Peking. Am Ufer des Jiangling-Flusses in der Millionen-Metropole Chongqing steht ein Tisch mit weißer Platte und allerlei Gerät. Bei näherem Hinsehen: kleine Plastikschalen, ein schwarzer Apparat, Pipetten. Vor der Kulisse der Wolkenkratzer dieser wohl größten Stadt der Welt wirkt das wie die Inszenierung für ein absurdes Theaterstück.

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Von rechts betritt Bundeskanzler Olaf Scholz die Szenerie. Er ist blass und schaut mürrisch. Reisen nach Fernost schlauchen, wenn man nachmittags losfliegt, die Zeitverschiebung einem sechs Stunden Schlaf klaut und am nächsten Morgen das Programm startet. Wenn man dann noch auf dem Hinflug nach China vom Angriff Irans auf Israel erfährt, lächelt man bei öffentlichen Terminen lieber nicht. Wer weiß, wie sich die Lage noch zuspitzt. Wenn der Nahe Osten brennt, dürfen jedenfalls keine Bilder eines heiteren deutschen Kanzlers um die Welt gehen, bei denen sich alle Welt fragen würde: Was macht der Mann am Ufer des Jiangling-Flusses eigentlich?

Hauptstadt-Radar

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Er hört sich Erläuterungen zu einem Forschungsprojekt an, das die Uni von Chongqing gemeinsam mit Sachsen betreibt. Es geht um das Reinigen von Flusswasser. Scholz lässt die naturwissenschaftlichen Ausführungen weitgehend teilnahmslos über sich ergehen. In Gedanken wird er beim Nahost-Krieg sein. Er muss erst mit Teilen seines Kabinetts telefonieren und sich am Abend mit den anderen Staats- und Regierungschefs der großen demokratischen Wirtschaftsnationen G7 zur Lage austauschen. Dass der Iran ausgerechnet während Scholz‘ Chinareise die Linie überschreitet und erstmals 300 Raketen, Drohnen und Marschflugkörper auf Israel abfeuert, ist bitter.

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Touristische Termine wegen der Weltlage gestrichen

Nach der wenig spektakulären Darbietung zur Wasserreinigung lässt der Kanzler die anschließende Bootsfahrt auf dem Fluss mit dem zu reinigenden Wasser ausfallen. Am Vormittag hatte er bereits den Stadtrundgang gestrichen. Gemeinsam mit seinen Beratern hat er nach der schrecklichen Nachricht aus Israel angestrengt überlegt, wie man nun mit dieser großen Reise umgeht. Abbrechen? Unterbrechen? Am Ende stand: durchziehen. Nur die touristischen Termine werden vorerst gestrichen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v.l) besucht das Forschungsprojekt des Freistaats Sachsen und der Universität Chongqing in China zum Monitoring der Wasserqualität.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v.l) besucht das Forschungsprojekt des Freistaats Sachsen und der Universität Chongqing in China zum Monitoring der Wasserqualität.

So legt das große Ausflugsschiff bei leichter Brise und einsetzender Dämmerung ohne den Kanzler ab. An Bord ist seine Wirtschaftsdelegation, die Bosse großer deutscher Unternehmen. Unter anderem Bayer und BASF, ThyssenKrupp und Carl Zeiss, BMW und Mercedes gehören zur Begleitung der Kanzlerreise. Von De-Risking, also mehr Unabhängigkeit der deutschen Industrie vom China-Geschäft, wie es die offizielle Strategie der Bundesregierung vorsieht, wollen sie nichts hören. Sie möchten investieren und ihre Erwartung an den Kanzler ist, dass er ihnen einen verlässlichen Zugang zum Markt in Fernost verschafft. „Level playing field“ ist das Stichwort für die gewünschten Marktzugänge, das unentwegt bei den Unternehmern fällt. Scholz sagt das auch dauernd. Er lebt den Teil der China-Strategie, den das Kanzleramt verfasst hat, und der die Überschrift „Partnerschaft“ trägt. Den Begriff vom „systemischen Rivalen“ China hatten ohnehin die Grünen erst in den Koalitionsvertrag und dann in die China-Strategie verhandelt.

Solange man an den Prinzipien des gegenseitigen Respekts, Suche nach Gemeinsamkeiten trotz Differenzen und des gegenseitigen Lernens festhält, können sich die bilateralen Beziehungen stabil entwickeln.

