Sie wollen arbeiten. Aber zu anderen Bedingungen als ihre Eltern oder Großeltern. Sie wollen Verantwortung übernehmen, fühlen sich aber übergangen von der Politik, der Gesellschaft. Für viele junge Leute in Deutschland ist die aktuelle Situation demotivierend, sie fühlen sich ohnmächtig und fürchten ein immer teurer werdendes Leben mit sozialen Spannungen.

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Das zeigt die aktuelle repräsentative Studie „Jugend in Deutschland“, für die Anfang des Jahres mehr als 2000 14‑ bis 29‑Jährige befragt wurden. Die Verunsicherung sitzt demnach tief. Bei der wirtschaftlichen Entwicklung, den politischen Verhältnissen und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt erwarten sie starke Defizite. Auch in Sachen Lebensqualität fürchten sie einen Rückgang.

9 Prozent der jungen Menschen haben Suizidgedanken

„Es gibt einen Verlust des Vertrauens in die Beeinflussbarkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen“, sagt Studienleiter Simon Schnetzer, der Jugendforscher ist. Die Folge: Viele berichten über schwere psychische Belastungen und wenden sich in ihrem Frust den rechten Parteien zu.

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Die Atmosphäre, die Corona geschaffen hat, der damit einhergehende Kontrollverlust, ist geblieben. Die Jugend hat das Gefühl, Verhältnisse nicht beeinflussen zu können. Deshalb fehlt es an Mut.

Klaus Hurrelmann,

Sozialforscher

In Zahlen liest sich das so: 13 Prozent der weiblichen Befragten und 8 Prozent der männlichen sind in psychologischer Behandlung. Mehr als die Hälfte der Befragten fühlt sich gestresst, mehr als jeder Dritte erschöpft, antriebslos und voller Selbstzweifel. 9 Prozent gaben gar an, Suizidgedanken zu haben. In allen Bereichen ist das seit 2022 ein deutlicher Anstieg.

Multiple Krisen wirken sich negativ auf die psychische Gesundheit aus

Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, der fortschreitende Klimawandel, die Inflation, fehlender bezahlbarer Wohnraum, das Risiko der Altersarmut und die Spaltung der Gesellschaft treiben junge Menschen um – und wirken sich negativ auf die psychische Gesundheit aus. „Wir haben es mit einer Generation zu tun, die im Wohlstand groß geworden ist und die Krisen schlecht wegstecken kann“, sagt Klaus Hurrelmann, Sozialforscher und Mitautor der Studie. Er fordert, dass die Resilienz der Jugendlichen gestärkt werden muss.

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Die psychischen Probleme gehen mit einer weiteren Wahrnehmung einher: einer Art Machtlosigkeit. „Die psychische Belastung, die die Jugend während der Corona-Pandemie erlebte, ging nicht zurück“, sagt Jugendforscher Kilian Hampel, Mitautor der Studie. Die Corona-Zeit hat bei vielen das Gefühl hinterlassen, keine Kontrolle zu haben, und dass Politik und Gesellschaft die Bedürfnisse der Jugend übersehen oder gar bewusst übergehen.

Corona, Krieg, Klima: Für Jugendliche ist die Zukunft unberechenbar

„Die Atmosphäre, die Corona geschaffen hat, der damit einhergehende Kontrollverlust, ist geblieben“, sagt Hurrelmann, und weiter: „Die Jugend hat das Gefühl, Verhältnisse nicht beeinflussen zu können. Deshalb fehlt es an Mut.“ Auch auf die Planungssicherheit wirke sich das aus. Viele jungen Menschen machten keine Zukunftspläne mehr, weil sie die Zukunft für unberechenbar hielten. Hurrelmann wünscht sich deshalb, dass in Schulen und Familien mehr auf persönliche Ressourcen und Potenziale geachtet wird als darauf, schon früh einen Berufswunsch zu verfolgen.

Die jungen Leute streben eine bessere Work-Life-Balance als ihre Eltern und Großeltern an. Und diese wollen sie jetzt, weil sie aufgrund der multiplen Krisen nicht abschätzen können, wie es ihnen in einigen Jahren gehen wird.

Simon Schnetzer,

Jugendforscher und Studienleiter

Gleichzeitig stehen viele junge Menschen offenbar auch vor einer Zerrissenheit. So findet mehr als die Hälfte der Befragten, dass Deutschland den Ernst der Lage beim Klimawandel nicht begriffen hat und auch zu wenig im Kampf gegen den Klimawandel tut. Allerdings ist die Mehrheit nicht bereit, für mehr Nachhaltigkeit auf eigenen Luxus zu verzichten und den eigenen Lebensstil zu ändern. Die Studienleiter kommen zu dem Schluss, dass die Jungen keine großen Auswirkungen beim eigenen Verhalten sehen, stattdessen müssten Politik und Wirtschaft kollektive Veränderungen initiieren, damit die Klimakatastrophe noch gestoppt werden kann.

