Dodoma/Berlin – Eine Schildkröte, die eine Plastiktüte frisst. Oder Seepferdchen, die sich in Abfall verheddern. Man kennt die Bilder zu Genüge, leider. Ein Gegenmittel: Plastikmüll vermeiden, verringern, recyceln und nicht achtlos in die Natur werfen.

Ein Land, das Plastiktüten den Kampf angesagt hat, ist Tansania. Die frühere deutsche Kolonie in Ostafrika ist bekannt für die Tierwelt in der Serengeti, das “Dach Afrikas” – den Kilimandscharo – und die Insel Sansibar. Und seit genau fünf Jahren auch wegen einer rigorosen Plastiktüten-Politik.

Seit Juni 2019 dürfen keine solchen Tüten mehr importiert, exportiert, hergestellt, verkauft oder genutzt werden. Wer dorthin reist, darf keine Plastiktragetaschen mitbringen. Darauf weist etwa die Fluggesellschaft KLM hin. Das gilt demnach auch für die Nachbarländer Ruanda und Kenia, die es ebenso handhaben.

Der Alltag in Tansania geht seither ohne Plastiktüten vonstatten. Wer in der Großstadt Arusha auf dem Markt Mangos oder Bananen kauft, bekommt einen wiederverwendbaren Beutel ausgehändigt.

Verbot für Plastiktüten: “Das ist unbedingt zu begrüßen”

Die Umweltschützer von WWF Deutschland bewerten das für die AZ so: “Dass Tansania – und noch früher andere Vorreiter-Staaten wie Kenia oder die Seychellen, beide 2017, – ein Verbot für Plastiktüten ausgesprochen haben, ist unbedingt zu begrüßen und zeugt von einer Entschlossenheit.”

Ist das Entwicklungsland damit in dieser Hinsicht ein Vorbild, weil es früher und konsequenter vorgeht? Auch hierzulande tut sich etwas, doch es gibt weiterhin Ausnahmen. Und für die muss man das Wort “Wandstärke” kennen.

Die Verbraucherzentrale klärt auf: “Seit dem 1. Januar 2022 dürfen Händler keine Kunststofftragetaschen mehr ausgeben, die dünner als 0,05 Millimeter sind.”

Aber: “Für sehr dünne Tüten mit weniger als 0,015 Millimeter Wandstärke gilt das Verbot nur, wenn sie im Kassenbereich ausgegeben werden.” Weiterhin erlaubt sind sie, wenn damit Obst und Gemüse eingepackt wird oder Wurst und Fleisch.

Das sind die Ausnahmen in Deutschland

Also zusammengefasst: Die umgangssprachlich gern Hemdchenbeutel genannten Tüten sind noch erlaubt. Ebenso dickere Plastiktüten – also solche mit einer Wandstärke über 50 Mikrometer.

Thomas Fischer, Bereichsleiter für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe, ordnet für die AZ ein: “Die Verbote in beispielsweise Tansania sind sehr viel weitergehender als in Deutschland, denn dort sind Plastiktüten generell verboten.” So weit müsse man im Zweifelsfall gar nicht gehen, “denn entscheidend ist nicht die Frage, ob eine Tragehilfe aus Kunststoff ist oder nicht, sondern ob es sich um ein kurzlebiges Einwegprodukt oder eine stabile Mehrwegtasche handelt”.

Die könne auch aus Kunststofffasern hergestellt werden und durch eine vielfache Wiederverwendung dazu beitragen, Abfall zu vermeiden, so Fischer.

Händler können das Verbot mit einem Trick umgehen

Sein Urteil über das deutsche Vorgehen ist dennoch klar: “Das deutsche Plastiktütenverbot ist schlecht gemacht. Der Regelungsbereich des Verbots beschränkt sich lediglich auf Plastiktüten mit einer Wandstärke von 15 bis 50 Mikrometer. Das bedeutet: Kleine Hemdchenbeutel mit einer geringeren Wandstärke als 15 Mikrometer sind weiterhin erlaubt.”

Die Regelung lässt ihm zufolge auch Platz für Schummler, wenn es um dickere Plastiktüten geht. “Der Trick: Die Händler haben ihre Plastiktüten nur eine Winzigkeit dicker gemacht, zum Beispiel 51 oder 55 Mikrometer, um nicht unter die Verbotsregelung zu fallen.”

Mehrwegtragetaschen sind das Fischer zufolge deshalb noch lange nicht. “Nach Einschätzung der Umwelthilfe kann von einer Mehrwegtasche erst ab einer Wandstärke von 100 Mikrometern gesprochen werden.”