Xi Jinping,

chinesischer Präsident

In der lauen Abendluft auf dem Jiangling-Fluss, auf dem sich die bunten Lichter des abendlichen Lebens der quirligen Industrie-Metropole spiegeln, kann man mit dieser politischen Kategorie wenig anfangen. Deutschland ist international größter Investor in China – Chemie, Maschinenbau, Autoindustrie. Rund 5200 deutsche Unternehmen sind im Reich der Mitte aktiv.

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Erfolgsrezept der deutschen Wirtschaft: Import und Export

Die Geschäfte sind kein Selbstläufer. Sie brauchen eine politische Grundlage. Wie die aus Sicht der Chinesen aussehen kann, sagt Präsident Xi in seinem Auftaktstatement vor dem Vier-Augen-Gespräch mit Scholz in Peking. „Solange man an den Prinzipien des gegenseitigen Respekts, Suche nach Gemeinsamkeiten trotz Differenzen und des gegenseitigen Lernens festhält, können sich die bilateralen Beziehungen stabil entwickeln.“ Damit erklärt Xi durch die Blume, die Deutschen mögen bitte nicht so viel über Menschenrechte und Meinungsfreiheit sprechen, dann laufen auch die Geschäfte.

China-Reise: Scholz und Xi wollen Frieden in der Ukraine

Wie bringt man China dazu, Russland zum Einlenken im Ukraine-Krieg zu bewegen? Der Kanzler versucht in Peking sein Bestes, bekommt aber keine konkreten Zusagen.

Scholz weiß um das Erfolgsrezept der deutschen Wirtschaft: Import und Export. Er will den deutschen Unternehmen die Investments ermöglichen und sieht auch keinen Anlass, den europäischen Markt vor chinesischen E-Autos zu schützen, wie dies EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorschwebt. Die deutsche Autoindustrie wiederum freut sich über die Haltung des Kanzlers. Man ist bereit, sich dem Wettbewerb zu stellen. Schließlich fahren auf den großen Straßen der chinesischen Millionenstädte viele deutsche Autos. Und es sollen mehr werden für die 1,4 Milliarden Menschen. Den Job des Kanzlers sehen die mitreisenden Wirtschaftslenker darin, bei Präsident Xi klare Regeln und faire Marktzugänge zu sichern.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Aufrüstung Russlands haben ganz erhebliche negative Auswirkungen auf die Sicherheit in Europa.

Olaf Scholz,

Bundeskanzler

Wie Scholz das in Peking argumentieren möchte, skizziert er schon mal am zweiten Tag der Reise in der Tongji Universität vor Studierenden. Verlässlichkeit und klare Regeln seien gut für die Wirtschaft eines Landes, doziert der Kanzler. Nun muss er am dritten und letzten Tag der Reise in Peking auch Xi von dieser Theorie überzeugen. Es ist nicht das einzige dicke Brett, das der Kanzler in der chinesischen Hauptstadt zu bohren hat. Denn vor fairen Marktzugängen braucht es vor allem eine verlässliche internationale Friedensordnung.

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Menschenrechtsfrage spart der Kanzler aus

Vor dem Vier-Augen-Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten sendet der Kanzler einen Appell: „Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Aufrüstung Russlands haben ganz erhebliche negative Auswirkungen auf die Sicherheit in Europa.“ Mit der Erwähnung der Aufrüstung Russlands gibt der Kanzler zumindest einen Fingerzeig auf den immer wieder von amerikanischer Seite geäußerten Verdacht, China unterstütze Russland mit Bauteilen für Waffen, Drohnen und möglicherweise auch direkt mit Waffenlieferungen. Im nicht-öffentlichen Teil des Gesprächs wird Scholz noch deutlicher und fordert den chinesischen Präsidenten dazu auf, auf Russland einzuwirken den Krieg zu beenden.

Der Kanzler nennt zudem den Klimaschutz und den Handel nach den Regeln der Welthandelsorganisation WTO als gemeinsame Ziele. Die Menschrechtsfrage spart er in seinem öffentlichen Auftritt mit Xi aus. Erst am Nachmittag in der Pressebegegnung mit Ministerpräsident Li Qiang wird Scholz einmal das deutsche Lieferkettengesetz und dessen Bedeutung für Menschenrechte erwähnen.

Nach ihren Auftaktstatements trinken sie gemeinsam Tee nach chinesischem Zeremoniell, zunächst in größerer Runde mit der Delegation. Die Gesprächsatmosphäre ist aufgeräumt. Andere Länder andere Metaphern: Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sagt Xi, alle Länder müssten am Tisch Platz haben. Keines dürfe auf der Speisekarte stehen. Scholz dürfte Xi darauf hingewiesen haben, dass die Ukraine nur eine Chance hat, ihren Platz am internationalen Tisch zu behalten, wenn China keine Waffen und auch keine waffenfähigen Teile nach Russland liefert.