Rechtsruck unter jungen Leuten: 22 Prozent wollen die AfD wählen

Anders als noch bei der letzten Bundestagswahl glaubt aber die Mehrheit nicht daran, dass die Ampelkoalition diese Probleme lösen kann. Stattdessen wendet sich die Jugend der AfD und der CDU zu. Von einem „Rechtsruck“ bei überwiegend politisch interessierten jungen Leuten (97 Prozent) spricht Hurrelmann.

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In Zahlen bedeutet das: Anfang des Jahres gaben 22 Prozent an, die AfD wählen zu wollen, 13 Prozent mehr als noch vor zwei Jahren. Bei den männlichen Befragten ist die AfD beliebter als bei den weiblichen, keine signifikanten Unterschiede gibt es jedoch zwischen Stadt- und Landbevölkerung und Menschen mit oder ohne Migrationsgeschichte. Die CDU liegt mit 20 Prozent auf Platz zwei, zählt ebenfalls zu den Gewinnern. Die Grünen, vor zwei Jahren noch 27 Prozent, wollen jetzt nur noch 18 Prozent wählen. Die FDP hat gar mehr als die Hälfte der Stimmen (von 19 auf 8 Prozent) verloren.

Die Jugendforscher Simon Schnetzer (von links), Klaus Hurrelmann und Kilian Hampel haben die Studie durchgeführt.

Die Jugendforscher Simon Schnetzer (von links), Klaus Hurrelmann und Kilian Hampel haben die Studie durchgeführt.

AfD nutzt Tiktok, um junge Zielgruppe zu erreichen

Für den Rechtsruck haben die Studienleiter drei Faktoren identifiziert. Zum einen will man die Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung ausdrücken. Zum anderen dominieren aber auch Ängste um etwa unkontrollierte Zuwanderung, die eigene Sicherheit und die eigene finanzielle Lage – Themen, die sich traditionell eher im konservativen Lager finden. „Sie haben das Gefühl, dass sich der Staat nicht um die Jugend kümmert, und das führt zu rechten, staats- und ausländerfeindlichen Haltungen“, sagt Hurrelmann.

Der dritte Punkt ist die AfD selbst. Die ist auf Tiktok stark vertreten – und zusammen mit anderen sozialen Medien ist das der wichtigste Informationskanal der jungen Menschen. „Die AfD erreicht die junge Zielgruppe damit direkt“, sagt Hampel und fordert statt Verboten und Restriktionen mehr Medienkompetenzunterricht in Schulen. Die Lebensrealitäten würden im Unterricht nicht angemessen berücksichtigt.

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Bundesschülerkonferenz fordert mehr Schulpsychologie und eine neue Art von Politikunterricht

Schülerin Louisa Charlotte Basner ist Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz. Für sie kommen die Ergebnisse nicht überraschend. Sie erlebt nicht nur, dass viele Mitschülerinnen und Mitschüler sich gestresst fühlen, sondern auch mehr Ausländerfeindlichkeit in der Schule. Ihre Bitte: „Die Politik muss mehr in Schulpsychologie und Schulsozialarbeit investieren.“

Auch der Politikunterricht müsse reformiert werden, weg von der Theorie, hin zu einem höheren Praxisanteil und dem Veranschaulichen, was das Gelehrte mit dem eigenen Leben zu tun habe. Derzeit seien viele Schülerinnen und Schüler nicht für die NS‑Zeit sensibilisiert und könnten auch keine Verbindung zu heutigen Ereignissen herstellen, so Basner.

Junge Leute arbeiten gern – aber nur zu ihren Bedingungen

Immerhin – trotz der Verunsicherung und Ohnmacht hat sich der gern gemachte Vorwurf Älterer, die Generation Z sei faul und arbeitsscheu, nicht bestätigt. 70 Prozent der jungen Erwerbstätigen gaben an, ihre Arbeit gern zu machen, fast so viele wollen künftig mindestens gleich viel arbeiten wie schon jetzt.

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Allerdings wollen die jungen Menschen die Bedingungen mitbestimmen. Mehr als die Hälfte fordert etwa Bezahlung für Überstunden. Geld ist für die meisten kein absoluter Motivationsfaktor, kein Geld dafür aber ein Demotivationsfaktor. Schnetzer sagt abschließend: „Die jungen Leute streben eine bessere Work-Life-Balance als ihre Eltern und Großeltern an. Und diese wollen sie jetzt, weil sie aufgrund der multiplen Krisen nicht abschätzen können, wie es ihnen in einigen Jahren gehen wird.“



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