 

Auf EU-Ebene wird aktuell an einer neuen EU-Verpackungsverordnung gearbeitet. Diese soll die bisher geltende EU-Verpackungsrichtinie ablösen, erklärt das Umweltministerium auf AZ-Anfrage. “Die im März erzielte und bereits auf Botschafterebene gebilligte Trilogeinigung sieht vor, dass sehr leichte Kunststofftragetaschen zwar grundsätzlich ab 2030 EU-weit verboten sein sollen. Von diesem Verbot sollen aber ‘Hemdchenbeutel’, deren Nutzung aus hygienischen Gründen erforderlich ist oder deren Verwendung die Vermeidung von Lebensmittelabfällen unterstützt, weiterhin ausgenommen sein”, heißt es vom Umweltministerium zum aktuellen Verhandlungsstand.

Die abschließende Abstimmung des EU-Parlaments und des Ministerrats ist für Herbst 2024 geplant.

Umweltministerium erkennt schon ein Umdenken

Das Umweltministerium stellt nach eigenen Angaben fest, “dass mittlerweile zahlreiche Handelsketten abfallvermeidende Alternativen für diese besonders leichten Plastiktüten einsetzen. Einige Handelsketten haben bereits damit begonnen, bei Gemüse Verpackungen gänzlich wegzulassen oder ihren Kundinnen und Kunden Mehrwegalternativen anzubieten. Das ist der richtige Ansatz. Denn es muss darum gehen, insgesamt weniger Verpackungen einzusetzen”.

Warum gibt es überhaupt eine Ausnahme bei den Hemdchenbeuteln? Der Sprecher des Umweltministeriums erklärt: “Für diese ‘Hemdchenbeutel’ gab es bislang kaum umweltfreundliche Alternativen. Außerdem sorgen sie für einen hygienischen Umgang mit Lebensmitteln.” Dementsprechend habe der deutsche Gesetzgeber diese Beutel bislang nicht verboten, auch weil das EU-Recht dem entgegenstand.

WWF: Ein verbotenes Produkt bringt den Wandel noch nicht

Zurück nach Tansania – wie wird die Umsetzung dort kontrolliert? Fischer von der Deutschen Umwelthilfe: “Beim Vollzug ihrer Plastiktütenverbote machen afrikanische Länder ernst. Die Einhaltung wird streng kontrolliert. In Tansania werden Verstöße mit bis zu zwei Wochen Haft und hohen Geldstrafen sanktioniert.”

In Deutschland seien die Bundesländer für die Einhaltung des Plastiktütenverbots zuständig, das bestätigt so auch das Umweltministerium. Fischer kritisiert das: “Einen Vollzug gibt es hierzulande jedoch faktisch nicht. Deshalb ist es kein Wunder, dass noch immer viele Einweg-Plastiktüten verbraucht werden, obwohl diese eigentlich der Vergangenheit angehören sollten.”

Die Sprecherin des WWF, Freya Duncker, macht auf Anfrage der AZ deutlich, dass das Problem bei der Plastiktüte allein nicht endet: “Das Verbot nur eines Produktes bringt den erforderlichen Wandel nicht, denn viele andere Einwegplastikartikel und Verpackungen gelangen in die Umwelt. Und wenn Einwegtüten aus Papier oder ähnlichem Material die Tüte aus Plastik ersetzen, verlagern sich die Probleme nur.”

Mehrweg als die Alternative

Das sieht auch die Verbraucherzentrale so: “Papiertüten sind nicht generell besser als Plastiktüten”, da auch diese in der Regel nicht mehrfach verwendet werden. Zumindest ein Vorteil gegenüber der Plastiktüte: “Landet eine Papiertüte jedoch als wilder Müll in der Landschaft, zersetzt sich diese Tüte.” Als sinnvoll erachtet sowohl der WWF als auch die Verbraucherzentrale Mehrweg-Alternativen.

Was aus Sicht des WWF auch wichtig ist: “Plastikverschmutzung ist ein globales Problem und kein Land wird es allein schaffen, sie zu stoppen.” Duncker veranschaulicht das an einem Beispiel: “Trotz landeseigenem Verbot wird zum Beispiel an den Stränden der Seychellen Plastikmüll aus anderen Ländern angeschwemmt.”

Deshalb sei ein UN-Abkommen gegen Plastikverschmutzung mit weltweit verbindlichen Regeln und bestimmten Verboten nötig. Die Verhandlungen laufen noch bis 29. April.

Die Zahl zu Deutschland

Dem Statistischen Bundesamt zufolge wurden 2021 hierzulande 2,7 Milliarden Stück sehr leichter Kunststofftragetaschen (unter 15 Mikrometer) verbraucht, das waren rund 33 Tüten pro Kopf. “Ein Vergleich von 15 EU-Staaten zeigt, dass die sehr dünnen Plastiktüten in Deutschland bereits vergleichsweise sparsam verwendet werden. So lag der Pro-Kopf-Verbrauch in Litauen 2021 bei 228 Plastiktüten, in Tschechien bei 181 und in Lettland bei 156”, heißt es dazu vom Bundesamt.





Source link www.abendzeitung-muenchen.de