Fabio De Masi will als Spitzenkandidat für das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ nach Brüssel. Dabei setzt er etwas andere Akzente als seine Parteichefin.
BERLIN taz | Am Montagmorgen steht Fabio De Masi mit seinem Rennrad vor dem Brandenburger Tor. Es ist ein hellrotes französisches Vintage-Modell. Im Hintergrund flattern ein paar Aufsteller vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ im Wind, ein kleines Grüppchen hält BSW-Banner und Friedensfahnen hoch. Ein Dutzend Journalisten und ein paar Kameras umringen ihn sowie seine Parteikolleg*innen Thomas Geisel und Judith Benda, die mit ihm nach Brüssel radeln wollen.
Ansonsten ist der Platz fast leer, um diese Uhrzeit sind kaum Touristen unterwegs. Das erste Ziel habe man schon erreicht, scherzt De Masi, als er ans Mikro tritt: „Nicht aussehen wie Rudolf Scharping.“ Keine kurzen Hosen. „Das habe ich im Medientraining gelernt.“ Er trägt eine Art Jogginghose, einen roten Sweater und weiße Turnschuhe, es sieht lässig und schick aus.
Der Fototermin am Brandenburger Tor ist für Fabio De Masi der Startschuss in den Europawahlkampf. Er tritt als Spitzenkandidat für das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ in die Pedale. Aber passt er da rein? Wagenknecht sagt, ihr Bündnis sei „weder links noch rechts“ und wolle schon gar „keine Linke 2.0“ sein. De Masi würde das so nicht sagen, er verortet sich klar in einer linken Tradition. Er teilt Wagenknechts Positionen zwar auch in umstrittenen Fragen, etwa zur Migration oder mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Er formuliert sie allerdings deutlich zurückhaltender und setzt etwas andere Akzente als seine Parteichefin.
Das fängt schon mit der Idee der Radtour nach Brüssel an. Die Idee stammt von De Masi. Er und sein Team wollen das Europaparlament per Rad erreichen, begleitet von einem Kamerateam. Man kann die Radtour auf sozialen Medien mitverfolgen. „Wir wollten mit unserem begrenzten Wahlkampfbudget etwas machen, worüber die Leute sprechen“, sagt er der taz. „Ursprünglich hatten wir überlegt, die ganze Strecke durch zu fahren. Dazu fehlte uns die Zeit.“ Darum gliedert sich die Tour in fünf Etappen von bis zu drei Stunden, zwischendrin werden die Räder in einen Transporter gepackt. „Die längste Strecke wird in Nordrhein-Westfalen sein“, sagt De Masi.
Die rechte Überholspur
Wagenknecht dagegen, obwohl selbst passionierte Radlerin, kann man sich in ihrem obligatorischen Kostüm schwer auf einem Drahtesel vorstellen. Sie profiliert sich als Auto-Versteherin. Über das Verbrenner-Aus, das ab 2035 in der Europäischen Union gelten soll, möchte sie im Bundestag abstimmen lassen: Damit überholt sie sogar Union, AfD und FDP auf der rechten Spur.
„Das Verbrenner-Aus bis 2035 ist nicht durchzuhalten“, sagt auch De Masi. Aber er fügt hinzu: „Auch wir wollen den Pkw-Verkehr reduzieren. Es soll nicht alles weiterlaufen wie bisher.“ Man wolle nur „andere Vorgaben“ machen: „für kleinere Flotten und Vorgaben zur CO2-Einsparung.“ Das hört man von Wagenknecht eher selten.
In Migrationsfragen schlägt Wagenknecht rechte Töne an, sie will die Einwanderung nach Deutschland „ganz klar reduzieren“. Zuletzt forderte sie, abgelehnten Asylbewerbern alle Geldleistungen zu streichen. De Masi formuliert das etwas bedächtiger: „Das Existenzminimum beziehungsweise Sachleistungen“ müsse es „immer geben“, wiegelte er im Interview mit der linken Zeitschrift Jacobin ab.
Im BSW-Programm für die Europawahl ist von „unkontrollierter Migration“ und „islamistisch geprägten Parallelgesellschaften“ die Rede. De Masi verzichtet auf solche alarmistischen Schlagwörter. „Wir bedienen keine Ressentiments. Aber wir brauchen Regeln, um Integration zu ermöglichen“, sagt er. Er sagt aber auch: „Die Formulierungen zur Migrationspolitik sind auch von mir mit formuliert und mit beeinflusst.“
Die erste Bewährungsprobe
Mit Thomas Geisel, dem anderen BSW-Spitzenkandidaten für die Europawahl, bildet er ein ungleiches Paar. Der ehemalige Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeister ist ein Anhänger der Agenda 2010, gegen die sich einst die Linkspartei gründete. Die offensichtlichen Differenzen wischte De Masi bei der ersten BSW-Pressekonferenz im Januar, als sich beide als Spitzenkandidaten vorstellten, mit dem Argument weg, das BSW strebe an, eine „Volkspartei“ zu werden. Das bringe „Nuancen und Debatten“ mit sich.
Wie aber die internen Debatten beim BSW geführt werden, das bleibt für Außenstehende bisher intransparent. „Die Prozesse sind bei uns noch nicht so wie bei anderen Parteien“, räumt De Masi ein. „Das wird künftig anders werden. Wir werden zu verschiedenen Themen programmatische Arbeitsgruppen bilden“, kündigt er an.
