Die 26-jährige Katharina Stolla ist seit einem halben Jahr Vorsitzende der
Grünen Jugend. ZEIT ONLINE sprach mit ihr über die neue Studie “Jugend in Deutschland”. Die
aktuellen Ergebnisse fallen vor allem für die Grünen wenig erfreulich aus.
Während sie noch 2022 von allen Parteien die meiste Zustimmung erhielten (27 Prozent),
sind sie jetzt mit 18 Prozent auf Platz drei abgerutscht. Auf Platz eins liegt die
AfD mit 22 Prozent, die Union kommt mit 20 Prozent auf Platz zwei.

ZEIT ONLINE: Ihre Kampagne zur Europawahl heißt: “Kein Bock auf Krise”. Damit scheinen sie den Zeitgeist unter Jugendlichen ganz gut zu treffen. Allerdings haben viele Jugendlichen offenbar auch keinen Bock mehr auf die Grünen, oder?

Katharina Stolla: Es stimmt, dass viele junge Menschen sich nicht von den Grünen gesehen und vertreten fühlen. Bei den Grünen fällt das besonders auf, weil sie bei der Bundestagswahl 2021 gerade bei meiner Generation gut abgeschnitten haben. Das ist natürlich bitter. Dieser Trend, der ja auch die SPD und FDP betrifft, ist die Quittung dafür, dass die Ampel in den vergangenen Jahren viel zu oft Politik gemacht hat, die die konkreten Sorgen von jungen Menschen nicht ernst genommen und dafür keine Lösungen gefunden hat.

ZEIT ONLINE: Welche Probleme meinen Sie konkret?

Stolla: Eine der größten Sorgen ist die Inflation. Die Tatsache, dass das Leben teurer wird, das spüren junge Menschen ganz konkret. Der Bafög-Höchstsatz kann zum Beispiel nicht annähernd mit den Preissteigerungen mithalten. In Hamburg etwa kostet ein WG-Zimmer heute durchschnittlich mehr als 600 Euro, beim Bafög sind für Miete aber nur 360 Euro eingerechnet. Die Sätze sind viel zu gering, das kann nicht zum Leben reichen. Die Ampel hat diese Krisen nicht vernünftig bearbeitet und dadurch das Krisengefühl noch verstärkt.

ZEIT ONLINE: Sie vertreten den Jugendverband der Grünen und sitzen regelmäßig in den Vorstandssitzungen der Partei. Hätten Sie Ihren Einfluss nicht besser nutzen müssen?

Stolla: Wir haben die komplett irrationale Sparpolitik der Ampel immer wieder kritisiert und eine soziale Politik eingefordert. Umso mehr ärgert mich die Überraschung, mit der jetzt manch einer auf die Enttäuschung junger Menschen reagiert.

ZEIT ONLINE: Anders als die Grünen haben die CDU, aber vor allem die AfD deutlich zugelegt in der Gunst der Jungen. Adressieren diese Parteien diese Sorgen also besser?

Stolla: Nein, natürlich nicht. Aber finanzielle Nöte, die Unsicherheit und der Vertrauensverlust machen es Rechtsextremen und auch Konservativen einfach. Rechte spielen Menschen gegeneinander aus. Und je mehr Menschen die Erfahrung machen, dass es in ihrem Leben tatsächlich an vielem fehlt – beispielsweise bezahlbare Wohnungen, sichere Jobs oder Geld am Ende des Monats –, desto eher verfängt das, die Schuld auf Geflüchtete oder Bürgergeldempfänger zu schieben. Das funktioniert in allen Altersgruppen und davon sind natürlich auch jüngere Generationen nicht ausgenommen.

ZEIT ONLINE: Merken Sie auch in ihrer täglichen Arbeit in ihrem Jugendverband, dass die Grünen an Zustimmung verloren haben?

