Hannover. Wer in den Neunzigerjahren aufgewachsen ist, der dürfte mit ihm sicher mehrmals in Berührung gekommen sein – auch dann, wenn man selbst kein Gamer war. Am 21. April 1989, vor 35 Jahren, erschien erstmals in Japan der Game Boy von Nintendo. Anderthalb Jahre später kam er auch in Deutschland auf den Markt.
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Der kleine, graue Plastikklotz veränderte die Spielebranche grundlegend. 118,69 Millionen Mal wurde er weltweit verkauft, bis er Ende der 2000er-Jahre allmählich von Nachfolgemodellen wie dem Nintendo DS abgelöst wurde. Damit ist der Game Boy nicht nur eine der erfolgreichsten Spielekonsolen der Welt – auch sein popkultureller Einfluss ist riesig.
Der Game Boy gehörte zu den Neunzigerjahren wie der Mittelscheitel, Buffalo Boots und Tic Tac Toe. Spiele wie Super Mario, Zelda und schließlich auch Pokémon spielten Millionen ein und genießen bis heute Kultstatus. Und auch seine simple Bedienung legte den Grundstein für viele weitere erfolgreiche Produkte der Spiele- und Unterhaltungsindustrie.
Interessant an der Erfolgsgeschichte des Game Boys ist aber auch: Er war keineswegs konkurrenzlos. Vergleichbaren Produkten wie der Game Gear von Sega, dem Ataris Lynx oder dem TurboExpress von NEC war das Nintendo-Produkt in vielen Bereichen sogar technisch unterlegen. Dennoch schaffte keine dieser Konsolen den Durchbruch – der Game Boy hingegen wurde zum Kassenschlager und Kultobjekt. Wie ist das zu erklären?
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NES-Konsole legt Grundstein für den Game Boy
Entwickelt wurde der erste Game Boy ab Mitte der Achtzigerjahre von Nintendos Chefingenieur Gunpei Yokoi und seinem Team. Zuvor war bereits das äußerst erfolgreiche Nintento Entertainment System (NES) auf den Markt gekommen, eine klobige Spielekonsole für den Fernseher.
Yokoi überzeugte seinen Chef, Nintendo-Präsident Hiroshi Yamauchi, dass er den Erfolg auch auf ein tragbares Gerät übertragen könne. Der ursprüngliche interne Name für das Gerät lautete damals Dot Matrix Game, die Marke Game Boy wurde später vom Spieleentwickler Shigesato Itoi erfunden.
Im Anfangsstadion seiner Entwicklung wurde der kleine Kasten aber selten so genannt. Stattdessen hatte er intern den abfälligen Namen „Dame Game“, wobei das japanische Wort dame „nutzlos“ oder „hoffnungslos“ bedeutet. An den großen Erfolg glauben unter den Nintendo-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern zunächst nur wenige. Auch innerhalb des Entwicklerteams gab es zeitweise Spannungen über die genaue Ausrichtung, die der Game Boy einschlagen sollte.
Kein technisches Highlight
Yokoi hingegen ließ sich nicht beirrten. Er hatte die Vision, dass das Gerät zuverlässig und erschwinglich sein sollte. Außerdem wurde großer Wert auf eine lange Akkulaufzeit gelegt. Aus diesem Grund wurden auch einige Funktionen weggelassen, etwa die Hintergrundbeleuchtung des Displays. Beim Bildschirm selbst handelte es sich – auch wenn technisch zu dieser Zeit schon mehr möglich gewesen wäre – um einen einfachen Graustufenbildschirm.
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Auch die einfache Bedienung des Game Boys spielte von Beginn an eine Rolle. So wurde etwa ein Acht-Wege-Steuerkreuz statt eines Joystick verbaut. Letzterer hätte, nach Ansicht von Yokoi, das Gerät schlichtweg nicht portabel genug gemacht. Parallel zum Game Boy wurden auch die ersten Spiele für die Minikonsole entwickelt. Dazu gehörte etwa Super Mario Land, ein Ableger des Konsolenspiels Super Mario Bros.
1987 wurde der Prototyp des Game Boys erstmals auf Technologiemessen vorgestellt. Die ersten Reaktionen fielen aber – ganz ähnlich wie bei Nintendo intern – durchwachsen aus. Insbesondere störte die Rezensentinnen und Rezensenten, dass das Gerät seinen Konkurrenten von Sega oder Ataris technisch teils meilenweit unterlegen war. Bemängelt wurde dabei nicht zuletzt die monochrome Grafik und das Design des Gerätes – dieses wurde von nicht wenigen als sperrig empfunden.
Überraschenderweise sahen das die Konsumentinnen und Konsumenten nicht so: Innerhalb der ersten zwei Wochen nach Erscheinen in Japan waren sämtliche 300.000 Erstexemplare bereits ausverkauft. Bis zum Erscheinen des Nachfolgers Game Boy Color im Jahre 1997 stiegen die Verkaufszahlen auf unglaubliche 64,42 Millionen.
Warum wurde der Game Boy so erfolgreich?
Es liegt nahe, dass gerade die Eigenschaften, die dem Game Boy zunächst als Manko ausgelegt wurden, maßgeblich zu seinem Erfolg beigetragen haben. Während die Konkurrenz bei ihren Produkten auf Farbdisplays, Hintergrundbeleuchtung, allerhand Features und große Spieleankündigungen setzte, schwamm Nintendo bewusst gegen den Strom – und traf damit offenbar genau den Nerv den Konsumentinnen und Konsumenten.
