Der deutsche Glaube, dass man Autokratien mit Annäherung positiv beeinflussen könne, erregt in Australien inzwischen nur noch ein mildes Lächeln. Canberra will schon seit Längerem nicht mehr beim steten militärischen Erstarken Pekings zuschauen, dies ist bereits seit Verkünden des AUKUS-Sicherheitspakts mit Großbritannien und den USA im Jahr 2021 deutlich geworden, in dessen Rahmen Australien Atom-U-Boote erhalten wird.

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„Australien steht vor dem komplexesten und herausforderndsten strategischen Umfeld seit dem Zweiten Weltkrieg“, hieß es am Mittwoch dann auch vonseiten des Verteidigungsministeriums, das die erste nationale Verteidigungsstrategie des Landes verkündete. Australiens Verteidigungsminister Richard Marles sprach vor Journalisten von einem „historischen Investment“, das sein Land da unternehme. Es gehe darum, die australischen Streitkräfte zu transformieren und sie „für das Überleben in einer viel unsichereren Welt auszurüsten“.

Handelsrouten schützen

Dabei ginge es nicht um den Schutz der australischen Außengrenzen, so Marles. „Eine Invasion Australiens ist in jedem Szenario unwahrscheinlich.“ Ein Gegner könne jedoch bereits großen Schaden anrichten, ohne jemals australischen Boden betreten zu müssen. Im Visier hat der Minister dabei die Handelsrouten des Landes in Asien, auf die Australiens Wirtschaft angewiesen ist. Auch 85 Prozent des Treibstoffs werden aus Südkorea, Singapur und Malaysia importiert.

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Statt auf Landstreitkräfte zu setzen, will das Land sein Militär deswegen „amphibischer“ gestalten und größere Entfernungen erreichen können. Neben den nuklear betriebenen U-Booten aus dem AUKUS-Pakt wird in neue Langstreckenraketen und in Tomahawk-Marschflugkörper investiert. Bereits im Februar war bekannt geworden, dass die australische Marine zusätzlich zu drei vorhandenen Zerstörern mit 17 neuen Fregatten sowie sechs weiteren Schiffen – sogenannten „Large Optionally Crewed Surface Vessels“ – die ohne Besatzung unterwegs sein können, aufgerüstet werden soll.

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Risiko einer Fehleinschätzung groß

Insgesamt steigt das Verteidigungsbudget um 50 Milliarden Australische Dollar, umgerechnet rund 30 Milliarden Euro. Bis 2033/34 werden sich die Verteidigungsinvestitionen damit voraussichtlich auf rund 330 Milliarden Dollar (fast 200 Milliarden Euro) belaufen. Innerhalb von zehn Jahren sollen sie 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Nachdem das Militär derzeit mit rund 4400 Arbeitskräften unterbesetzt ist, sollen Spezialkräfte aus dem Ausland angeworben werden.

Dass all dies geschieht, weil man die regionale Sicherheit von Peking bedroht sieht, daraus macht Australien schon lange keinen Hehl mehr. Chinas militärische Aufrüstung erfolge ohne Transparenz, der zunehmende Wettbewerb zwischen Peking und Washington schaffe ein Umfeld, „in dem das Risiko einer Fehleinschätzung bedrohlicher und die Folgen schwerwiegender sind“, sagte Marles dann auch ganz offen. Tatsächlich hat Peking in den vergangenen Jahren enorm aufgerüstet. Laut dem Bericht „Military and Security Developments Involving the People‘s Republic of China“ des Pentagons vom Oktober 2023 ist Chinas Marine inzwischen die größte der Welt und verfügt über rund 370 Kriegsschiffe und U-Boote. Die Flotte soll in den nächsten Jahren auf 400 Schiffe anwachsen. Insgesamt soll das Land über 500 einsatzbereite Atomsprengköpfe (Stand Mai 2023) verfügen, bis 2030 sollen es über 1000 werden. Gleichzeitig tritt China im Südchinesischen Meer zunehmend aggressiv auf und fängt Flugzeuge und Schiffe ab.

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„Teil einer verstärkten Abschreckungsagenda“

Hervé Lemahieu, Forschungsdirektor bei der australischen Denkfabrik Lowy Institute, sieht die Reaktion des Westens und auch Australiens als „Teil einer verstärkten Abschreckungsagenda“. Die amerikanisch-australische Agenda habe einen einzigen Zweck, nämlich China davon abzuhalten, „den Status quo in der Region gewaltsam zu verändern“. Australien habe sich – wie Deutschland es auch tue – lange „unter dem Sicherheitsschirm der USA“ versteckt und sich mit wirtschaftlichem Wohlstand begnügt, urteilte John Blaxland vom Strategic and Defence Centre an der Australischen Nationaluniversität in Canberra einst in einem Interview. Doch seitdem Chinas Präsident Xi Jinping auf Aggressionskurs gegangen sei, habe dies „eine ziemlich kathartische Wirkung“ gehabt.

Diesen Aggressionskurs bekam Canberra am eigenen Leib zu spüren, als es in den vergangenen Jahren wagte, chinesische Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren, die chinesische Telekommunikationsfirma Huawei vom Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes ausschloss und eine Untersuchung der Ursprünge der Covid-19-Pandemie forderte. Denn Peking statuierte daraufhin ein Exempel und reagierte mit massiven Strafzöllen und Handelsbarrieren gegen australische Weine, Gerste, Baumwolle, Holz, Rindfleisch und Hummer.

Der australische Premierminister Anthony Albanese.

Der australische Premierminister Anthony Albanese.

Nachdem dies Australien nicht in die Knie zwingen konnte und Peking selbst Schaden nahm, sind die meisten Zölle inzwischen wieder aufgehoben worden. Auch die diplomatische Eiszeit, die über Jahre herrschte, hat sich gelöst. Geholfen hat dabei ein Regierungswechsel in Canberra und ein moderaterer Ton von australischer Seite. Inzwischen war Australiens Premierminister Anthony Albanese wieder zu Gast in China, der chinesische Außenminister Wang Yi besuchte im März Canberra. Wirkliche Zugeständnisse an Peking hat Canberra dagegen nur wenige gemacht. Das auffälligste war vielleicht, als ein Pachtvertrag, den das chinesische Unternehmen Landbridge für den strategisch wichtigen australischen Hafen von Darwin hält, trotz Überprüfung nicht gekündigt wurde.

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Es sei eine „klare Doppelstrategie“, die Canberra da fahre, formulierte es der „Sydney Morning Herald“ einst: Man paare kurzfristige Diplomatie mit langfristiger militärischer Abschreckung. In dieses Konzept passt nun auch die neue Verteidigungsstrategie Canberras, mit der versucht wird, über den australischen Tellerrand hinauszuschauen.



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