Stolla: In bestimmten Gruppen ist es schon schwieriger geworden, Menschen anzusprechen. Das gilt zum Beispiel für Menschen mit migrantischem Hintergrund. Die sagen, die Grünen tragen eine Asylpolitik mit, die vielleicht dazu beitragen würde, mich oder meine Familie abzuschieben. Was soll ich da? Oder junge Menschen, die mit ihrer Ausbildungsvergütung nicht zurande kommen. Die fragen sich auch, was die Ampelparteien für sie in den letzten Jahren getan haben. Trotzdem haben wir auch insbesondere rund um die Demonstrationen im Januar gemerkt, dass es schon einen großen Willen gibt, etwas zu verändern.

ZEIT ONLINE: Steht das nicht im Widerspruch zu der Studie?

Stolla: Nein, es gibt beide Entwicklungen: Manche Menschen fühlen sich durch die Gleichzeitigkeit von Kriegen und Krisen wie gelähmt. Sie sagen: “Lasst mich in Ruhe. Ich kann eh nichts ändern.” Aber viele Leute macht es auch trotzig. Sie wollen nicht länger hinnehmen, dass ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt wird. Mit unserer Kampagne “Kein Bock auf Krise” wollen wir alle erreichen, die ohne Angst an morgen denken und nicht länger dabei zusehen wollen, wie ihre Träume in all den Krisen erstickt werden.

ZEIT ONLINE: Aber Krisen lassen sich doch nicht einfach so abschaffen und wegorganisieren?

Stolla: Stimmt, aber viele, gerade die innenpolitischen Krisen sind doch politisch lösbar. Es ist ja nicht unmöglich, Wohnraum zu schaffen oder die Mietpreise zu begrenzen. Auch dafür, dass das Leben bezahlbar bleibt, kann man etwas tun – etwa indem man dafür sorgt, dass die Löhne, die Ausbildungsvergütung und das Bafög steigen. Das ist kein Hexenwerk.

ZEIT ONLINE: Die Ampel hat Milliardenhilfspakete geschnürt, um die Energiepreise zu deckeln und die Inflation auszugleichen. Wenn Sie so tun, als schaue die Politik tatenlos zu, verstärkt das die Politikverdrossenheit nicht noch?

Stolla: Natürlich gab es auch gute Ansätze, Einmalzahlungen an Studierende beispielsweise. Ob man als Studierender einmalig 200 Euro kriegt oder nicht, das macht schon einen Unterschied. Aber die 200 Euro sind längst aufgebraucht. Alles in allem war das aus meiner Sicht zu wenig. Die Antwort auf diese Studie und den Rechtsruck darf daher kein abstrakter Aufruf zum Zusammenhalt sein, sondern muss materielle Verbesserungen im Leben der Menschen beinhalten. Meine Generation verliert die Hoffnung, dass die Krisen enden. Gerade wenn man der AfD den Wind aus den Segeln nehmen will, darf man sich das nicht schönreden.

ZEIT ONLINE: Stark angewachsen ist bei jungen Menschen auch die Sorge vor einer unkontrollierten Zunahme von Geflüchteten. Sie selbst haben allerdings jeden Versuch einer Begrenzung aufs Heftigste kritisiert. Müssen Sie Ihre Position da ändern?

Stolla: Meine Position richte ich nicht danach aus, wie laut Rechte gerade nach Abschottung rufen, sondern was ich für richtig halte. Es stimmt, dass der Wunsch nach Abschottung auch unter jungen Menschen zunimmt. In einer Welt, in der immer mehr Menschen gezwungen sind, zu fliehen, jetzt die Mauern hochzuziehen, halte ich dennoch für falsch. Das Problem ist doch, dass die Kommunen jahrelang kaputtgespart wurden und an ihre Grenzen stoßen. Aber: Das kann man politisch ändern. Ich kämpfe für eine solidarische Migrationspolitik und gleichzeitig gegen die Überforderung der Kommunen. Politische Lösungen dürfen nicht auf Kosten der Schwächsten gehen.



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