Lübeck. Die Lage der Pressefreiheit hat sich weltweit deutlich verschlechtert. Das geht aus einer Untersuchung der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen hervor. Immerhin: Deutschland liegt auf Rang zehn. Warum die Unabhängigkeit der Medien wichtig ist, schildern wir hier in elf persönlichen Statements.

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Einschüchterungen gibt es hier auch

Während meines Masterstudiums habe ich mit Menschen aus 40 Ländern studiert. Viele hatten in ihren Herkunftsländern bereits als Journalistinnen und Journalisten gearbeitet. Meine Freundin Kim hatte in Venezuela über Kriminalität berichtet. Sie wurde von einer Bande entführt, tagelang festgehalten und eingeschüchtert. Meine Kommilitonin Danae musste wegen ihrer Enthüllungen über missachtete Menschenrechte aus Nicaragua fliehen. Als ich vor Jahren am Bartresen stand und den Geschichten zuhörte, fühlten sie sich fern an. Fast normal – in mittel- und südamerikanischen Ländern stehen Korruption und Bandengewalt an der Tagesordnung.

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Einschüchterungen, Vertuschungen, Gewalt gegen Reporterinnen und Reporter, Fake News – all das gibt es in Deutschland auch. Umso wichtiger empfinde ich meinen Job, eine Vielzahl Menschen zu Wort kommen zu lassen und gesicherte Informationen aufzubereiten. Denn meine Pressefreiheit bedeutet auch Freiheit für uns als Gesellschaft. Und die fängt im Lokaljournalismus an. Johanna Pankow, Kulturredakteurin

Die Freiheit verteidigen

Freiheit. Bei meinem Radio-Job in Berlin trugen die Sender Ende der 80er Jahre noch die Freiheit im Namen. Der ehemalige US-Soldatensender Rias ließ regelmäßig die Freiheitsglocke läuten und nannte sich eine „freie Stimme der freien Welt“. Die Konkurrenz war der Sender Freies Berlin, bei dem ich morgens um Vier die ersten Nachrichten sichtete. Und drüben: Die DDR war schon im Untergang begriffen – ihre Sender verkündeten noch eisern Honeckers Propaganda und den Sieg des Sozialismus.

Auf der einen Seite: Nachricht, Hintergrund, Analyse und Kommentar – die Freiheit des Wortes. Jenseits der Mauer war das freie Wort für die Herrschenden bedrohlich. Medien dienten dem Machterhalt der Partei. 35 Jahre später scheint nicht mehr allen bewusst, welch wichtige Rolle Journalisten für eine Demokratie leisten. Man muss nicht nach Russland und China schauen. Auch bei uns ist Medienfeindlichkeit zu spüren. Ein Blick in die Geschichte täte Not. Olaf Bartsch, Ressortleiter Ostholstein

Das Misstrauen wächst

Ich bin erschrocken darüber, wie viele Menschen inzwischen davon ausgehen, dass sie nach einem Gespräch mit der Zeitung den Artikel autorisieren dürfen. Und schlimmer: die Reaktion, wenn wir das mit Verweis auf die Pressefreiheit ablehnen. Eine Kollegin hat jetzt zwei Termine innerhalb einer Woche abgesagt, weil die Interviewpartner nicht einverstanden mit dem Vorgehen waren. Konsequent. Traurig, dass es so kommen musste. Leider misstrauen inzwischen viele Menschen den Medien, auch der Lokalzeitung vor Ort.

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Es gibt eine Karikatur von Ruedi Widmer, in der gefragt wird: „Herr Präsident, was heißt für Sie Pressefreiheit?“ und sein Gegenüber antwortet „Dass mein Land frei von Presse ist.“ Stellen Sie sich das mal vor. Hier gilt zwar Pressefreiheit, aber wir müssen im Kleinen wie im Großen aufpassen: Jeder Teil der Gesellschaft vertritt eigene Interessen – die Pressefreiheit hat dabei nicht immer oberste Priorität. Antje Brüggerhoff, Redakteurin Lübeck/Norddeutschland

Die Verantwortlichen fragen

„Was passiert mit dem Hanse-Schiff?“, fragte ich Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau (SPD), nachdem das 400 Jahre alte Wrack aus der Trave geborgen worden war. „Kommt es ins Museum?“ Die Frage erschien mir wichtig, da es sich dabei nicht einfach um ein paar Bretter handelt, sondern um unser Kulturerbe – Ihrs, meins. Die Fragen, die dahinter standen, waren: Wie gut kümmert sich die lokale Politik darum? Welche Ideen haben die Verantwortlichen?

Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) kann ich fragen, ob er genug macht, um Bürokratie abzubauen und die Unternehmen zu entlasten. Ich kann seine Verkehrsinfrastruktur-Politik oder die Ansiedlung der Northvolt-Batteriefabrik kritisieren. Dabei muss ich keine Angst haben, im Gefängnis zu landen oder ermordet zu werden wie Journalisten in vielen anderen Ländern. Das ist ein enormes Privileg. Ich hoffe, dass meine Arbeit dazu beiträgt, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, gut informiert sind. Und dass Sie bei der nächsten Wahl genau wissen, wen Sie wählen wollen und warum. Michael Dick, Stellv. Ressortleiter Lübeck/Norddeutschland

Privileg der Demokratien

Neulich habe ich am Rande einer Demo gegen rechts mit einem jungen Mann gesprochen, der sagte: Er ist mit den Forderungen der Demonstrierenden nicht einverstanden. Er habe Verständnis für Protestwähler, fühle sich von den großen Parteien und den Medien nicht vertreten. Er sprach sogar von einer Meinungs-Diktatur. Er steht für größer werdende Gruppen von Menschen, die sich selbst als kritisch sehen.

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Der geplante Staatsstreich von Reichsbürgern 2022 zeigt: Das kann brandgefährlich sein. Lokale Medien haben eine wichtige Rolle als Dokumentare des Zeitgeschehens und als vierte Gewalt. Das ist eine große Verantwortung und gleichzeitig ein Privileg der Demokratien. Ich finde es wichtig, Menschen zuzuhören, auch wenn sie anderer Meinung sind als ich. Dann entgegne ich ihnen: Jeder kann etwas bewirken, zum Beispiel durch zivilgesellschaftliches Engagement – und das ist ein hohes Gut. In einer Diktatur hätten sie nämlich keine Meinungsfreiheit. Friederike Grabitz, freie LN-Reporterin, Lübeck

Ich liebe diesen Beruf

Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, Journalist in einem Land ohne Pressefreiheit zu sein. In einem Land, in dem mächtige Menschen mir vorschrieben, worüber ich berichte. In dem Neugier, Kreativität und Diskussion nicht erwünscht wären. Es ist eine furchtbare Vorstellung. Ich müsste jeden Tag die verraten, für die ich den Job mache: die Mediennutzerinnen und -nutzer.

Für sie ist die Pressefreiheit da. Für sie darf ich neugierig, kreativ und diskussionsfreudig sein. Sie können mich ansprechen, bei mir anrufen, mir E-Mails schreiben, mir Vorschläge machen, mich kritisieren, mit mir streiten, mit mir verhandeln. So funktioniert Pressefreiheit, so funktioniert Demokratie. Deshalb kann ich nach mehr als 25 Jahren Journalismus immer noch sagen: Ich liebe diesen Beruf. Hanno Kabel, LN-Kulturchef

Essenzieller Teil zur Meinungsbildung

Pressefreiheit ist der Lackmustest für funktionierende Demokratie. Bröckelt die Pressefreiheit, dann bröckelt auch die Meinungsfreiheit. Sie fängt im Kleinen an, auf den Dörfern, auf der Straße, gleich nebenan. Wir aus den Lokalredaktionen sind diejenigen, die vor Ort vernetzt sind, Entwicklungen aufspüren und hinsehen. Dorthin, wo etwas richtig gut klappt, aber auch wo etwas ganz gewaltig schief geht. Oft geht es auch nur darum, die Menschen darüber zu informieren, was um sie herum im „wirklichen Leben“ los ist und nicht nur in der eigenen Bubble.

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Sie ist ein essenzieller Teil zur Meinungsbildung jedes einzelnen, ohne andere auszuschließen im Kleinen und das bessere Verstehen des großen Ganzen. Wir hören hin und zu. Wir ordnen ein und sehen uns um. Wer täte das wertfrei, unabhängig und ohne eigenen Vorteil, wenn wir nicht da wären? Diese Frage muss sich jeder, der Lügenpresse skandiert und Pressefreiheit infrage stellt selbst beantworten. Ich persönlich bin überzeugt davon, da käme nicht sehr viel zusammen. Heike Hiltrop, LN-Reporterin in Segeberg

Von allen Seiten schauen

Die Dinge sind häufig ganz anders. Seit ich Journalist bin, erlebe ich das immer wieder: Nimmt man eine andere Perspektive ein, hört man verschiedene Stimmen zu einem Sachverhalt, guckt man hinter die Kulissen, dann entstehen Bilder, Geschichten, die ganz anders sind, als man es vielleicht vermutet hätte. Mit meiner Arbeit möchte ich Themen von allen Seiten betrachten. Damit der Leser das auch tun kann. Und sich dann eine eigene Meinung bildet.