Gemeinsamer Aufruf gegen Atomwaffen

Xi wiederum könnte mit seiner Speisekarten-Metapher auch Russland gemeint haben, das bei der geplanten internationalen Friedenskonferenz in der Schweiz im Frühsommer nicht eingeladen ist. Das Vier-Augen-Gespräch zwischen Xi und dem Kanzler dauert 45 Minuten, ein wenig länger als geplant. Danach verbreitet die chinesische Seite eine Erklärung, die mit der Bundesregierung abgestimmt ist. Darin heißt es, China und Deutschland seien in der „Ukraine-Krise“ den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta verpflichtet, einschließlich der Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität. Man würde gemeinsam dazu aufrufen, sich dem Einsatz oder der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen zu widersetzen. In der Erklärung heißt es auch, dass sich China und Deutschland über die geplante Konferenz in der Schweiz und künftige Friedenskonferenzen abstimmen wollten. Diese Willensbekundungen sind ein Schritt nach vorne. Es sind aber auch noch viele Fragen offen.

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Markus Kamieth (2.v.r), designierter Vorstandsvorsitzender BASF, spricht mit Ole Källenius (l), Mercedes Vorstandsvorsitzender neben Karl Lambrecht, Carl Zeiss Vorstandsvorsitzender, und Magdalena Weiß, Executive Partner GMP, in der Großen Halle des Volkes.

Markus Kamieth (2.v.r), designierter Vorstandsvorsitzender BASF, spricht mit Ole Källenius (l), Mercedes Vorstandsvorsitzender neben Karl Lambrecht, Carl Zeiss Vorstandsvorsitzender, und Magdalena Weiß, Executive Partner GMP, in der Großen Halle des Volkes.

Eine gemeinsame Pressekonferenz, wie dies nach internationalen Begegnungen üblich ist, findet nicht statt. Die Fragen der deutschen Presse nach Menschenrechten, Waffenlieferung für Russland, protektionistischen chinesischen Märkten und der geplanten Konferenz in der Schweiz wären nach chinesischen Maßstäben ein direkter Angriff auf den Präsidenten. Auch beim späteren Auftritt von Scholz und Ministerpräsident Li vor der deutschen und chinesischen Presse sind keine Fragen zugelassen.

Wichtige Türöffner für die deutsche Wirtschaft

Die chinesische Staatsführung behält die Kontrolle über jedes Detail. Li empfängt den Kanzler am Nachmittag auf dem Tiananmen-Platz vor der Großen Halle des Volkes mit militärischen Ehren, rotem Teppich und Salutschüssen. Dabei dient der Nachmittag vor allem den Arbeitstreffen. Die deutsche Wirtschaftsdelegation hat die Gelegenheit, konkret ins Geschäft zu kommen mit den Vertretern der chinesischen Wirtschaft, während Scholz und Li mit an der langen dunkelgrün eingedeckten Tafel sitzen. Solche Treffen sind für die deutsche Wirtschaft wichtige Türöffner in diesem großen Land mit seinen vielen undurchdringlichen Regeln.

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Am Ende erntet man gemeinsam ein paar niedrig hängende Früchte. Die Bundesminister für Verkehr, Volker Wissing (FDP), für Umwelt, Steffi Lemke, und für Landwirtschaft, Cem Özdemir (beide Grüne), waren nach Peking angereist und hier ihre Themen zu vertreten. Die Ergebnisse sind bescheiden: Unterzeichnet werden kurz vor dem Abflug zurück nach Deutschland ein Aktionsplan (für Umweltschutz und zur Vermeidung von Plastikmüll), eine Absichtserklärung (über automatisiertes Fahren) sowie ein Abkommen, das den Import von deutschem Rindfleisch und deutscher Äpfel nach China regelt. Äpfel gegen Birnen: In seinem Statement erwähnt Li die zusätzlichen Importmöglichkeiten für die Lebensmittel aus Deutschland und mahnt im Gegenzug weniger Beschränkungen für chinesische Hightech-Produkte in Deutschland an.

Was fehlt, ist eine ursprünglich angestrebte Vereinbarung, dass Deutschland wieder mehr Schweinefleisch nach China liefern darf. Seit dem Ausbruch der Schweinepest in Deutschland ist der chinesische Markt für deutsche Halter weitgehend dicht. Den deutschen Produzenten bleibt damit ein attraktives Geschäft vorenthalten: Die Chinesen essen inzwischen mehr Schweinefleisch pro Kopf als die Deutschen.



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