ohne echten Kapitän am Start.
Auch beim aktuellen Branchenprimus UAE herrscht vor allem Vorfreude angesichts der breiter werdenden ökonomischen Basis fürs gesamte Feld. »Das Engagement von Red Bull zeigt, dass der Radsport global geworden ist. Ich denke, dass sie auch einen guten Return of Investment haben werden«, spielte UAE-Manager Mauro Gianetti auf die bekannt hohen Werbewerte des Radsports vor allem bei der Tour de France an.
Angst haben, dass ihre Kader nun vom deutschen Kontrahenten leergekauft werden, müssen sie auch nicht. Das versichert jedenfalls Boras Teammanager Ralph Denk: »Wir werden das Geld jetzt nicht verschleudern und auf große Einkaufstour gehen. Unser Ansatz ist vielmehr, die Infrastruktur zu verbessern und auf diese Art attraktiv zu werden. Das führt dann vielleicht sogar dazu, dass der eine oder andere Rennfahrer leicht unter Marktwert bei uns unterschreibt, weil er ein so gutes Umfeld erkennt, in dem er selbst besser werden kann.«
Ein Kaderumbau steht im Winter dennoch an. Von »einer guten Handvoll Neuzugänge« geht Denk aus. Spielraum hat er. Nur 12 von 29 Fahrern haben Verträge über das Jahresende hinaus. 17 müssen also um ihrre Plätze im Team bangen. Und manche fangen angesichts des höheren Etats über ihre Agenten offenbar auch das Zocken um höhere Gehälter an. »Solche Anfragen gab es schon«, bestätigte Denk. »Aber da werden wir kategorisch sagen: «Nein», kündigte er im nd-Gespräch an. Das Geld solle ja vor allem in Strukturen fließen und nicht übermäßig in höhere Gehälter.