Journalismus kann das. Blogs, Social-Media-Kommentare, Pressemitteilungen können das häufig nicht. Oder wollen es nicht. Aus Buchstaben werden Wörter. Wörter bilden Sätze. Aus Sätzen entstehen Texte. So einfach ist es eben nicht. Damit ich meine Arbeit so ausüben kann, wie ich sie verstehe, muss ich frei sein. Frei darin, die Information zu erhalten, die ich für eine umfassende Berichterstattung brauche. Ungebremst. Denn das ist wichtig für alle, die vernünftig aufbereitete Informationen zu schätzen wissen. Oliver Pries, Redakteur Lübeck/Norddeutschland

Alles nur noch Meinung?

„Ihr von der Presse, Ihr bekommt doch auch gesagt, was Ihr schreiben dürft.“ Solche und ähnliche Sätze höre ich seit einigen Jahren immer häufiger. Das Gift, das Populisten und Verschwörungsideologen mit ihren Worten von „Lügenpresse“ und „Systemmedien“ verspritzt haben, hat längst seine zersetzende Wirkung entfaltet. Während Influencer/innen und sogenannte Alternativmedien jedweder ideologischer Couleur bei YouTube und TikTok ihre Mischungen aus Meinungen und Halbwahrheiten an ein Millionenpublikum verbreiten, verlieren die klassischen Medien an Vertrauen und Einfluss.

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Ein jeder und eine jede kann sich heute die „Wahrheit“ aussuchen, die am komfortabelsten erscheint. Fakten stören nur, Widerspruch wird verlacht. Mir macht große Sorgen, wo das hinführt. Werden wir eine Gesellschaft, in der wir uns auf grundlegende Tatsachen nicht mehr einigen können und alles nur noch Meinung ist? Das kann und will ich mir nicht vorstellen. Oliver Vogt, Lokalchef Herzogtum Lauenburg

Fingerspitzengefühl gefragt

Pressefreiheit zu haben und damit auch über brisante Themen schreiben zu dürfen, ohne aufgrund seiner Texte um Leib und Leben fürchten zu müssen, ist ein ganz großes Privileg. Es ist allerdings auch mit großer Verantwortung verbunden, denn zum einen gilt es ja, den Lesern Informationen mitzuteilen, zum anderen muss man aber auch aufpassen, dass man damit andere Menschen nicht verletzt.

Gerade in einer Kleinstadt wie Bad Oldesloe ist da manchmal Fingerspitzengefühl gefragt. Schließlich hat man als Journalist/Journalistin mal mit der einen und mal mit der anderen Institution zu tun. Diese sind ja oftmals auch wiederkehrende Informationsgeber. Daher ist es wichtig, sich bei einem Fall stets alle betroffenen Parteien anzuhören, um dann objektiv über ein Thema zu berichten – schwierig, wenn man selbst manchmal eine ganz andere Meinung hat. Aber zum Glück gibt es in diesem Fall ja die Möglichkeit, gesondert einen Kommentar zu dem eigentlichen Artikel zu schreiben. So bleibt auch die Meinungsfreiheit gewährleistet. Sandra Freundt, LN-Autorin in Stormarn

Lob und Kritik gehören zusammen

Wo werden die Entscheidungen getroffen, die den Alltag der Menschen am meisten berühren? Nicht in Berlin oder Brüssel. Sondern am jeweiligen Wohnort – in den Stadt- und Kreisverwaltungen, in Gemeinderäten, Kreistagen oder der Lübecker Bürgerschaft. Deswegen ist es wichtig, dass auf lokaler Ebene Journalistinnen und Journalisten tätig sind, die Nachrichten verständlich aufbereiten, Entscheidungen erklären und Hintergründe einordnen. Und auch von sich aus bei Verantwortlichen nachfragen, wenn ihnen selbst etwas auffällt oder sie Hinweise von Bürgerinnen und Bürgern bekommen.

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Die Presse hat die Aufgabe, Kritik an politischen Beschlüssen oder am Handeln von Verwaltungen zu transportieren. Vor allem Behörden tun sich damit oft schwer. Aber wer soll diese wichtige Rolle übernehmen, wenn nicht die Medien? Unverzichtbar ist aber auch, Dinge zu benennen, die gut laufen, die vorbildlich sind. Beides gehört untrennbar zusammen. Helge von Schwartz, Kommunalpolitik-Reporter in Lübeck

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