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Das Display war zwar nicht sonderlich reizvoll – es sorgte aber für eine enorme Akkulaufzeit von 30 Stunden am Stück, womit Konkurrenzprodukte nicht punkten konnten. Der Game Boy ließ sich überall mit hinnehmen – und Spiele ließen sich problemlos den ganzen Tag zocken.
Das Design des Gerätes tat sein übrigens: Dieses war dem bereits etablierten NES nachempfunden – Spielerinnen und Spieler mussten keine neue Bedienung mehr lernen. Zudem war das Gerät überaus robust und lies sich selbst mit einem versehentlichen Sturz nicht so schnell zerstören.
Nintendo schwimmt gegen den Strom
In gewisser Weise erinnert die Strategie an das Erfolgskonzept des Techriesen Apple. Auch dessen iPhone fehlten in den Anfangsjahren allerhand Features, die die Konkurrenz längst hatte – es war nie das technisch beste Gerät. Der Konzern schaffte aber eine simple und intuitive Bedienoberfläche, die Spaß machte – und ein Gerät, das fehlerfrei und zuverlässig funktionierte. Von Konsumentinnen und Konsumenten wurde das honoriert. Eine von Steve Jobs Produktmaximen lautete stets: So kompliziert wie nötig, so einfach wie möglich.
Ganz ähnlich wie Apple hatte Nintendo mit der Markteinführung des Game Boy auch einen gewisses Vertrauensvorschuss – die Marke galt dank seines erfolgreichen NES unter Gamerinnen und Gamern als ähnlich wertvoll. Das Marketing des Konzerns tat sein Übriges: Der Game Boy wurde beworben als Gerät, das man überall mit hinnehmen kann – und das man auch mit Freundinnen und Freunden zusammen nutzen kann. Dank Linkkabel, mit dem sich zwei Game Boys verbinden ließen, konnte man in Spielen auch gegen seine Freundinnen und Freunde antreten.
Nicht vergleichbar mit Apple war jedoch der Preis des Game Boys. Bei Markteinführung in Deutschland kostete das Gerät gerade einmal 169 Mark, also etwa 86 Euro – das war für ein Gaminggerät bemerkenswert günstig. Genau das könnte jedoch auch maßgeblich zu seinem Erfolg beigetragen haben. Zum Vergleich: Der Startpreis der Sega Game Gear war in Deutschland mit 299 Mark (152 Euro) deutlich höher.
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Wie Tetris den Game Boy zum Hype machte
Doch der Erfolg des Game Boy dürfte nicht nur mit dem Produkt selbst zu tun haben – sondern auch mit seinen Spielen. Games wie die Super-Mario-Reihe, Donkey Kong oder Zelda wurden zum Kult. Und dann wäre da auch noch der Verkaufsschlager Nummer eins, der den Absatz des Game Boys erst recht in die Höhe getrieben haben dürfte: Tetris.
Das Puzzlespiel, bei dem man bekanntermaßen mit herabfallenden Spielsteinen Reihen vervollständigen muss, wurde 1985 von Alexey Pajitnov in der Sowjetunion entwickelt und schließlich von Nintendo für den Game Boy lizensiert. Bis Anfang 1990, also noch vor Erscheinen des Game Boy in Deutschland, verkaufte Nintendo allein 2,5 Millionen Spiele. Bis 1997 waren es weltweit 29,72 Millionen Exemplare, einschließlich Bundles.
Der Videospieldesigner Henk Rogers war es damals, der das Spiel aus der Sowjetunion entdeckt hatte. Auch Nintendo-Präsident Minoru Arakawa schien ziemlich begeistert von dem schlichten, aber überaus süchtig machenden Game. Er entschied schließlich, das Spiel als Standard-Game mit dem Game Boy zusammen in einer Box zu verkaufen.
Und dann kam Pokémon
Kluge Entscheidungen wie diese hielten den Game Boy auch nach seinem Überraschungserfolg noch über viele Jahre am Leben. Und Ende der Neunzigerjahre verlängerte dann ein weiterer Spielehit diese Lebenszeit um weitere Jahre: Pokémon wurde zu einem weltweiten Megahype. Allein die ersten beiden Game-Boy-Editionen rot und blau wurden 31 Millionen Mal verkauft. Und wieder saßen Millionen Kids und Teenager stundenlang vor ihren Minikonsolen.
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Beendet wurde der Erfolg des Game Boy schließlich durch den Zahn der Zeit – und durch Nintendo selbst. Der japanische Spielhersteller entwickelte über die Jahre eine ganze Reihe von Nachfolgern, darunter den Game Boy Advance in verschiedenen Varianten, der sich 81 Millionen Mal verkaufte. Parallel dazu erschien ab 2004 der erste Nintendo DS, bis 2020 wurde der Nintendo 3DS verkauft. Mit der Zeit wurden die Bildschirme immer farbenfroher, schärfer, die Grafik dreidimensional.
Mit der Switch bietet Nintendo heute eine Hybridkonsole an, die sich sowohl mit einem verbundenen Bildschirm als auch mit Bildschirm in der Hand nutzen lässt. Von der Marke Game Boy hat sich Nintendo mit dem letzten Modell Advance inzwischen verabschiedet. Der Kultfaktor des grauen Plastikbrockens allerdings, der wirkt bis heute nach.