Der Mob fordert die Zerstörung aller Roboter. Auf den Transparenten der geifernden Menschen stehen Slogans wie
proud human workers” oder “human supremacy“. Mit diesen Bildern beginnt
der Animationsfilm Mars Express, das Spielfilmdebüt des französischen
Animators Jérémie Périn. Es ist das Jahr 2200, Mars und Erde sind gleichermaßen
bewohnt. Von Menschen, Robotern und Hybriden, den sogenannten Back-ups. Der Beziehungsstatus zwischen den Lebensformen ist, vorsichtig formuliert, ungeklärt. 

Auf beiden Planeten gelten die Gesetze des Science-Fiction-Autors
Isaac Asimov, nach denen Roboter den Menschen als Arbeitskräfte zu dienen haben. Sämtlichen Exemplaren sind diese Gesetze einprogrammiert, code
is law
. Was problematisch ist, weil Roboter in Bewusstsein und
Intelligenz den Menschen längst gleich sind, vielleicht gar überlegen. Die Menschen reagieren darauf unterschiedlich: Die einen hacken Roboter, um sie von ihrem
Knecht-Code zu befreien. Andere, die “proud human workers“, wollen sie vernichten, weil ihre Arbeit durch Roboter ersetzt wurde. Périn übersetzt den realen White-Supremacy-Rassismus in die Robophobie einer fiktiven Zukunft. Die
in gar nicht allzu unrealistischer Ferne zu liegen scheint, besehen im Licht
der jüngeren Entwicklungen rund um Künstliche Intelligenz
(KI)
. Bekanntlich geben Science-Fiction-Storys mindestens so viel
Auskunft über ihre Gegenwart wie über die von ihnen imaginierte Zukunft.

Plot-Motor von Mars Express ist eine klassische Detektivgeschichte. Der Vater einer vermissten Kybernetikstudentin beauftragt in der schicken Mars-Stadt Noctis die Privatdetektei von Aline und Carlos, seine Tochter zu finden. Das bietet dem Film Gelegenheit, bewährte
Krimi-Schauplätze durchzudeklinieren: Auch auf dem Mars im Jahr 2200 werden
Cocktailpartys in der Luxusvilla eines zwielichtigen Entrepreneurs gefeiert,
Schüsse im Neon eines Rotlichtviertels ausgetauscht und im Polizeirevier spritzige
Dialoge mit inkompetenten Cops geführt. Bald mehren sich die Hinweise auf ein
interplanetares Komplott, in dem auch den versklavten Robotern eine zentrale
Rolle zukommt.

Die Spannungen zwischen Mensch und Maschine spiegeln sich in dem Ermittlungsduo wider: Aline ist eine Frau mittleren Alters und, ganz dem Film noir verpflichtet,
Alkoholikerin. Ihr Arbeitskollege Carlos ist vor fünf Jahren gestorben. Weil er aber noch vor dem Tod seines Körpers
ein Back-up seines Gehirns erstellen ließ, und diese Hirn-Kopie post mortem
in ein humanoides Roboterskelett gepflanzt wurde, lebt er seitdem als Back-up weiter.

Dieses Konzept berühmt gemacht hat Mamoru Oshiis Film Ghost
in the Shell
(1995), die Anime-Adaption des gleichnamigen Mangas: Das Hirn
– sprich: Seele, Geist (ghost) – ist die Software, die auf wechselnde
Hardware – sprich: Körper, Hülle (shell) – geladen werden kann. Anders als in Ghost in the Shell, wo künstliche
und organische Körper äußerlich
ununterscheidbar sind, dient den Back-ups aus Mars Express eine
kopflose Hightech-Gliederpuppe als Körper-Hardware, über deren Halsrumpf der
Kopf der Verstorbenen als Hologramm schwebt. Das erinnert an die reale Arbeit
der japanischen Künstlerin Etsuko Ichihara, die Verstorbene anhand von Audio-
und Bilddateien als Roboter auferstehen lässt, um die Trauer der Angehörigen zu
lindern
. Das Dasein als Back-up birgt viele Vorteile, von
denen Transhumanisten schon länger träumen
. Auch für die menschliche Detektivin Aline ist es überaus
praktisch, dass der Körper ihres Kollegen Carlos weitaus robuster ist als ein menschlicher und auf Hilfsmittel wie Raumscanner
und Wärmebildkamera zurückgreifen kann.

Carlos ist aber nicht nur eine Art wandelnder Werkzeugkasten, der Alines Arbeit
technisch unterstützt. Immer wieder sieht man seine Gefühle im
Roboterkörper aufblitzen. Ein leicht verzogener Mundwinkel, ein gesenkter Blick.
“Du bist so langweilig, seit du tot bist”, sagt Aline scherzhaft zu
Carlos, der dazu schweigt. Später erfährt man, dass auch Back-ups zur Gruppentherapie gehen: Als Carlos einen Ersatzarm bestellt, schiebt ihm die
Verkäuferin die Visitenkarte einer Selbsthilfegruppe zu:
“Wir Back-ups treffen uns immer mittwochs, um zu reden. Wenn Sie mal einen
Durchhänger haben, kommen Sie vorbei.”



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