München – Trotz Bombenwetter, Bundesliga und zahlreicher Innenstadtattraktionen zieht es an diesem Samstagabend Scharen nach Freimann. Vorm Eingangsbereich des Zenith werden kleine Speisen und Getränke feilgeboten, die an bereitgestellten Sitzgelegenheiten in der Abendsonne genossen werden können. Alles ist entspannt, auch die Leute vom Security-Check, reibungslos gleitet die Zuschauerschaft ins Innere, vorbei am Merch-Stand mit Jutetaschen, Textilien und limitierten handsignierten Lithographien.

Rasch ist es proppenvoll, und pünktlich um 19.30 Uhr beginnt Del Amitri, eine 1980 in Glasgow gegründete Pop-Rock-Gruppe, in erster Linie für ihre Hits “Roll to Me” und “Nothing Ever Happens” bekannt. Unlängst hat der Sänger Justin Currie sein Parkinsonleiden öffentlich gemacht, was an seiner Körpersprache und Mimik zu erkennen ist, aber seiner Kraft und Bühnenenergie nicht im Geringsten schadet. Er sagt: “Du denkst so lange, dass du unverwundbar bist, bis etwas geschieht, dass dir beweist, dass du es nicht bist.”

Konzertabend im Zenit wird höchst aufmerksam erlebt

Die ohnehin vergleichsweise ruhige Atmosphäre wird durch den Auftritt der Supportband noch intensiver, vielleicht auch, weil sich die gesundheitliche Situation von Justin Currie rasch beim Publikum herumgesprochen hat. Das hat den sehr besonderen und wunderbaren Effekt, dass der gesamte Abend höchst aufmerksam erlebt wird, jeder Klang entfaltet eine besondere Wirkung, auch, als Jim Kerr mit seinen Simple Minds das Podium mit den launigen Worten: “Come on, let me see your hands!” entert. Dieser Aufruf dient aber nicht dem üblichen Wunsch eines Künstlers, die Fans durchgehend winkend und skandierend sehen zu wollen, sondern eher einer charmanten Begrüßung, die herzlich erwidert wird.

Oberlässig wie Mark King von Level 42 slappt und zupft der schweinscoole Ged Grimes seinen Bass, die sphärischen Klänge der Schotten finden ihren Weg in die Gehörgänge der Lauschenden. Die 1978 in Glasgow während der Hochzeit des Punk gegründeten Simple Minds arbeiteten stets an neuen stilistischen Färbungen und Entwicklungen, erlebten neben ein paar kleinen Tiefs überwiegend Hochs, füllten nach ihrem Welthit “Don´t You (Forget About Me)”, den zuvor Bryan Ferry und Billy Idol abgelehnt hatten, jahrzehntelang die Stadien und Festivals. Urheber des Songs ist übrigens kein Geringerer als Keith Forsey, legendärer Schlagzeuger von Donna Summer, Konstantin Wecker, Nina Hagen und Giorgio Moroder.

Simple Minds überzeugen durch musikalische Vielfalt 

Ausgesprochen hilfreich für den einstigen Erfolg waren unter anderem die seinerzeit höchst angesagten Musikvideo-Fernsehsender MTV und Viva. Weit über 60 Millionen verkaufter Tonträger sprechen für sich, und auch am Samstagabend erfreuten die Musiker durch musikalische Vielfalt quer durch die duftende Blumenwiese aus Independent, Folklore, Punk, Electronic und Pop. Berühmt sind sie zudem für ihr soziales Engagement, beispielsweise Shows für den inhaftierten Nelson Mandela und Amnesty International. Das Ensemble war sich aber dabei immer bewusst, dass Künstler nicht die Welt heilen können. Sänger Kerr äußert das klar und offen: “Manche Leute werden misstrauisch, wenn ihnen Rockstars Vorträge halten.” Dennoch haben die damaligen Live-Aid-Aktionen das Bewusstsein geschärft und mitunter zur Beendigung der Apartheid beigetragen.

Jene dieser Band eigenen, nebelhaft wabernden Schallwellen aus langgezogenem, anmutigem Gitarrenkolorit, unaufdringlich emotionalem Gesang, eingängigen Keyboards, satten Bässen und messerscharfen Beats entfalten die gewünschte imaginäre Wirkung und erinnern teilweise an frühe David Bowie-Werke, was kaum verwundert, stammt doch der Gruppenname aus dessen Meisterwerk The Jean Genie: “He’s so simple minded, he can’t drive his module”. Verstärkt wird dies durch die zu jedem Lied sorgfältig gewählten Farbstimmungen durch Scheinwerfer und Monitore, mal knallbunt und wolkig, mal weiß und scharfkantig strahlend.

Song “Belfast Child” ist der emotionale Höhepunkt beim Simple-Minds-Konzert

Ein besonderer Höhepunkt ist der Moment, als zu gekonnt düsterer Beleuchtung der traurige Song “Belfast Child” angestimmt wird, wie “Sunday, Bloody Sunday” von U2, die gute Freunde der Simple Minds sind, ein sehr emotionales Lied zum leider nach wie vor aktuellen Nordirlandkonflikt.

Das Auditorium ist überwiegend gleichalt mit den Musikern, es fühlt sich beinahe so an wie beim Konzert 1991 in der Olympiahalle, ja, es scheinen genau dieselben Menschen da zu sein; und da wir alle Gewohnheitstiere sind, stehen gefühlt auch die gleichen vorn, die gleichen rechts, links, mittig und hinten wie einst. Ein durch und durch gelungener Abend!





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