Für das BSW ist die Europawahl die erste Bewährungsprobe. „Wir gehen als Underdog in die Wahlen“, sagte BSW-Generalsekretär Christian Leye, als seine Partei am vergangenen Mittwoch in einem Hotel in Berlin ihre Wahlkampagne vorstellte: „Wir legen damit unsere Visitenkarte auf den Tisch.“
Man setzt auf Großflächenplakate und Flyer, 20 Großveranstaltungen mit Sahra Wagenknecht auf prominenten Plätzen der Republik sowie auf Social-Media-Präsenz. Rund 3 Millionen Euro beträgt der Wahlkampf-Etat, die Partei hofft auf weitere Spenden. „Das ist ein absoluter Husarenritt“, sagt De Masi über seinen Europawahlkampf. „Ich habe ja kein Büro wie Abgeordnete oder einen Mitarbeiter, der für mich die Termine macht.“
Das „Cum-Ex-Jäger“ Image bleibt
Die großen BSW-Plakate zur Europawahl zeigen allesamt Wagenknechts Konterfei, darunter Fragen wie: „Krieg oder Frieden?“, „Gier oder Gerechtigkeit?“ und „Maulkorb oder Meinung?“ Nur auf den kleineren Plakaten sind die beiden BSW-Spitzenkandidaten zu sehen. „Cum-Ex-Jäger“ steht auf Fabio De Masis Plakat. Als er sich bei der ersten BSW-Pressekonferenz im Januar als Spitzenkandidat vorstellte, sagte De Masi noch, dass er nicht auf diese Rolle reduziert werden wolle. „Ich wollte nicht immer die Nervensäge sein, die den Leuten die Finanzskandale unter die Nase hält“, sagte er damals. Dabei pflegt er dieses Image recht sorgfältig.
Er ist stolz darauf, Olaf Scholz in der „Cum Ex“-Affäre so bedrängt zu haben, dass dieser sich mit einer „Erinnerungslücke“ herausreden musste. Im vergangenen Jahr stellte De Masi sogar Strafanzeige gegen den Kanzler. Juristisch mag das aussichtslos sein – öffentlichkeitswirksam war es allemal. Nebenbei arbeitet De Masi an einem Buch, das im Januar 2025 unter dem Titel „Geld, Macht, Verbrechen“ erscheinen soll. Darin will er erklären, „wie wir die Demokratie vor Finanzkriminellen und dem großen Geld schützen“.
Der 44-jährige aus Hamburg saß bis 2017 schon einmal vier Jahre lang im Europaparlament, bevor er für vier weitere Jahre als Abgeordneter der Linkspartei in den Bundestag gewählt wurde. In beiden Parlamenten erwarb er sich parteiübergreifend einen guten Ruf als „Finanzdetektiv“, war an Untersuchungsausschüssen zu den „Luxemburg-Leaks“, zur Wirecard-Affäre und zu „Cum Ex“ beteiligt.
Nun will er wieder nach Brüssel, um Ursula von der Leyen unter Druck zu setzen, wie er sagt. Gegen die deutsche EU-Kommissionspräsidentin ermittelt die europäische Staatsanwaltschaft wegen eines umstrittenen Impfstoff-Deals mit dem US-Pharmakonzern Pfizer in der Corona-Zeit. De Masi möchte da nachhelfen. Dafür segelt er jetzt im Windschatten von Sahra Wagenknecht, der Galionsfigur ihrer Partei.
Win-Win-Situation für beide Seiten
„Wir wollen ein Europa, das seinen Job macht“, beschrieb De Masi in seiner Rede auf dem Gründungsparteitag des BSW in Berlin das Programm für die EU-Wahl und fügte hinzu: „Weniger ist mehr“. Das BSW will die Nationalstaaten in der EU stärken und die EU-Institutionen schwächen. Dass De Masi ins Europaparlament will, um dessen Einfluss zu begrenzen – auch diesen Widerspruch überspielt De Masi geflissentlich.
Die EU solle sich „auf die Themen konzentrieren, für die sie gegründet wurde“, sagt er – etwa, indem ihre Mitgliedstaaten auf einheitliche Mindeststeuern für internationale Konzerne hinwirken. „Bei der Bekämpfung von Steuerdumping der Konzerne oder einer Reform der Schuldenbremse sind meine Positionen konkreter als bei der Konkurrenz“, wirbt er für sich. „Das Thema Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steuer-Oasen steht bei uns im Programm“.
Dass sich De Masi, Sohn eines italienischen Gewerkschafters und einer deutschen Sprachlehrerin, dem Wagenknecht-Bündnis angeschlossen hat war keine Überraschung. Schließlich startete er seine Karriere einst als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht im Bundestag. Vor sechs Jahren war er bereits bei der Sammelbewegung „Aufstehen!“ dabei, mit der sich Wagenknecht von der Linkspartei zu lösen versuchte. Und nach seinem Abschied aus dem Bundestag vor drei Jahren rechnete De Masi mit seiner Partei ab, welche in seinen Augen die Interessen des kleinen Mannes zugunsten „identitätspolitischer“ Themen vernachlässigt hätte. Diese Sicht teilt er mit Sahra Wagenknecht. Nun hofft er, mit ihr Mehrheiten erreichen zu können, und hat sich dafür die beste Nebenrolle gesichert.
Eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Er bürgt beim Bündnis Sahra Wagenknecht mit seinem guten Ruf als Finanzexperte für Seriosität. Und bleibt mit seiner Kandidatur im Gespräch.