Zum Jahrestag der Revolution gegen die Diktatur wächst die Sorge vor dem Erstarken der Rechten. Ein Ortsbesuch beim Gedenkmarsch in Lissabon.

Eine Frau verteilt Nelken

Eine 90-jährige Teilnehmerin des Gedenkmarsches in Lissabon verschenkt rote Nelken Foto: Ana Brigida/ap

LISSABON taz | Ein Gesang erklang am Donnerstagnachmittag erneut durch die Straßen Lissabons: Grândola, Vila Morena. Das Lied des antifaschistischen Liedermachers José Afonso war am 25. April 1974 das Signal für einen Putsch gegen die rechte Diktatur in Portugal. Hunderttausende gedachten am Donnerstag dem friedlichen Umsturz, der weltweit als Nelkenrevolution bekannt wurde.

Neben dem runden Jubiläum hatte der Marsch in diesem Jahr eine zusätzliche Bedeutung. Denn die extreme Rechte erlebt derzeit einen Höhenflug. Bei den Wahlen im März konnte die rechtspopulistische Partei Chega ihr Ergebnis von 2022 mehr als verdoppeln. Sie sitzt jetzt mit 18 Prozent als drittstärkste Partei im Parlament.

„Dass die extreme Rechte 50 Jahre nach der Nelkenrevolution solche Erfolge feiert, ist ein großer Rückschritt für Portugal“, sagt José Fernandes. Der 60-Jährige schwenkt eine blau-grüne Fahne mit rotem Speichenrad – es ist die Flagge der Sinti und Roma. Fernandes ist Vorsitzender der Roma-Organisation Techari. Die Chega und ihr Vorsitzender André Ventura sind bekannt für ihre harte Rhetorik gegenüber Minderheiten, besonders die Roma-Gemeinschaft. „Wir wollen Freiheit und Gerechtigkeit für alle Portugiesen“, sagt Fernandes. Deshalb stehe er an diesem Donnerstag zusammen mit Zehntausenden auf der Straße.

Am Nachmittag versammelt sich eine bunte Mischung aus Parteien, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, linken Splittergruppen und Einzelpersonen auf der Avenida da Liberdade, der Allee der Freiheit. Eigentlich ist die Straße Lissabons Edelmeile, gesäumt von Luxusboutiquen und Fünf-Sterne-Hotels. Doch heute ist sie der Ort des Gedenkens und des Protests. Immer wieder ruft die Menge: „25. April – Nie wieder Faschismus.“

Wie werden die Rechten bei den EU-Wahlen abschneiden?

Eine Frau mit buntem Kleid und Nelkenohrringen wuselt auf dem Marsch umher und koordiniert einen Block der Demonstration. Es ist Anizabela Amaral. Die 52-Jährige ist Mitarbeiterin der Organisation SOS Racismo. „Einige Versprechen der Revolution wurden nicht eingelöst, wie zum Beispiel der Kampf gegen Rassismus“, meint Amaral. Sie beobachtet einen Anstieg des Rassismus in Portugal. Die Chega-Partei betreibe nicht nur antiziganistische Hetze, sondern machen verstärkt Stimmung gegen Mi­gran­t*in­nen aus Südasien.

Die anstehenden Europawahlen bereiten Amaral große Angst, da die Chega auch dort gut abzuschneiden droht. Doch Amaral übt auch Kritik an den eigenen Reihen: „Viele hier auf dem Protest bezeichnen sich selbst als antifaschistisch. Aber wenn um Antirassismus geht, schweigen sie.“

In Portugal ist die Erinnerung an den 25. April allgegenwärtig. Die ganze Stadt hat sich für den Tag herausgeputzt: An Schulen und Regierungsgebäuden hängen Transparente, überall gibt es roten Nelken zu kaufen, Lissabonner wünschen sich gegenseitig einen „Guten 25. April“. Streckenweise gleicht der Marsch eher einem Volksfest. Viele Familien sind auf der Straße, fast alle haben sich rote Nelken angesteckt, sogar einige Polizist*innen.

Joaquim Coelho ist zusammen mit seiner Gesangsgruppe nach Lissabon gereist. Er trägt ein kariertes Hemd, eine Weste und einen großen Filzhut, die traditionelle Tracht der Landarbeiter. Der 70-Jährige stammt aus dem Alentejo, dem ländlich geprägten Süden Portugals, der als Hochburg der Kommunisten gilt. „Wir haben die Zeit des Faschismus erlebt, deshalb können wir sagen: Die Freiheit ist das Wichtigste.“ Coelho war damals Soldat, allerdings in Porto stationiert. „Die Freude war sehr groß, als wir von der Revolution hörten.“

Viele Po­li­ti­ke­r*in­nen nehmen an dem Gedenkmarsch teil

In Portugal herrscht ein breiter Konsens darüber, dass die Diktatur eine dunkle Periode in der Geschichte des Landes war. Eine Verherrlichung dieser Zeit ist selten anzutreffen, nahezu alle politischen Kräfte beziehen sich auf das Erbe des 25. April. Am Morgen hielt Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa eine Rede im Parlament, in der er an die „unschuldigen Opfer“ des Terrors der Geheimpolizei PIDE erinnerte. Angehörige der Opfer waren auf der Tribüne anwesend und wurden von den Abgeordneten im Plenarsaal mit Applaus bedacht. Viele Po­li­ti­ke­r*in­nen nahmen auch an dem Gedenkmarsch teil.

Dort steht Maria Piedade – 70 Jahre, blondgefärbte Haare – zusammen mit ihrem Mann am Rand. Sie ist zum ersten Mal auf der Gedenkparade. 1970 trieb sie das Regime ins Exil nach Paris, wo sie seitdem lebt. „Die Diktatur war eine schlimme Zeit für Portugal“, sagt sie. „Wir dürfen nie wieder dahin zurück.“



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